Neue Queerness mit alten Bekannten in Nürnberg
Sonderausstellung «Who’s Afraid Of Stardust? Positionen queerer Gegenwartskunst»
Queere Kunst kommt als epochales Phänomen und (junges) historisches Kontinuum aus den Kinder- in die Erwachsenenjahre.
Von Roland H. Dippel
Das mindert keineswegs die Relevanz der auf die Kunsthalle und das Kunsthaus Nürnberg verteilten Exponate und Rauminstallationen der Ausstellung «Who’s Afraid Of Stardust? Positionen queerer Gegenwartskunst». Es ist gut, wichtig und sinnvoll, wenn in queerer und schwuler Kultur öffentliches Interesse und geöffnete Einblick, die Grenzen szene-interner Diskurse und Bubbles ausweiten, sich Präsentation, Rezeption und Diskussion verdichten.
Queere Kunst erlebt derzeit einen Verbreitungsschub ähnlich wie die schwule Bewegung um 1970: «Out of the Closets» – also heraus den eigenen Reihen und heraus aus dem eigenen Fokus, der negativ aus Befindlichkeiten des Ausgegrenztseins und konstruktiv aus dem Bewusstsein der persönlichen Exklusivität wie des Blicks aus Minderheitenperspektive entsteht.
Dass eine derart umfangreiche und raumgreifende Ausstellung ausgerechnet in Nürnberg stattfindet, scheint kein Zufall. Die fränkische Metropole und zweitgrösste Stadt Bayerns war in den Pionierjahren schwuler Emanzipations- und Selbstbehauptungskämpfe von Stonewall bis zum Aufkommen von HIV neben Frankfurt am Main und Münster ein weitaus bedeutenderes Zentrum als München, während die «Weltstadt mit Herz» erst in den 1980er Jahren trotz der Gauweilerschen HIV-Präventionskampagnen zum eher kleinen, aber feinen Gay-Zentrum aufpoppte.
Die Monatszeitung Nürnberger Schwulenpost (1985 bis 2010) und das legendäre selbstverwaltete Kommunikations- und Kulturzentrum KOMM, an dessen Stelle sich heute ein Teil des Ausstellungsortes KunstKulturQuartier befindet, galten bundesweit als Pioniere eines an die Öffentlichkeit tretenden schwulen Selbstbewusstseins und Kampfes für rechtliche wie gesellschaftliche Akzeptanz.
Fast schade, dass sich das Konzept des Kurationsteams Matthias Dachwald, Anne Schloen und Harriet Zilch nur marginal auf diese geballte Regionalhistorie bezieht. Es interagiert tatsächlich queer und international, bezieht sich nicht nur im Titel auf die legendären Queerness-Propheten David Bowie und Andy Warhol. Warhols ausgestellte Männerzeichnungen huldigen unverhohlen denen von Jean Cocteau und verweisen damit auf fast ein ganzes Jahrhundert queerer Kunstmanifestationen. Deren Einflusskraft zwischen den Generationen wird allerdings erst seit etwa 1970 als teils unabhängiger, teils synergetisch mit der Popkultur verschlingerter Teil der Kunstgeschichte erkennbar.
Queerness reicht inzwischen als definiertes Phänomen über «human-interne» Kommunikationen hinaus und schliesst im Ausstellungskosmos mit Alexander Graeffs metaphorischem wie affirmativen Essay über «Tentakel ausbilden» als «Plädoyer für queeres Denken» die Tierwelt ein. Im hinteren Teil des bescheiden Magazin genannten und äusserst lesenswerten deutsch-englischen Ausstellungskatalogs schlägt ein Beitrag den Bogen zu Queerness im Tierreich.
Das Interview mit dem 1991 in Israel geborenen, den sich als queer verstehenden und jetzt in Berlin lebenden Künstler Navot Miller hat besonderes Gewicht, weil es die Position eines zwischen Religionen, Lebenswelten und politischen Einstellungen explizit queeren Künstlers darstellt.
Nichtsdestotrotz fallen in diesem sehenswerten, umfangreichen und fast angestrengt facettenreichen Projekt drei wesentliche Aspekte auf, welche potenzielle queerev Selbstpositionierung im Leben spiegeln. Noch immer zeigt sich dieses queere Leben visuell, auditiv und metaphorisch dominierend zwischen den Polen Sexualität und Lifestyle. Dimensionen wie eine offen gezeigte Queerness in der Arbeitswelt bzw. ein friedliches queeres Leben in Koexistenz neben einer heteronormativen Mehrheit finden in dieser Ausstellung nicht statt.
Es offenbart sich ein doppelbödiger Umgang mit Ausdruck von Queerness in der Kunst. Auch hier stehen Schöpfungen von queeren Kunstschaffenden mit bzw. oder queeren Inhalten nicht für sich, sondern als Ausdruck, Manifestation und Promotion eines Netzwerkes. Das Magazin ist zugleich ein Panorama queerer Kultur- und Kommunikationsgeschichte, Kontaktforen und Einrichtungen. Erkennbar wird die Bedingtheit queerer Belange und deren Selbstreferenz zwischen Sensation und der Sehnsucht nach Selbstverständlichkeit und Akzeptanz. Man sieht es auch in Nürnberg: In der queeren Kunst hat das Schrille noch immer Vorrang neben dem Stillen.
Queere Kunst ist inzwischen als Kontinuum wahrnehmbar, war bis zum Zweiten Weltkrieg meist nur in Fragmenten ihrer Geschichte zu erkennen. Jede der an dieser Ausstellung beteiligten Generationen hat also – wie in der heteronormativ ausgerichteten Kunstszene – ihre eigenen, spezifischen Verständnisebenen.
Das zeigen drei Schöpfungen mit explizit politischen Inhalten. Die szeneninterne Konvention der 1970er Jahre, Vorlieben für sexuelle Praktiken und Partnertypen durch einfarbige Baumwolltücher in den hinteren Gesässtaschen zu signalisieren, greift Andreas Oehlert in seiner Rauminstallation «Ohne Titel» auf. Jochen Flinzer bestickte Landkarten, signalisierte durch Fadenzüge und Hervorhebung eindeutiger Szene-Hotspots die Reisefrequenzen und -präferenzen queerer Männer.
Barish Karademir & Walter Schütze entwarfen in der Box «Darkroom» eine wilde, raue, lautstarke Video-Installation auf vier Innenwänden, von denen sich homophobe Gewalt, Attacken und Beschimpfungen auch aus den Zivilnationen das Ausstellungspublikum überfluten. So sensibilisiert das Duo auch für das in den letzten Monaten sich verstärkende Fluidum von Kritik, Hass und Aggressionen gegen queere Lebensformen.
Zu den Exponaten gehören Arbeiten von sog. Klassiker*innen wie Cindy Sherman. Trotz einer Vorliebe für mediale Mittel zeigt die Ausstellung auch eine starke Bevorzugung älterer Techniken wie reine Malerei und Fotografie. Das Magazin liefert in einem allgemeinen zweiten Teil mit kompakten Texten nicht weniger als eine kleine Phänomenologie queerer Kunst sowie ihrer aktuellen sozialen und utopischen Ziele.
Ein Besuch der Ausstellung empfiehlt sich am besten im Doppelpack mit einer Vorstellung der schwul gedeuteten Belcanto-Legende «Luc(i)a di Lammermoor» in der Oper Nürnberg (MANNSCHAFT berichtete).
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