Nein zu Homopaaren – Supreme Court hört wichtige Fälle
Darf man Dienstleistungen aus religiösen Gründen verweigern?
Dass das höchste US-Gericht nicht zimperlich ist, hat es im Juni gezeigt. Damals kippte es das Abtreibungsrecht. Nun werden wieder bedeutende Fälle verhandelt. Die Entscheidungen des Gerichts könnten fatale Auswirkungen auf das Wahlrecht für LGBTIQ haben.
Von Julia Naue, dpa
Eine Webdesignerin im US-Staat Colorado möchte ihre künstlerischen Dienste auch für Hochzeitspaare anbieten. Soweit, so unspektakulär. Doch es gibt Kundschaft, der Lorie Smith dieses Angebot explizit nicht machen will: gleichgeschlechtlichen Paaren. Der Grund für die Ablehnung: ihr Glaube. Diese Haltung möchte die Künstlerin schon auf ihrer Webseite klarstellen. Das ist nicht vereinbar mit dem Antidiskriminierungsgesetz in ihrem Bundesstaat. Smith klagte. Der Fall liegt nun beim Obersten Gericht des Landes.
An diesem Montag hören die Richter*innen des Supreme Court die Argumente beider Parteien an. Der Fall der Webdesignerin könnte weitreichende Konsequenzen für die Rechte der LGBTQ-Gemeinde haben. Er ist einer von mehreren womöglich folgenreichen Fällen, die in dieser Sitzungsperiode vor dem Gericht gelandet sind. Urteile werden im kommenden Jahr erwartet. Dass der Supreme Court bereit ist, Rechte zurückzunehmen, zeigte sich im Juni. Damals kassierte das Gericht das Recht auf Abtreibung, das in den USA fast 50 Jahre lang galt (MANNSCHAFT berichtete).
Seitdem ist die mächtige Institution gehörig in die Kritik geraten. Unter Ex-Präsident Donald Trump ist der Supreme Court deutlich nach rechts gerückt. Es gibt nur noch drei Richterinnen, die als liberal gelten. Dem gegenüber stehen sechs erzkonservative und zum Teil tief religiöse Richter, die zuletzt auch immer wieder im Sinne religiöser Kläger entschieden haben.
Einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Pew zufolge sind 83 Prozent der Befragten der Ansicht, dass Richter*innen ihre eigenen religiösen Ansichten aus ihren Entscheidungen heraushalten sollten. Eine grosse Mehrheit der LGBTIQ-Gemeinde ist der Meinung, dass die jüngsten Entscheidungen ihnen geschadet haben.
Es gibt einfach bestimmte Botschaften, die ich aufgrund meines Glaubens nicht unterstützen kann.
Im Fall der Webdesignerin geht es um die elementare Frage, ob ein Gesetz, das Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung verbietet, gegen die Verfassung verstösst. Das wirft letztlich die Frage auf, ob bestimmte Überzeugungen – in dem Fall religiöse – Gesetze zum Schutz der Bürgerrechte aushebeln können. Die Bürgerrechtsorganisation ACLU warnt, diese Logik könne so weitergesponnen werden, dass Läden sich weigern könnten, Bücher an Frauen zu verkaufen, oder Bäckereien Schwarzen den Geburtstagskuchen verweigern könnten.
Webdesignerin Smith argumentiert, sie wolle die Geschichte eines Paares «aus Gottes Perspektive» erzählen, aber Colorado zwinge sie, «Botschaften über Ehen zu feiern, die mit meinem Glauben unvereinbar sind». In einem Film der christlichen Lobbygruppe Alliance Defending Freedom sagt sie: «Es gibt einfach bestimmte Botschaften, die ich aufgrund meines Glaubens nicht unterstützen kann.»
Der Fall erinnert an den eines Bäckers, der einen ähnliche Argumentation vorbrachte, weil er gleichgeschlechtlichen Paaren keine Hochzeitstorten verkaufen wollte. Im Jahr 2018 entschied das Gericht im Sinne des Bäckers – liess aber die grundsätzliche Frage danach unbeantwortet, ob Religion den Schutz vor Diskriminierung aushebeln kann. Eine Hochzeitslocation in Nashville lehnte letztes Jahr ein schwules Paar ab und nannte religiöse Gründe (MANNSCHAFT berichtete).
Schaut man auf den aktuellen Fall, muss man wissen, dass das Gericht selbst entscheidet, welche Fälle es verhandelt. Es hätte den Fall auch ablehnen können. Expert*innen gehen daher davon aus, dass diesmal eine grundsätzliche Entscheidung zu erwarten ist.
Zuletzt hatte das Gericht allerdings überrascht – und in mehreren Fällen gegen Donald Trump oder dessen Unterstützer entschieden. So machte es den Weg dafür frei, dass die Steuerunterlagen des Ex-Präsidenten an den Finanzausschuss des Repräsentantenhauses übergeben werden mussten. Trump, der sich normalerweise für die aktuelle Besetzung des Gerichts lobt, tobte. «Der Supreme Court hat seine Ehre, sein Prestige und sein Ansehen verloren und ist nur noch ein politisches Gremium, für das unser Land den Preis zahlt», liess er wissen.
Die Washington Post hob angesichts dessen den Unterschied zwischen Ideologie und Parteilichkeit hervor. «Es ist nicht so, dass dieses oder irgendein Gericht frei von den Versuchungen der Parteilichkeit ist, aber diese Mehrheit ist weit mehr von konservativer Ideologie getrieben als von dem Wunsch, republikanische politische Interessen zu fördern», hiess es in dem Meinungsstück.
Umso spannender ist, wie sich die Richter in einem Fall verhalten, in dem es um eine Auslegung der Verfassung geht, die besonders von Trump-Anhänger*innen unterstützt wird. Am Mittwoch hört das Gericht einen Fall zur «Independent State Legislature Theory». Diese widerspricht völlig der gängigen Lesart der Verfassung. Trump-Fans haben damit versucht, das Wahlergebnis der Präsidentenwahl 2020 zu kippen.
Diskriminierung beim Wahlrecht? Anhänger der Theorie argumentieren, dass nur die Gesetzgeber in den Bundesstaaten die Befugnis haben, über ihre Wahlgesetze oder die Zuschnitte von Wahlkreisen zu entscheiden. Ihrer Auffassung nach sind sie nicht an die Verfassung des Bundesstaates und damit auch nicht an Entscheidungen der dortigen Gerichte gebunden. Eine Auslegung, die Tür und Tor für Diskriminierung öffnet. Die Partei an der Macht könnte zum Beipsiel restriktive Wahlgesetzen verabschieden, die bestimmte Bevölkerungsgruppen vom Wählen abhalten.
Quinta Jurecic, die etwa für die US-Denkfabrik Brookings tätig ist, sieht den Fall als Beweis für eine «Rechtslandschaft, in der einst wilde Argumente plötzlich zum Mainstream» geworden seien und die von Trump verändert wurde. Der Fall könne «fatale Folgen für die amerikanische Demokratie haben», schreibt sie im Magazin The Atlantic. Und er sei Erinnerung daran, wie «wackelig die Leitplanken geworden seien, die die amerikanische Demokratie schützen».
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