Nach Kritik an Palästina-Flagge: Wiener LGBTIQ-Zentrum erklärt sich

Die Türkis Rosa Lila Villa glaube fest an Gleichberechtigung über antisemitische, patriarchale und heterosexistische Normen hinaus

Foto: Türkis Rosa Lila Villa/Facebook
Foto: Türkis Rosa Lila Villa/Facebook

Die Türkis Rosa Lila Villa in Wien zog im Oktober Kritk auf sich, weil dort eine Palästina-Flagge aufgehängt wurde (MANNSCHAFT berichtete). Nun erklärt sich das LGBTIQ-Zentrum und verurteilt Antisemitismus und Kriegsverbrechen.

Am 21. Oktober, als fünf UN-Organisationen in einem gemeinsamen Statement die Welt dazu aufforderten, für Gaza «mehr zu tun», habe ein*e Bewohner*in der Villa eine palästinensische Flagge aus einem privaten Fenster an der Seitenfassade gehängt, um Solidarität mit den Palästinenser*innen zu zeigen, heisst es in einer offiziellen Erklärung des Vereins Türkis Rosa Lila Tipp. Seitdem werde die Villa ununterbrochen mit Hassmails bombardiert.



«Die Verunglimpfungen reichen von negative Stereotypisierungen bis hin zu offenen Beschimpfungen und Unterstellungen, die Villa sei antisemitisch, antijüdisch, antiisraelisch und pro-Hamas. Ein viraler Kommentar eines Journalisten verbreitete die Falschinformation, die Flagge sei just am Datum des Novemberpogroms erneut angebracht worden, obwohl sie tatsächlich nie abgehängt wurde. Damit implizierte er, die Villa hätte darauf abgezielt, expressiv ein Zeichen der Missachtung der jüdischen Gemeinschaft Wiens zu setzen. Wir weisen all diese Vorwürfe vehement zurück und betonen unsere Position: Wir verurteilen jegliche Gewalt und Extremismus und systematische Verletzungen von Menschenrechten und Menschenwürde.»

Darüber hinaus sei im November in die Villa eingebrochen, einige Gegenstände aus den Verwaltungsbüros gestohlen und eine israelische Flagge an der Fassade der Villa angebracht worden. Eine öffentliche Drohung auf Instagram sei gefolgt, in der Fotos der Villa inklusive der Flagge gepostet worden seien mit dem Zusatz: «Wir sind direkt um die Ecke».

Die FPÖ nutze diese Anschuldigungen, «um ihren antiarabischen Rassismus und ihre Queerfeindlichkeit zu pushen und ihre Kampagne gegen die Villa fortzusetzen, indem politische Narrative verwendet werden, die unsere Arbeit zum Schweigen bringen sollen, so die Villa.

Weiter erklärt der Verein: «Nichts kann das schreckliche Massaker und die Geiselnahme von Zivilistinnen durch die Hamas rechtfertigen. Jeglicher terroristische Akt überall in der Welt muss stärkstens verurteilt werden. Die darauffolgende unterschiedslose Bombardierung und Vertreibung von Hunderttausenden von Zivilist*innen in Gaza kann nicht relativiert werden und muss ebenfalls stärkstens verurteilt werden.»

Man leiste Widerstand gegen jegliche Form menschlichen Leidens. «Während wir dazu aufrufen, die Wurzeln der Gewalt zu heilen, drücken wir gleichzeitig unsere Empathie sowohl für Palästinenser*innen als auch Israelis aus, die direkt oder indirekt von den Geschehnissen betroffen sind. Wir sind zutiefst davon überzeugt, dass die Sorge um menschliches Leben nur in Gaza oder nur in Israel überhaupt keine Sorge um menschliches Leben an sich ist, da dies eine einseitige Haltung von Menschlichkeit darstellt.»

Man glaube daran, dass Palästinenser*innen und Israelis gleiche Rechte auf Leben, Freiheit und Sicherheit haben. «Dies sind Grundrechte aller Menschen. Wir dürfen uns nie daran gewöhnen, dass die Menschenrechte einer Gruppe wegen bestimmter intersektionaler Merkmale ihrer Identität verletzt werden. Und wir müssen auf der Seite von jenen stehen, deren Menschenrechte verletzt werden.»

Wir werden uns nicht dafür entschuldigen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Gaza zu verurteilen.

Man werde die Verantwortung Österreichs und der Österreicher*innen an der Shoah niemals vergessen. «Wir werden uns nicht dafür entschuldigen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Gaza zu verurteilen. Als Queers kennen wir das Gefühl, gesagt zu bekommen, unsere Existenz sei falsch, unsere Leben wertlos, und unser Verschwinden erwünscht. Wir setzen uns gegen Unterdrückung und Vedrängung ein. Wir glauben fest an Gleichberechtigung über antisemitische, koloniale, patriarchale und heterosexistische Normen hinaus. Die Villa weigert sich, normative Schubladen zu bedienen, deren Inhalt weitreichend zirkuliert wird in Diskussionen über den Israelischen/Palästinensischen Konflikt. Wir weigern uns, uns diesem sozialen Druck und einer binären politischen Gruppierung zu unterwerfen.»

Der Verein hinter der Villa stellt klar: Eine Palästinensische Flagge repräsentiere noch keine Unterstützung für die Hamas. «Das binäre Denken heutzutage setzt die Palästinensische Flagge mit der Hamas gleich und stellt sie als Symbol der Gewalt dar anstatt als Symbol unterdrückter Menschen dar. Analog dazu wird jede Person, die Solidarität mit den Palästinenser*innen zeigt, dämonisiert und der Unterstützung von Terrorismus beschuldigt.»

Die Menschenrechte der Palästinenser*innen zu unterstützen, bedeute nicht, pro-Hamas zu sein, heisst es in der Pressemitteilung. Kritisch gegenüber der Netanyahu-Regierung zu sein, bedeute nicht, antisemitisch zu sein.

Allerdings wirft die Villa dem Staat Israel Pinkwashing vor, «um die öffentliche Wahrnehmung des Konflikts zu manipulieren und eine Gesellschaft, eine Menschengruppe, eine Minderheit zu entmenschlichen». Pinkwashing missbrauche die hart erkämpften Errungenschaften queerer Aktivist*innen, heisst es in der Erklärung. «Es wird benutzt, um Gewalt leichter akzeptabel zu machen und den Täter nicht als solchen zu sehen. Durch die Betonung von LGBTIQ-freundlicher Gesetzgebung und breiter Akzeptanz in Israel auf der einen Seite und gewaltsamer Unterdrückung von Queerness durch die Hamas in Gaza auf der anderen Seite, pinkwäscht das binäre System die Verbrechen ultrakonservativer Gruppen in Israel und macht es offenbar leichter, jede noch so tödliche militärische Aktion in Gaza zu tolerieren.»

Queerness lebe überall, auch in Unterdrückung. «Die Villa strebe danach, eine schützende Community zu bilden.» Der Kreislauf aus antisemitischer und antiarabischer Gewalt in Wien müsse durchbrochen werden durch aktiveres Zuhören, pro-aktive Fürsorge und das Gefühl von Gerechtigkeit, «anstatt durch Entmenschlichung und Rufe nach staatlicher Gewalt und Zensur», so der Wiener Verein.

Auf zum Voting: Wer wird Queero 2023? Hier sind die nominierten Vereine und Aktivist*innen aus der Schweiz, aus Österreich und aus Deutschland

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