«Mit einer zeitlichen Verzögerung der Ehe für alle ist zu rechnen»
Was bis dahin alles nötig ist und ob sich heute eine eingetragene Partnerschaft noch lohnt, erklärt Rechtsanwältin Nadja Herz
Die Ehe für alle kommt in der Schweiz voraussichtlich in den nächsten zwei bis drei Jahren. Es sei denn, die vom Bundesgericht annullierte Abstimmung zur Heiratsstrafe 2016 wird wiederholt: Im Initiativtext der CVP ist die Ehe einzig zwischen Mann und Frau definiert. Sollte die CVP-Initiative erneut vors Volk kommen und angenommen werden, wäre die Eheöffnung vermutlich um Jahre blockiert.
Laut Pink Cross und Lesbenorganisation der Schweiz LOS soll das Parlament die Initiative erneut behandeln, allerdings dabei auf die Ehedefinition verzichten. Dann könnte die Einführung der Ehe für alle wie vorgesehen erfolgen. Was bis dahin alles nötig ist und ob sich heute eine eingetragene Partnerschaft noch lohnt, erklärt uns Rechtsanwältin Nadja Herz, langjährige LGBTIQ-Aktivistin und Vorstandsmitglied der LOS. Sie engagiert sich stark für eine umfassende Ehe für alle.
Frau Herz, erstmals soll eine nationale Volksabstimmung wiederholt werden. Gefährdet eine mögliche Wiederholung der CVP-Initiative zur Heiratsstrafe nun die Ehe für alle? Nur unter bestimmten Bedingungen: Erstens müsste der Initiativtext derselbe bleiben. Zweitens müsste das Volk die Initiative so auch annehmen. Allerdings gibt es sogar innerhalb der CVP Kritik an ihrer Ehe-Definition. Mit einer zeitlichen Verzögerung ist jedoch so oder so zu rechnen.
Was braucht es, bis die Ehe für alle Realität ist? Die parlamentarische Initiative «Ehe für alle» wurde bereits im Dezember 2013 eingereicht. Dann ging lange nichts. Doch letztes Jahr nahm die Ehe für alle endlich Fahrt auf: Im Juli 2018 hat die Rechtskommission des Nationalrats beschlossen, dass die Umsetzung auf Gesetzesstufe erfolgen kann und es keine Verfassungsänderung braucht. Unterdessen liegt ein konkreter Gesetzesentwurf vor, der derzeit in der Vernehmlassung ist. Die vom Bundesamt für Justiz ausgearbeitete «Kernvorlage» ist allerdings nur eine «Ehe light». Die LGBTIQ-Verbände haben es aber geschafft, in Ergänzung zur Kernvorlage eine Variante mit Zugang zur Fortpflanzungsmedizin und originärer Elternschaft in die Vernehmlassung zu bringen. Wenn diese Variante durchkommt, hätten wir eine Ehe für alle, die diesen Namen auch verdient.
Zankapfel Adoption und künstliche Befruchtung: Warum verwehren konservative Kreise diese den gleichgeschlechtlichen Paaren? Die Möglichkeit zur Stiefkindadoption gibt es bereits seit Anfang 2018. Auch die Fremdadoption ist unterdessen grösstenteils unbestritten und Gegenstand der erwähnten «Kernvorlage». Die Praxis hat jedoch gezeigt: Ein Adoptionsverfahren stellt keine befriedigende Alternative zu einer gemeinsamen Elternschaft von Geburt an dar (sog. originäre Elternschaft). Die Adoptionsverfahren sind langwierig, zermürbend, teuer und werden von den Betroffenen aufgrund der akribischen Eignungsprüfung oft als demütigend und willkürlich empfunden. Es ist sehr wichtig, dass gleichgeschlechtliche Paare – wie heterosexuelle Paare – von Geburt an gemeinsam Eltern sein können.
Lohnt es sich, bis zur Ehe für alle eine eingetragene Partnerschaft einzugehen? Ja, auf jeden Fall: Die eingetragene Partnerschaft bietet in vielen Bereichen eine gute rechtliche Absicherung und unterscheidet sich etwa im Erb-, im Steuer-, im Sozialversicherungs- und im Ausländerrecht praktisch nicht von der Ehe. Zwar ist die eingetragene Partnerschaft bei Familiengründungen ungenügend, aber immer noch besser als gar keine rechtliche Absicherung. Ergänzend sind bei Familiengründungen zusätzliche Massnahmen wie Verträge, Testamente, Vollmachten oder Vorsorgeaufträge sinnvoll.
Ist ein späteres «Upgrade» zur Ehe einfach so möglich? Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass eine eingetragene Partnerschaft auf Antrag unbürokratisch in eine Ehe umgewandelt werden kann. Neue eingetragene Partnerschaften werden nicht mehr möglich sein, bereits geschlossene eingetragene Partnerschaften können aber weitergeführt werden.
Rechtsexpertin für gleichgeschlechtliche Paare Seit über 30 Jahren engagiert sich Nadja Herz im Bereich Partnerschaftsrechte für gleichgeschlechtliche Paare. Durch ihre langjährige Tätigkeit als Rechtsanwältin, als Vertrauensanwältin von LOS und Pink Cross und durch ihre fortwährende Mitarbeit in der LOS sowie in der Koordinationsgruppe Politik der LGBTI-Verbände ist sie schweizweit eine der versiertesten Kennerinnen der Materie. Mehr zu Nadja Herz: holbeinstrasse.ch/nadja_herz
Das ausführliche Interview ist in der Schweizer Mai-Ausgabe der MANNSCHAFT erschienen. Hier geht es zum Abo Deutschland und hier zum Abo Schweiz.
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