«Logos in Regenbogenfarben sind nicht nachhaltig»

Marketing-Consultant Ian Johnson sensibilisiert Firmen für LGBTIQ-Bedürfnisse

Collage zu LGBTIQ Marketing: Mannschaft Magazin
Collage zu LGBTIQ Marketing: Mannschaft Magazin

Out Now Consulting hat eine Plattform entwickelt, die den Tourismussektor besser auf die Bedürfnisse der Community vorbereitet. Die Firma des Australiers Ian Johnson gilt seit über 25 Jahren als führend im Bereich der LGBTIQ-Marktforschung.

Ian, im Sommer hat deine Firma Learn.lgbt lanciert. Worum geht es bei dieser Plattform? Das Tool unterstützt Hotels und andere Anbieter in der Reisebranche, die ihre Angestellten auf LGBTIQ-Anliegen sensibilisieren möchten. Mit praktischen Massnahmen kann sichergestellt werden, dass LGBTIQ-Gäste ihren Aufenthalt genauso geniessen können wie alle anderen Reisenden auch.

Wann hast du festgestellt, dass es sich hierbei um ein Bedürfnis handelt? Seit 2007 beobachten wir, dass immer mehr Hotels und Reisedienstleister offen für LGBTIQ-Kund*innen sind. Dieser Trend deckt sich allerdings nicht mit der Marktforschung, die wir innerhalb der Community betreiben. Die Menschen sind immer noch zögerlich, wenn es darum geht, sich im Urlaub zu outen. Man hat Bedenken, wie Hotelangestellte sich beim Check-in verhalten oder wie andere Reisende auf gleichgeschlechtliche Paare oder auf eine trans Person reagieren. Mit Learn.lgbt wollen wir diese Lücke schliessen. Schliesslich erwarten LGBTIQ-Reisende dasselbe von ihrem Urlaub wie alle anderen auch: Entspannung.

Kannst du Beispiele nennen? Als schwules Paar fragt man sich nicht selten beim Einchecken, ob es mit dem gebuchten Kingsize-Bett klappt. Wir weisen Angestellte auf das korrekte Vorgehen hin, darunter beispielsweise, dass zwei Männer eben nicht «schwul aussehen» müssen, um ein Paar zu sein. Falls doch Unsicherheiten bestehen, fragt man nicht, ob die Gäste tatsächlich ein Doppelbett wünschen, sondern lässt gleich mehrere Einzelheiten der Buchung bestätigen (MANNSCHAFT berichtete über einen solchen Fall). Zum Beispiel, ob es sich um ein Nichtraucherzimmer mit Kingsize-Bett oder um ein Zimmer mit Kingsize-Bett mit Aussicht auf die Stadt handelt. Der Gast kann dann einhaken, falls etwas nicht in Ordnung sein sollte. Wie bei jedem anderen Gast ist in erster Linie immer davon auszugehen, dass die im System hinterlegte Buchung korrekt ist.

Die Menschen sind immer noch zögerlich, wenn es darum geht, sich im Urlaub zu outen.

Ein solches Szenario könnte auch ein Gast sein, der sich über ein gleichgeschlechtliches Paar beschwert, das Zärtlichkeiten austauscht. Wenn der öffentliche Austausch von Zärtlichkeiten in einem exklusiven Restaurant verboten ist, dann gilt das sowohl bei homo- als auch bei heterosexuellen Paaren. Als Manager*in kann man die Situation etwa so entschärfen, indem man das verliebte Paar – wie gesagt, egal ob homo oder hetero – freundlich auf die Richtlinien hinweist und als Geste des Hauses eine Flasche Wein oder einen Drink spendiert.

Wir leben in einer Zeit, in der man innert zwanzig Sekunden einen Tweet verfasst und einen Shitstorm ausgelöst hat. Indem das Management auf geschlechtsneutrale Richtlinien verweist, kann es das Schlimmste verhindern.

Wie viele Hotels in Deutschland und der Schweiz haben Learn.lgbt absolviert? In der Schweiz sind es 56, in Deutschland etwas weniger. In der Schweiz arbeiten wir gut mit Schweiz Tourismus zusammen, in Deutschland haben wir soweit in Frankfurt und Berlin Fuss gefasst – in Berlin über die «Pink Pillow Collection». Momentan ist es uns wichtiger, wenige Hotels möglichst gut zu sensibilisieren, statt möglichst viele Hotels zu erreichen. Die altbekannte Qualität vor Quantität.

Ende 2018 gab Out Now Consulting bekannt, dass der LGBTIQ-Reisemarkt 218 Milliarden Dollar schwer ist. Wie seid ihr auf diese Zahlen gekommen? Die Daten haben wir im Rahmen unserer Marktstudie «LGBT2030» erhoben, die wir mit 130 000 Teilnehmer*innen aus 26 Ländern durchführen. Bei dieser spezifischen Umfrage erreichten wir 8752 Personen. Dabei wollten wir wissen, wieviel LGBTIQs für Reisen im In- und Ausland ausgeben, darunter für Unterkunft, Transportkosten, Verpflegungen und Besichtigungstouren. Das Ergebnis rechnen wir dann auf die gesamte Community eines Landes hoch. Wir gehen dabei von einem LGBTIQ-Anteil von 6% der erwachsenen Bevölkerung aus. Ein US-amerikanisches Marktforschungsinstitut ist 1992 auf diese Zahl gekommen mit einer in unseren Augen ziemlich verlässlichen und repräsentativen Studie.

Ein Doppelbett? Nur für «normale» Paare!

Welche Faktoren spielen eine Rolle, wenn es um die Wahl der Urlaubsdestination geht? Eigentlich dieselben wie im Massentourismus auch: Welche Destinationen sind sicher? Wo kann ich mich wohlfühlen und entspannen? Es erstaunt daher nicht, dass Länder mit LGBTIQ-feindlichen Gesetze am unattraktivsten sind. Über 70 % unserer Befragten gaben an, dass die rechtliche Situation entscheidend ist. Dabei geht es nicht nur um Sicherheit. Man will sein Geld an einem Ort ausgeben, an dem LGBTIQs respektiert werden. Diese Haltung spiegelt sich vor allem in unseren Stichproben aus den USA, Grossbritannien und den Niederlanden. Diese Befragten suchen eher einen Urlaubsort, an dem Gleichstellungsgesetze und ein Schutz vor Diskriminierung am Arbeitsplatz in Kraft sind.

Abgesehen davon sind LGBTIQ-Reisende, wie schon erwähnt, ähnlich wie andere Reisende auch. Ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis spielt eine wichtige Rolle. Niemand will Geld für schlechten Service ausgeben.

LGBTIQ-Marketing
LGBTIQ-Marketing

Eine politische Philosophie besagt: Länder, die wirtschaftliche Beziehungen pflegen, bekriegen sich nicht. Sind der LGBTIQ-Tourismus und die damit verbundenen Einnahmen die Lösung, um ein Umdenken auch in homo- und transphoben Ländern herbeizuführen? Seit über 25 Jahren ist es unser Credo, Unternehmen und Konzerne vom LGBTIQ-Markt zu überzeugen. Dein Gedanke ist richtig: Es liegt nicht im Interesse der Unternehmen, Menschen zu schaden, die sie als wichtige Konsument*innen erachten. Es gibt aber auch eine Schattenseite. Einige Firmen sehen nur das Geld und nichts anderes. Ich lege meiner Kundschaft immer nahe, dass die Tätigung von Geschäften eine Kopf- und eine Herzsache ist. Die finanzielle Tragbarkeit ist das eine, der respektvolle Umgang mit Menschen das andere. Respekt ist ein allgemeines Gut in jeder Gesellschaft und hat nichts mit Geld zu tun.

Was muss eine Urlaubsdestination tun, um bei LGBTIQs beliebt zu werden? Aktives und gezieltes Marketing ist immer eine gute Strategie. Als Land, Stadt oder Urlaubsort muss man den Menschen zeigen, weshalb es bei ihnen am schönsten ist. Während der Finanzkrise 2008 haben viele Firmen ihr Marketingbudget für LGBTIQs gestrichen und zwar bis heute. Dabei wäre es eine gute Investition. Eine gezielte Werbung in einem LGBTIQ-Medium ist effizienter und nachhaltiger als in den Massenmedien, da sie als persönlicher aufgefasst wird.

Nebst dem Tourismus: In welchen Branchen ist Out Now Consulting tätig? Wir haben bereits für die unterschiedlichsten Sektoren gearbeitet, darunter im Bank- und Finanzwesen, in der Automobil- und Pharmaindustrie sowie für die Telekommunikation. Im Auftrag der britischen Mobilfunkgesellschaft Vodafone haben wir eine interessante Studie in 15 Ländern umgesetzt. Unter anderem haben wir herausgefunden, dass 41 % der LGBTIQ-Hochschulabgänger*innen am Arbeitsplatz ungeoutet sind, nachdem sie an der Universität offen zu ihrer Identität standen.

Braucht es Kommerz an den Prides?

1992 hast du deinen Job als Anwalt gekündigt und Out Now Consulting ins Leben gerufen. Eine Zeit, in der schwule Männer vor allem noch mit HIV/Aids assoziiert wurden. Wie offen waren Firmen damals für LGBTIQ-Marketing? Ich erinnere mich, dass mein damaliger Chef davon ausgegangen ist, dass mein neuer Job «etwas mit Sex» zu tun hat (lacht). Es waren definitiv andere Zeiten. Das LGBTIQ-Magazin «Sydney Star Observer» war unser erster Kunde, danach kam Burger King, der in Australien unter dem Namen «Hungry Jacks» tätig ist. Danach hatten wir während sechs Monaten keinen neuen Kunden und ich dachte: «Das wars wohl.» Doch dann erhielten wir einen Auftrag von Toyota. 2002 konnten wir unsere Büros von Australien nach Amsterdam verlegen, heute arbeiten wir in Paris.

Gibt es einen Wendepunkt, an dem die Community als Zielgruppe attraktiv wurde? Schwule Männer wurden eigentlich schon in den frühen Achtzigern als Kunden erkannt, da sie in Musik, TV, Film und Theater vermehrt sichtbar wurden. Man denke an die Village People. Das änderte sich natürlich mit der Aidskrise. Firmen, die sich uns auf Zehenspitzen angenähert hatten, machten plötzlich eine 180-Grad-Kehrtwende. Dies änderte sich erst in den späten Neunzigerjahren wieder.

Kannst du dich an das erste Massenprodukt erinnern, das sich um die LGBTIQ-Zielgruppe bemüht hat? Ich kann mich an «Jim Beam Bourbon Whiskey» erinnern, der in den Mittachtzigern die schwule Subkultur bewarb. Man darf nicht vergessen, dass die schwulen Bars und Discos der erste Ort waren, an dem schwule Männer sichtbar waren. Daher liegt es auf der Hand, dass die Alkoholbranche als erste auf die Zielgruppe aufmerksam wurde, gefolgt von der Reisebranche, die viele Schwule beschäftigt.

Firmen müssen mehr leisten, als ihre Mitarbeitende an die Pride zu schicken und ihr Logo mit dem Regenbogen zu waschen.

Nach über 25 Jahren: Was hast du noch vor mit Out Now Consulting? Meine Arbeit begeistert mich immer noch. Ich möchte Firmen weiterhin beim Erreichen der Community unterstützten und ihnen zu verstehen geben, dass es im Umgang mit LGBTIQ-Themen nichts Schlimmeres gibt als das Wort «authentisch». Eine übermässige Verwendung durch opportunistische Firmen hat das Wort im wahrsten Sinne «un-authentisch» gemacht und zum Jargon degradiert. «Unterstützung» und «Ehrlichkeit» sind bei der Community viel aussagekräftiger, insbesondere zum jetzigen Zeitpunkt, an dem wir erste Ressentiments feststellen.

Kritik an London Pride: Kommerz, Bürokratie und Pinkwashing

Welche Ressentiments? Im Englischen spricht man von «Pride-Müdigkeit». Von unserer Marktforschung wissen wir, dass die Community es satt hat, während eines Monats im Jahr Firmenlogos in Regenbogenfarben zu sehen. Ein Beispiel ist die Pride in London. Ein Grossteil des Umzugs bestand aus Firmenlogos und gut gelaunten Mitarbeitenden, die von der Menge stundenlang beklatscht werden sollen. Versteh mich nicht falsch, interne LGBTIQ-Netzwerke sind eine grossartige Sache. Firmen müssen jedoch mehr leisten, als ihre Mitarbeitende an die Pride zu schicken und ihr Logo mit dem Regenbogen zu waschen.

Sich als Firma an der Pride zu engagieren ist also ein Fehler. Ein Fehler mit guten Absichten. Die Community will auch in den elf übrigen Monaten im Jahr sichtbar sein und angesprochen werden. Firmen, die dies gezielt tun, haben eine bessere und nachhaltigere Wirkung, als ein regenbogenfarbenes Logo. Das ist der Kern unserer Arbeit: Firmen dazu zu bringen, ihr Bewusstsein und Interesse an der Community in eine aufrichtige Unterstützung umzumünzen, damit auch alle etwas davon haben.

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