LGBTIQ-Verein übt Generalkritik an Graubündens Regierung

Dort verkenne man die Lage junger Menschen erheblich

Foto: Rebekka Weber, Vorstand sozialwerk.LGBT+
Foto: Rebekka Weber, Vorstand sozialwerk.LGBT+

Das Sozialwerk.LGBT+ kritisiert Graubündens Regierung: Sie verkenne die Lage junger Menschen erheblich. Es geht um HIV-Prävention und Hasskriminalität.

Vergangene Woche habe der Kanton Graubünden auf eine Anfrage der Jugendsession Graubünden reagiert, die im Oktober 2022 gestellt worden war. Was das Sozialwerk.LGBT+ davon hält, ist in einer Wut-Mail nachzulesen, die wir im Folgenden dokumentieren.

«Wir finden die Haltung der cis-männlich besetzten Regierung absolut unangemessen, denn zumindest in Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen wäre eine kostenlose Abgabe von Menstruationsartikeln sehr wohl wichtig und notwendig. Es ist schon allein diskriminierend, dass die Besorgung von Menstruationsartikeln lediglich weiblich gelesenen Personen zugewiesen wird. Für diese kann es gerade in jungen Jahren eine grosse Überwindung bedeuten, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, geschweige denn, solche im Laden zu erwerben. Das Thema kann stark polarisieren und wird nicht in jedem Elternhaus ausreichend gut thematisiert. Hier ist eine bessere Niederschwelligkeit unbedingt umzusetzen. Hier nur auf Unterstützung in finanzieller Hinsicht abzuzielen, zeigt einmal mehr, dass das eigentliche Problem aus Männersicht nicht verstanden wurde.

Bezüglich einer kostenlosen niederschwelligen Abgabe von Kondomen an Kinder und Minderjährige Jugendliche wird gleichfalls nur auf monetäre Aspekte verwiesen. Der Kanton Graubünden teilt lediglich mit, dass es für Personen, die finanziell nicht in der Lage sind, sich geeignete Verhütungsmittel zu kaufen, einen Unterstützungsbeitrag geben kann. Dabei werden jedoch die Bedürfnisse von Kindern und minderjährigen Jugendlichen ganz massiv ausser Acht gelassen. Diese haben nämlich häufig nicht die Möglichkeit, ohne dass sie sich an ihre Erziehungsberechtigten wenden, Hilfeleistungen vom Kanton in Anspruch zu nehmen.



Das hat dann zur Folge, dass sie sich junge Menschen häufiger erheblichen Risiken aussetzen, da sie die Ansteckungsgefahr von HIV/Aids unterschätzen und die Schwangerschaftsverhütung wieder nur auf die Frau abgewälzt wird. Das Jugendliche sich selbständig an die entsprechenden Hilfestellungen der Sozialhilfe wenden, ist bei so einem höchstpersönlichen Recht, welches die Intimsphäre der Kinder und Jugendlichen betrifft, absolut nicht zumutbar.

Daher sehen wir den Kanton Graubünden in der Pflicht, durch kostenlose und niederschwellige Abgabe von Präservativen für Kinder und minderjährige Jugendliche, deren Rechte auf Gesundheitsvorsorge gemäss Art. 24 UN-KRK zu schützen und nicht nur auf die AIDS-Hilfe zu verweisen. Denn dies ist Stigmatisierung und bedeutet einmal mehr Diskriminierung junger Menschen.

Der Kanton Graubünden entzieht sich aktuell seiner vom Stimmvolk klar vorgegebenen Entscheidung, nämlich sogenannte Hate-Crime-Delikte systematisch zu erfassen. Hier auf eine Entscheidung aus Bern zu warten, ist unverhältnismässig und entspricht nicht dem demokratischen Entscheid vom 9. Februar 2020. Andere Kantone führen bereits erfolgreich eine Statistik und schaffen Transparenz. Im vergangen Jahr dokumentierten wir für den Kanton Graubünden alleine 10 Hate-Crime Delikte.

Die Argumentation der Regierung hinkt also, da gerade LGBTIQ-Menschen sehr wohl Hassdelikte gegen sie bei der Polizei eben aus genau diesem Grund zur Anzeige bringen. Da muss nicht zwangsläufig nach der sexuellen Orientierung gefragt werden. Dass diese Information besonders schutzwürdig ist, ist selbstredend. Wenn eine Person selbst nicht den Eindruck hat, dass es sich um ein Hate- Crime Delikt handelt, muss es unserer Auffassung nach auch nicht als solches erfasst werden. Die Frage nach der sexuellen Orientierung entfällt somit. Die behördliche Beurteilung im Rahmen des Strafverfahrens bleibt in diesem Fall hiervon unbeeinflusst und jeder Person steht es frei, hierzu Angaben zu machen.

Der Kanton Graubünden hat die Kriminalstatistik anzupassen. Jetzt, und nicht morgen.

Gerade in den letzten Wochen gab es vermehrt Angriffe auf die LGBTIQ-Community im Kanton Graubünden und diese wurden durch die entsprechenden Personen bei der polizeilichen Anzeige auch klar als solche Hassverbrechen angeführt (MANNSCHAFT berichtete). Das es zukünftig eine gesamtschweizerische Auswertung geben muss, ist selbstredend, aber bis dahin abzuwarten und auf Zeit zu spielen, ist grob fahrlässig. Das Volk hat an der Urne einen Beschluss gefasst und damit auch Aufträge an die Regierungen impliziert, die nun umzusetzen sind. Im konkreten hat der Kanton Graubünden die Kriminalstatistik anzupassen. Jetzt, und nicht morgen.

Die Regierung schreibt, dass vor schweizweiter Erfassung die Qualität der Daten erst aussagekräftig sein soll. Wann wir das sein? Und sind damit Hate-Crime-Delikte derzeit legitimiert? Wir sind der klaren Meinung: Nein, denn abwarten ist hier keine Lösung, sondern nur eine Verzögerungstaktik. Der Aufwand wird kommen und es gibt keine schlüssige Grundlage, diesen weiter hinauszuzögern und damit LGBT-Menschen eine rechtliche Gleichberechtigung zu ermöglichen. Die Statistik erlaubt eine bessere Ausgangslage für eine gezielte Präventionsarbeit zum Schutz von LGBT-Menschen.»

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