Homosexuelle «heilen» – im Namen der Heiligen

Der Aktivist Antonis Papageorgiou aus Zypern erzählt von seinen Erfahrungen mit einer kirchlichen Konversionstherapie

Der Aktivist Antonis Papageorgiou kämpft gegen Konversionstherapien (Foto: privat)
Der Aktivist Antonis Papageorgiou kämpft gegen Konversionstherapien (Foto: privat)

Ein Priester in Zypern soll Konversionstherapien an queeren Menschen ausüben. Aussagen mehrerer Opfer deuten darauf hin, dass er nicht der einzige auf der Insel ist. Die Kirche hat an der Aufklärung kein Interesse. Ein Text von Alexandra Amanatidou.

Es half kein Beten. Es halfen keine Frauen und auch kein Viagra, um diese befriedigen zu können. Natürlich nicht. Antonis Papageorgiou blieb schwul. Dafür brockte ihm ein Priester Panickattacken ein. Antonis wollte sich sogar umbringen. 15 Jahre ist das her und spielte sich in einem zypriotischen Ferienort ab, 90 Kilometer von Nikosia entfernt.

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«Ich habe gemerkt, dass Aktivist*innen aus der Hauptstadt nicht genau wussten, was sich in den Dörfern des Landes abspielte», sagt Antonis Papageorgiou heute lächelnd und mit dem typischen klangvollen Akzent der Insulaner*innen. Hinter ihm hängt das Bild eines Heiligen. Der 33-Jährige hat Theologie studiert und arbeitet heute als Lehrer. Ausserdem hat ihn seine schmerzvolle Erfahrung zum Aktivisten gemacht.

Einsatz gegen «Homoheiler» Antonis engagiert sich seit einem Jahr bei Accept-LGBT Zypern. Er hat die NGO auf Konversionstherapien, die von einzelnen Priestern auf dem Land stattfinden sollen, aufmerksam gemacht und Aussagen von Betroffenen gesammelt. Er selbst hat 14 Jahre lang unter den Folgen einer solchen Therapie und der emotionalen Manipulation seines Priesters gelitten.

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Alles fing an, als er 18 Jahre alt war. Er fühlte sich von Männern angezogen. Da er aber in einer konservativen Gesellschaft aufwuchs, konnte er seine Identität nicht akzeptieren und bat er seinen Priester im Urlaubsort Agia Napa an der Südküste der Insel um Hilfe. «Er hat mich mit sehr viel Liebe aufgenommen. Wir sassen zur zweit, nebeneinander, allein und im Dunkel. Der umarmte mich und streichelte meine Hand», beschreibt er sein erstes Treffen mit dem Geistlichen.

Belohnung nach dem Tod Allerdings dauerte diese Zärtlichkeit nicht lange. Der Priester soll ihn zum Beten animiert haben, damit er geheilt werden kann. Zusätzlich habe er den Aktivisten aufgefordert beim Onanieren an heterosexuelle Paaren zu denken. Doch das war nicht alles. Der Geistliche soll ihm Frauen vorgestellt haben mit dem Tipp, Viagra zu schlucken, um sie auch sexuell befriedigen zu können. Der Aktivist beschreibt das Ganze rückblickend als «eine grosse emotionelle Last». (Nachdem ein katholischer Pfarrer über Jahre versucht hatte, Alana Chens Homosexualität mit einer Konversionstherapie zu «therapieren», wurde die 24-Jährige nun tot aufgefunden – MANNSCHAFT berichtete).

Die einzige Alternative, zu der ihn der Kirchenmann ermutigen konnte: dass er selbst zum Priester werde. «Zu Lebzeiten ein grösseres Kreuz zu tragen, dafür aber eine grössere Belohnung nach dem Tod», so lauteten die Worte des Priesters, erzählt Antonis.

Die Folge seiner vergeblichen Versuche waren Nervenzusammenbrüche. Er hatte Schmerzen in der Brust, Panikattacken folgten. Schliesslich entstand in ihm der Wunsch, sich umzubringen. Bevor der Aktivist die Kirche und die Therapie endlich verliess, kam es mehrmals zum Streit mit dem Geistlichen. Der hielt ihm vor, er verhalte sich egoistisch, darum sei er auch noch nicht von seiner Homosexualität «kuriert».

Heute akzeptiert der 33-Jährige seine Identität, hat sich allerdings weder bei der Arbeit noch bei seinen Eltern geoutet. Dennoch versucht er, durch seine ehrenamtliche Arbeit bei Accept die Situation der Community auf der Mittelmeerinsel zu verbessern. Bislang hat er drei Aussagen von Opfern des gleichen Priesters sammeln können. Diese Aussagen leitete seine NGO an den Erzbischof Zyperns – Chrisostomou II – weiter, mit der Bitte, diese schädlichen «Therapien» zu beenden.

Kein Einzelfall auf Zypern Obwohl eine genaue Anzahl von Betroffenen nicht bekannt sei, soll sich anhand mündlicher Äusserungen feststellen lassen, dass auch andere Prediger – etwa in den Hafenstädten Larnaka und Limassol – versuchen, queere Menschen «umzupolen». Die meisten Betroffenen wollen keine schriftliche Aussage machen. «Sie fürchten sich vor sozialer Stigmatisierung oder der mächtigen Kirche», erklärt Antonis.

Auf unsere Bitten um eine Stellungnahme hin verwies die Gemeinde von Agia Napa auf das Erzbistum. Es folgte ein ewiges Hin und Her, ohne dass die Kirche etwas Offizielles zum Thema verlauten liess. Allerdings sind auf der offiziellen Website der Kirche von Zypern Bekanntmachungen zu finden, die Angehörige der LGBTIQ-Community dazu auffordern, gegen ihre Identität und Sexualität zu kämpfen. Zusätzlich haben sich Vertreter der Kirche mehrfach negativ über Homosexualität geäussert. So verkündete Christostomos II. in Fernsehsendungen, etwa auf den privaten Sendern MegaOne und Alpha, dass Homosexualität eine «Sünde» sei und «gegen die Natur» verstosse.

Es geschieht beim Geschlechts­verkehr oder bei der Schwangerschaft der Mutter. Dabei wird eine abnorme sexuelle Handlung ausgeübt. Um es klar zu benennen: Analverkehr.

Anders als auf Malta, wo Ende 2016 das EU-weit erste Gesetz gegen Konversionstherapien verabschiedet wurde, ist ein solcher Schritt für Zypern derzeit undenkbar. Es gibt auch unter Politiker*innen niemanden, der sich des Themas annimmt. Was den Schutz von LGBTIQ-Menschenrechten angeht, so steht Zypern auf Nummer 33 (von 49) auf der europäischen Rainbow-Map der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association ILGA. Eine Lebenspartnerschaft ist auf der Insel erst seit 2014 möglich, noch bis 1998 waren hier sexuelle Beziehungen zwischen Männern illegal.

Analverkehr macht schwul? Die Kirche trägt ihren Teil zur Stigmatisierung bei. Erst im Sommer hatte der Bischof der Kirche von Zypern, Neophytos Masouras, behauptet, Schwulsein entstehe dadurch, dass schwangere Frauen Analsex hätten. «Es geschieht beim Geschlechtsverkehr oder bei der Schwangerschaft der Mutter. Dabei wird eine abnorme sexuelle Handlung ausgeübt. Um es klar zu benennen: Analverkehr. Der Heilige Porphyrios sagt, wenn der Frau das gefällt, entsteht ein Verlangen, das an das Kind weitergegeben wird», hatte der Bischof fabuliert. Porphyrios, ein griechischer Mönch, der von 1906 bis 1991 lebte und 2013 posthum als Heiliger der orthodoxen Kirche eingetragen wurde, empfahl Schwulen, zölibatär zu leben und solange zu beten, bis die Homosexualität «wieder verschwinde«. Immerhin, die oppositionelle linke Partei AKEL (Partei des Wiederaufbaus des Arbeitenden Volkes) setzt sich für LGBTIQ-Anliegen ein. So traf sich Anfang Oktober der AKEL-Generalsekretär Antros Kiprianou mit Accept-Mitgliedern, um sich über die Probleme der Community und potenzielle Lösungen auszutauschen. Zusätzlich wurde auf Antrag von AKEL-Abgeordneten über die Grenzen zwischen Meinungsfreiheit und Hassrede in der Kommission für Menschenrechte gesprochen. Am Ende der Sitzung stand die Einsicht, dass eine Verschärfung der Gesetze gegen Hassrede und mehr Aufklärung zu LGBTIQ-Themen nötig seien. Ein Vertreter des Justizministeriums deutete an, dass man die Vorschläge in Betracht ziehen werde.

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