Kampf für Schwulenrechte: «Man muss fordern, nicht betteln!»

Kurt Hiller kämpfte bereits vor 100 Jahren für selbstbewusst auftretende, schwule Männer

Kurt Hiller 1970 in Marburg, (Foto: Kurt Hiller Gesellschaft)
Kurt Hiller 1970 in Marburg, (Foto: Kurt Hiller Gesellschaft)

Kurt Hiller war schwul, Pazifist und Sozialist. Mit einem mutigen Text gegen den §175 wurde zu einem Vorkämpfer für Schwulenrechte und später von den Nazis verfolgt. Am 1. Oktober vor 50 Jahren ist er gestorben.

«Eine Naturerscheinung, die der Mehrheit unbegreiflich oder unbequem ist, hört deshalb nicht auf, eine Naturerscheinung zu sein.» Das sagte Kurt Hiller bereits im Jahr 1928 in einer öffentlichen Rede zum Thema Homosexualität. Hiller wusste, was es bedeutet, nicht der Mehrheit einer Gesellschaft anzugehören. In den unterschiedlichen Systemen, in denen er lebte – in der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus und auch in der frühen Bundesrepublik – erlebte er gleich mehrfach Diskriminierungen. Als Pazifist, Sozialist, Jude, Homosexueller und Abtreibungsbefürworter.

Einzelnen Gruppen liess sich Hiller nur schwer zuordnen: Den Kapitalisten war er ohnehin ein Graus. Aber auch viele Sozialisten konnten wenig mit ihm anfangen, weil er sich nicht orthodox an den Schriften von Karl Marx orientierte. Die Herrschaft der Massen lehnte er ab. Er war vielmehr in diesen Jahren ein Vertreter der «Logokratie» – der Herrschaft der Vernunft, angelehnt an Platons «Philosophenkönige».

Dass Kurt Hiller einmal einen solchen Lebensweg einschlagen würde, war nicht unbedingt vorherbestimmt. Er entstammte einem bürgerlich-jüdischen Elternhaus. Sein Vater war Krawattenfabrikant. Doch dieser starb früh und so wurden zwei andere Personen wichtige Bezugspunkte für ihn. Seine Mutter und sein Onkel Paul Singer, der Co-Vorsitzender der SPD war. Zunächst schlug Hiller aber noch eine bürgerliche Entwicklung ein, studierte und promovierte in Rechtswissenschaften. Enttäuscht war seine Mutter allerdings dann darüber, dass er aus seinem Jurastudium keinen Beruf machte. Stattdessen wurde er Feuilletonist und «Caféhaus-Literat».

Schon im Alter von 23 Jahren wandte er sich mit seinem Buch «Das Recht über sich selbst» öffentlich gegen die Diskriminierung von Homosexuellen. In diesem bereits 1908 publizierten Text forderte er die Selbstbestimmung der einzelnen Person über den eigenen Körper und die Möglichkeit der Geburtenkontrolle. Seit der Veröffentlichung dieser Schrift war er mit dem «Wissenschaftlich-humanitären Komitee» des anderen grossen Pioniers der Schwulenbewegung, Magnus Hirschfeld, verbunden. Hiller wurde Mitte der 20er Jahre dessen zweiter Vorsitzender.

Titelseite von Hillers Buch „§175- Die Schmach des Jahrhunderts“ (Foto: Shizhao, Public Domain)1922 veröffentlichte er dann sein Buch «§175 – Die Schmach des Jahrhunderts». In diesem Jahr gab es in Deutschland 499 rechtskräftige Verurteilungen nach §175. 1925 waren es bereits 1107. Das Buch hatte eine Auflage von 5.000 Exemplaren. Kein Journalist traute sich, es zu besprechen. Trotzdem war es sofort vergriffen.

Hillers Buch war eine für die damalige Zeit bemerkenswert offene Auseinandersetzung mit der Frage der Diskriminierung von gleichgeschlechtlich liebenden Menschen. Der Autor vertrat bereits vor 100 Jahren die Ansicht, dass Homosexualität angeboren sei, während viele andere dies noch bestritten. Er legte auch dar, dass es in der Geschichte immer schwule Menschen gegeben hatte. Damit wandte er sich damit gegen die damals auch in linken Kreisen verbreitete Einstellung, Homosexualität sei eine Dekadenzerscheinung moderner Gesellschaften.



Hiller klagte die Mehrheitsgesellschaft der Weimarer Republik an, die aus Überzeugung, vielmehr aber aus Trägheit und Feigheit dazu beitrug, dass schwule Männer Repressalien ausgesetzt waren und ihre Leben nicht frei leben konnten. Die Welt «stinkt vor Gedankenträgheit», empörte sich Hiller. «Die Welt vergewaltigt, nicht aus Überzeugung, sondern weil es schon immer so war».

Es war ihm wichtig, die sozialen Zusammenhänge deutlich zu machen, in denen schwule Menschen damals lebten. Dass etwa ein erhöhter Anteil an psychischen Problemen in dieser Gruppe nicht etwa zum Wesen der Betroffenen gehörte. Viele Menschen gingen damals davon aus und so entstanden auch die teils bis heute noch gültigen Vorurteile gegenüber homosexuellen Männern. Hiller machte vielmehr klar, dass dies Ergebnis gesellschaftlichen Drucks war – die Gesellschaft dies also selbst hervorrief, worüber sie dann spotten konnte.

Und nicht zuletzt hielt er auch den schwulen Männern selbst den Spiegel vor. Er sagte: «Die oberste Aufgabe des Homosexuellen lautet heute und lautet morgen: zu kämpfen.» Man dürfe sich als schwuler Mann nicht an die bürgerliche Mehrheitsgesellschaft anbiedern. „Man muss nicht betteln, man muss fordern“, schrieb er. Diese Forderung nach einem selbstbewussten Auftreten ist eine Vorwegnahme des Kampfes um Selbstbestimmung durch die Schwulenbewegung der 70er Jahre und des heutigen Pride-Gedankens.

Mit dem Ende der Weimarer Republik wurde es für Kurt Hiller lebensgefährlich. Als Homosexueller, als Jude und als Mitglied der «Gruppe Revolutionärer Pazifisten» hatten es die Nazis auf ihn abgesehen. 1933 wurde er verhaftet und in das KZ Oranienburg bei Berlin eingesperrt, wo er über einen längeren Zeitraum misshandelt wurde und nur knapp überlebte. Nachdem er 1934 freigelassen wurde, flüchtete er über Prag nach London. Aus dem Exil heraus war er neben dem ebenfalls schwulen Schriftsteller Klaus Mann einer der Wenigen, die überhaupt auf die Situation homosexueller Menschen in Nazi-Deutschland aufmerksam machten.

Wie viele Menschen, die vertrieben wurden, haderte auch Hiller mit seinem Ursprungsland. Erst 1955 kam er wieder nach Deutschland zurück. Er wollte das «wissenschaftlich-humanitäre Komitee», einst Schöpfung seines Mitstreiters Magnus Hirschfeld, erneut gründen, scheiterte aber daran. Erfolgreicher blieb er als Publizist. So vor allem in der Schweizer Zeitschrift «Der Kreis», in der Hiller in den 60er Jahren unter dem Pseudonym «Keith Llurr» Texte veröffentlichte.

 

Heute wird nur noch wenig an ihn erinnert. Die «Kurt Hiller Gesellschaft» etwa bemüht sich darum. Doch die Gedenktafel an seinem Berliner Haus erwähnt den Kampf für Schwulenrechte erst gar nicht. Auch der im Jahr 2000 nach ihm benannte Park in Berlin-Schöneberg erhielt erst im vergangenen Jahr eine Infotafel zu seinem Wirken.

Im Gegensatz zu seiner politischen und publizistischen Tätigkeit ist nur wenig über sein Privatleben bekannt. Ein besonders enges Verhältnis hatte Hiller zu Walter D. Schultz, dem späteren Programmdirektor des Norddeutschen Rundfunks. Hiller verliebte sich noch zu Weimarer Zeiten in Schultz, schrieb ab 1935 auch mehrere Liebesgedichte an ihn. Doch trotz einer anfänglichen Affäre war Schultz dann nacheinander mit zwei Frauen verheiratet.

Als Hiller 1972 in Hamburg starb, wurde die Asche mit in dem Grab von Schultz beigesetzt, der bereits einige Jahre vor ihm gestorben war. Hiller wollte nicht, dass auf dem Grabstein eine Inschrift mit seinem Namen angebracht wurde. Im Jahr seines Todes wurde auch posthum der letzte Teil seiner Autobiografie veröffentlicht. Sie hatte den vielsagenden Titel: «Leben gegen die Zeit» – eines Mannes, der seiner Zeit oft voraus war.

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