«Mr. Gay Germany»: Betrugsvorwürfe und interne Ermittlungen
Joyn schmeisst die Reality-Show «vorerst» aus der Mediathek
«Diese Show hat der Vielfalt einen Bärendienst erwiesen»: So beginnt diese Woche ein Enthüllungsartikel der Bild-Zeitung zur Reality-Show «Mr. Gay Germany». Die Sendung wurde daraufhin vom Streamingdienst Joyn aus dem Online-Angebot entfernt.
Wir erinnern uns: Neun Wochen lang konnte man jeden Freitag beim Streaminganbieter von ProSiebenSat.1 die diesjährige Mr.-Gay-Germany-Wahl mitverfolgen. Dabei gab es erstmals viele Einblicke hinter die Kulissen. Gedreht wurde in einer Villa in Sitges, 40 Kilometer von Barcelona entfernt.
Im grossen Finale am 9. Februar wurde der Jungunternehmer Lukas Küchen aus Köln zum Sieger gekürt, der 22-Jährige konnte sich gegen seine Mitstreiter durchsetzen und wurde nach seinem Sieg offiziell zum «Botschafter der deutschen LGBTIQ-Community» benannt.
Im Boulevardblatt hiess es im Februar: «In seiner Jugend outete sich Lukas als homosexuell, wurde dafür gemobbt und diskriminiert, berichtet er auf seinem Instagram-Profil. Heute sitzt er uns als ein sehr reflektierter, selbstbewusster und fröhlicher junger Mann gegenüber.» Er gestalte sein Leben jetzt «aktiv», sagte er und kämpfe «für wichtige Werte».
«Liebe kennt keine Grenzen» Küchen wolle vor allem für junge LGBTIQ ein Vorbild sein, sagte er: «Es ist wichtig, authentisch zu sein und ich werde versuchen, auch die ‹ungezügelten› Seiten meiner Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen. Ich freue mich darauf, an Projekten und Veranstaltungen teilzunehmen, die die Rechte und Akzeptanz der queeren Community fördern.»
Der frisch gekürte Mr. Gay Germany ergänzte damals: «Ich selbst identifiziere mich als pansexuell und bin überzeugt, dass Liebe keine Grenzen kennt. Ich liebe also den Menschen – unabhängig vom Geschlecht.»
Nun scheint es, dass der Streaminganbieter schon im Februar – also zum Zeitpunkt der Siegerkürung – interne Ermittlungen angestellt habe, «um etwaigen Schaden von Joyn abzuwenden». Laut Bild-Informationen sollen sowohl die Kandidaten als auch Produktionsmitarbeiter*innen einen Fragenkatalog erhalten haben. Joyn habe auf diesem Weg herausfinden wollen, ob einzelne Juroren mit Küchen schon vor dessen Gewinn befreundet gewesen sein könnten. Denn «von sehr vielen Seiten» sei die rechtmässige Wahl von Lukas «erheblich angezweifelt» worden, heisst es.
«Ekelhafte Anschuldigungen» Bereits Ende Januar hatte die Zeitung Express berichtet, dass eine Welle an «anonymen und gefälschten Briefen» verschickt worden sei. Mit diesen sollen einzelne Kandidaten «mit teils ekelhaften Anschuldigungen» geschädigt worden sein und «die ganze Wahl als Fake-Show» verunglimpft worden sein. Laut einem dieser Briefe soll dem (nicht namentlich genannten) Kölner Kandidaten «die Botschaft des CSD» und der LGBTIQ-Bewegung «völlig egal» sein. «Es gehe ihm nur ums Feiern und den Titel», so Express.
Weiter hiess es damals: «In dem Lügen-Brief werden auch (…) eine Drogenabhängigkeit, Prostitution und geheime Absprachen mit dem Veranstalter aufgeführt.» Letzteres ist genau das, was nun von der Bild-Zeitung als Vorwurf gross aufgegriffen wurde.
Bild hat recherchiert, dass der CEO von «Mr. Gay Germany», Patrick Dähmlow, bereits 2018 ein gemeinsames Foto von sich und Lukas auf Instagram geteilt habe mit dem Hashtag #friends. Und: «Es scheint allgemeine Verwunderung gegeben zu haben, dass Lukas immer wieder Challenges gewinnt.» Der Vorwurf laute, Bewertungen könnten nachträglich angepasst worden sein.
Nach dem aktuellen «Enthüllungsartikel» entfernte Joyn die Sendung nun aus der Mediathek und teilte mit: «Leider gibt es inzwischen Zweifel am fairen Ablauf des Auswahlprozesses, die wir nach interner Prüfung nicht vollständig aufklären können.»
«Gib Hass und Hetze im Netz keine Chance!» Das konkrete Ergebnis der Prüfung-via-Fragebogen wurde nicht bekanntgegeben. Dähmlow erklärte allerdings, dass Küchen seine Siegerschärpe behalten solle. Gegenüber Bild sagt er: «Für uns ist die Entscheidung, die Sendung vorerst runterzunehmen, nicht nachvollziehbar und wir versichern, dass die Wahl im Rahmen des Regelwerks wie jedes Jahr fair und mit den 11 Juroren abgesprochen durchgeführt wurde.»
Der 22-jährige Küchen selbst dementierte die Vorwürfe und sagte, sie seien frei erfunden. Drei der elf Juroren habe er aus der schwulen Szene in Köln gekannt, was aber in einer Stadt wie Köln «ganz normal» sei, so Küchen.
Die Mr.-Gay-Germany-Wahl war dieses Jahr zum ersten Mal von Kameras mitverfolgt und als Realityshow gezeigt worden.
Nachdem es zuvor bereits Kritik an Küchen wegen vermeintlich «frauenfeindlicher» Videos auf Tiktok gegeben hatte – in denen es um Make-up bei Männern ging –, hatte es heftige Kommentare von Mitgliedern der LGBTIQ-Community gegeben. Der ehemalige Vize-Mr. Gay Germany, Maurice Schmitz, sagte über Küchen: «Und so eine Person soll unsere Community repräsentieren? Absolute Fehlbesetzung!»
@miss.ivanka.t Mister Gay Germanys worte zum Weltfrauentag #Meinung #Feminist #Makeup #männer #Catfish ♬ Originalton – miss.ivanka.t
Auf die Kritik des ehemaligen Gast-Jurors beim Mr.-Gay-Germany-Wettbewerb, David Lovric, antwortete Küchen: «Dass du dich nicht durch mich repräsentiert fühlst, ist absolut in Ordnung! Eine einzige Person kann nicht eine grosse bunte Community repräsentieren.»
Als Reaktion auf die fortwährende Aburteilung seiner Person und Statements veröffentlichte Küchen am vergangenen Wochenende ein weiteres Tiktok-Video, in dem er etliche der Hassbotschaften vorstellte und sagte: «Gib Hass und Hetze im Netz keine Chance!»
Bild schreibt zusammenfassen über die Situation: «Als wahrer Sieger geht aus dieser Show wohl niemand mehr hervor.» Joyn betont in einem Statement auf Twitter, dass man weiterhin die LGBTIQ-Community in verschiedenen Formaten repräsentieren und für alle Beteiligten «faire Rahmenbedingungen» bestmöglich sicherstellen wolle.
Es solle «unter keinen Umständen» unfairem Verhalten eine Plattform gegeben werden, so Joyn.
Der ehemalige Mr. Gay Germany, Tony Eberhardt, mischt jetzt in Österreich die Handball-Liga auf, als erster queerer und gehörloser Spieler (MANNSCHAFT berichtete).
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