John Grant: «Wir brauchen Empathie in der Community»
Der 50-jährige Musiker über Männlichkeit, Ausgrenzung und seine HIV-Diagnose
John Grant ist ein Star im schwulen Underground. Der Sänger und Songwriter, der schon an der Seite von Künstlern wie Hercules & Love Affair, Robbie Williams oder Kylie Minogue zu hören war, veröffentlichte im Oktober sein viertes Soloalbum «Love Is Magic». Beim Gespräch mit der Mannschaft besticht der 50-Jährige einmal mehr mit Klarsicht statt Verklärung.
John, du sprichst fliessend Deutsch. Wie kam es dazu? Ich habe sehr viel Nina Hagen gehört als Teenager und mich total in «NunSexMonkRock» verliebt. Das ist bis heute meine Lieblingsplatte. Durch sie wurde ich auch auf ihre ersten beiden Alben aufmerksam. Die Texte faszinierten mich und ich wollte ganz genau wissen, was sie da von sich gab. Deswegen fing ich an, in der Schule Deutsch zu lernen. Im letzten Highschooljahr. Erstaunlicherweise war ich sehr gut, was mich rettete in einer Zeit, in der ich unfähig war, mit meiner Sexualität umzugehen. Die Lehrerin damals hat sich meiner angenommen.
Inwiefern? Sie hat mich unterstützt und am Wochenende ins Café eingeladen, um Deutsch mit mir zu reden. Irgendwann ermutigte sie mich, dass ich das nach meinem Schulabschluss intensivieren sollte.
Was du getan haben musst, denn man hört nicht mal einen Akzent. Dankeschön. Ich habe 1987 einen sechswöchigen Austauschkurs im Norden Deutschlands gemacht. Nachdem ich die Prüfung zum Nachweis deutscher Sprachkenntnisse bestanden hatte, schrieb ich mich als Student ein und fing an, zusätzlich Russisch zu lernen.
Und damit nicht genug. Du sprichst noch weitere Sprachen. Spanisch und Isländisch mittlerweile. Wobei die isländische Grammatik ein Alptraum ist. Wahnsinn! Aber es macht so viel Spass!
Deppen, Arschlöcher, aber auch nette Menschen gibt es überall. Man findet seine Ecken.
Island ist das Stichwort. Du wohnst mittlerweile dort. Was hat dich an dem Land gereizt? Ich weiss es nicht. Zu dem Zeitpunkt war ich an nichts gebunden. Man hatte mich für Auftritte eingeladen und die Landschaft, die Sprache und die Leute reizten mich.
War es die richtige Entscheidung? Lebst du gerne dort? Ich kann mir vorstellen, an den verschiedensten Orten zu leben. Deppen, Arschlöcher, aber auch nette Menschen gibt es überall. Man findet seine Ecken. Zurück in die USA zu ziehen, wäre auch denkbar. Auch wenn mir die politische Landschaft dort überhaupt nicht gefällt. Aber da sind eben meine Leute, mit denen ich aufgewachsen bin. Nur bin ich so sprachenbegeistert, dass ich immer mal wieder um die Welt ziehen muss.
Als Musiker tust du das mehr als viele andere. Welches Bild von unserem Planeten hast du auf deinen Reisen gewonnen? Dass die Menschen alle gleich sind. Natürlich gibt es kleine Unterschiede, aber weniger, als wir meinen. Wobei ich sagen muss, dass Russland mir wie ein anderer Planet erschien. Obwohl man auch dort übers Essen nachdenkt, über Kleidung, darüber, aufs Klo zu gehen, über Arbeit, Liebe und Sex.
Wenn du auf deine bisherige Karriere zurückschaust, welche Höhepunkte kommen dir in den Kopf? Mit Elton John im Hubschrauber zu seinem Konzert zu fliegen, das war geil! Oder neben Alison Goldfrapp in der Royal Albert Hall auf der Bühne zu stehen, mit Tracy Thorn zu singen oder Elizabeth Fraser von den Cocteau Twins kennen zu lernen. Der helle Wahnsinn! Mit Elizabeth werde ich demnächst zusammenarbeiten. Ein Traum, der in Erfüllung geht. In Russland auftreten und mit den Leuten dort kommunizieren zu können, war auch ein Highlight. Keine Angst haben zu müssen, in den Knast zu kommen, weil ich schwul bin, sondern einfach ich selbst sein zu dürfen. Ich hatte vorher echt Schiss. Jahrelang hatte ich mich mit ihrer Sprache beschäftigt, und dann fing ich an, die Russen zu hassen. Bis mir klar wurde, dass ich sie nicht für ihre Regierung und Gesetze verurteilen kann. Immerhin finde ich es auch ungerecht, als Amerikaner mit unserer Politik gleichgesetzt zu werden.
Liebe verändert dich. Ob du das willst oder nicht. Und zwar zum Guten, wenn du sie zulässt.
Kommen wir zu deinem neuen Album «Love is Magic». Was macht Liebe aus deiner Sicht zu etwas Magischem? Liebe verändert dich. Ob du das willst oder nicht. Und zwar zum Guten, wenn du sie zulässt und die Lehren lernst, die sie dir anbietet. Zum Beispiel, sich selbst zu lieben, damit man andere lieben kann. Wer nicht sanft und respektvoll mit sich selbst umgeht, wird das auch nicht bei einem Gegenüber können. Das war auch für mich eine harte Lektion. Das Magische ist, dass es sich wirklich lohnt, auch wenn der gemeinsame Alltag manchmal hässlich aussieht und der Sex nicht immer funktioniert. Manchmal braucht es Jahre, bis dahingehend der nächste Fortschritt oder die nächste Verwandlung eintritt. Aber wenn man am Ball bleibt und nicht aufgibt, passieren Dinge, die man sich nicht zu träumen gewagt hätte. Intimität mit einem anderen Menschen gehört dazu.
Was kannst du zu der Entstehung deiner Platte berichten? Gab es eine bestimmte Herangehensweise, einen speziellen Ansatz? Ja, auf jeden Fall. Ich wollte unbedingt das Klangbild im Griff haben, bevor ich anfing, Texte zu schreiben. Deshalb habe ich zehn Monate lang an den Sounds gearbeitet. Zusammen mit Benge von der Gruppe Wrangler, den ich dank unseres gemeinsamen Projekts Creep Show kenne. In seinem Studio in Cornwall. Er hat Hunderte von analogen und modularen Synthesizern in seinem Keller. Es war die reinste Wonne, mit den Dingern herumzuexperimentieren. Ich konnte die Klänge einatmen und auf mich wirken lassen. Es war die schönste Zeit in meinem Leben. Bis auf gewisse Weihnachtsfeste in meiner Kindheit.
Wie hast du dann die passenden Worte zu deinen Instrumentierungen gefunden? Die Lieder und Soundskizzen haben mich wissen lassen, was sie verlangen oder welche Geschichten zu ihnen passen. Es ist schön, zu wissen, dass man dem Prozess als solchem vertrauen darf.
Die russischen Jungs sind sowas von tapfer. Sie werden verprügelt und mit Urin beworfen, wenn sie geoutet leben.
Inwiefern kann Musik aus deiner Sicht die Gleichstellungsbewegung unterstützen? Hat man als Musiker die Chance, seinen Teil dazu beizutragen? Ja, indem man Präsenz zeigt. Aber auch, indem man in seinen Lyrics die Pronomen nicht ändert und aus einem «er» kein «sie» macht, nur um nicht negativ aufzufallen. Man sollte von seinem Alltag erzählen. So, wie er wirklich ist. Bleib du selbst. Das ist sehr wichtig. Viele Jahre hat sich das keiner getraut. Elton John oder Freddie Mercury haben das Spiel zum Beispiel eine Weile mitspielen müssen. Als ich nach Russland ging, performte ich meine Lieder, wie sie sind. Ich musste nicht gross predigen oder medienwirksam in den Knast kommen. Die Leute haben sich gefreut, dass ich da war, und wussten, wovon ich singe. Das hat Mut gemacht, obwohl es für schwule Männer dort nicht leicht ist. Die russischen Jungs sind sowas von tapfer. Sie werden verprügelt und mit Urin beworfen, wenn sie geoutet leben.
In Westeuropa und Amerika, in Grossstädten wie Berlin, New York oder London, kann man als Homosexueller heutzutage relativ unbeschwert leben. Gibt es deiner Meinung nach aber noch immer Hindernisse? Auf jeden Fall. Ich weiss nicht, wie man das ändert. Vielleicht wirklich, indem man schlicht sein Leben lebt und keine Angst hat, damit raus in die Öffentlichkeit zu gehen. Leider kommen zurzeit wieder viele Stimmen auf, man solle Homosexuellen schaden. Es gibt Leute, die ohne Hemmungen ihren Hass in die Welt tragen. Ohne Gewissensbisse pfeifen sie es von allen Dächern. Und scheinbar dürfen sie das auch ungehindert. Das ist schlimm und beängstigend. Und was kann man dagegen tun? Einfach man selbst bleiben und sein Ding machen.
Die Präsenz, von der du bereits sprachst, scheint wirklich ein wichtiger Faktor zu sein. Auch, um die Vielschichtigkeit des Schwulseins zu verdeutlichen. Wir müssen einander unterstützen und aufpassen, uns nicht gegenseitig fertigzumachen. Denn mir scheint es, als ob das innerhalb der homosexuellen Gesellschaft recht häufig passiert. Verständnis für trans Frauen und Männer zu haben, auch wenn man das selbst nicht verstehen oder nachfühlen kann, ist wichtig. Es braucht Empathie und keine Verurteilungen. Männlichkeit wird auch innerhalb der Community oft benutzt, um zu diskriminieren. Nach dem Motto, du bist nicht Mann genug oder zu tuntig. Zu schrill oder zu gay. Dabei sind das doch genau die Aussagen, vor denen viele von uns in ihrer Jugend weggerannt sind. Damit müssen wir aufhören. Ich selbst habe das auch getan und will das nicht mehr.
Warum ist denn die sexuelle Orientierung von Musikern, Schauspielern und anderen generell so interessant für viele? Das wüsste ich auch gern. Keine Ahnung. Ich habe selbst schon Dinge wie «Tom Cruise» und «Boyfriend» bei Google eingegeben. Vielleicht, weil ich Hoffnungen hatte, irgendwann etwas mit Tom Cruise haben zu können. Wobei ich das eigentlich gar nicht mehr möchte.
Dass ich Sex oft mit Angst verbunden hatte, störte mich.
Du hast deinen HIV-Status irgendwann öffentlich gemacht. Ist es dir wichtig, mit Stigmata zu brechen und aufzuklären? Bei mir ging es vor allem darum, mit meinem Selbsthass umzugehen und mir die Frage zu beantworten, warum ich mir das selbst angetan habe. Der Typ, mit dem ich geschlafen habe und bei dem ich mich ansteckte, hatte mir damals gesagt, er sei negativ. Doch das stimmte nicht. Danach wurde ich oft gefragt, ob ich ihn hassen würde oder ihn fertiggemacht hätte. Solche Gefühle hatte ich nie. Ich bin derjenige gewesen, der sich nicht geschützt hat. Fertig. Punkt. Niemand hat mich dazu gezwungen, ohne Kondom mit ihm Sex zu haben. Ich wollte verstehen, wie ich derart wenig von mir halten konnte, dass ich mich in eine solche Gefahr begeben habe. Das wäre komplett vermeidbar gewesen. Irgendwie war ich aber auch erleichtert, als ich erfahren habe, dass ich HIV habe. Plötzlich hatte ich keine Angst mehr, mich anzustecken.
Dass ich Sex oft mit Angst verbunden hatte, störte mich. Nicht, dass es nicht schon schwer genug gewesen war, als homosexueller Mann zu leben. Die Erleichterung, die ich dann aber verspürte, fand ich ebenso komisch. Sogar krankhaft. Als ich von der Bühne verkündete, dass ich HIV-positiv bin, tat ich das aus einem einzigen Grund: Weil ich ein Lied singen wollte, wo es genau darum ging. Um Stigmatisierungen. Es gab Zeiten, da hätte ich meine Krankheit genutzt, nur um Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Doch nachdem ich clean geworden war vor vierzehn Jahren, sollte damit Schluss sein. Mir wurde klar, dass ich nicht aufhören kann, Drogen zu konsumieren, wenn ich gleichzeitig ein derart selbstzerstörerisches Verhalten zeige.
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