Ja, ich will – Authentisch queer heiraten oder Holly­wood kopieren?

Bei homosexuellen Trauungen wünschen sich Paare oft Rituale, die sie von Heteros nahezu unreflektiert übernehmen

(Symbolbild: Unsplash)
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Würdest du lieber so heiraten wollen, wie es in Hollywood vorgeführt wird oder soll es sich lieber authentisch und ehrlich anfühlen? Warum alte Traditionen oft nicht auf homosexuelle Paare passen.

Ein Kommentar* von Bertold Höcker

Als Pfarrer habe ich in vielen Berufsjahren etliche queere und heterosexuelle Trauungen geleitet. Dazu gehörten Vorgespräche und der eigentliche Traugottesdienst. Oft wünschten sich in diesen Gesprächen besonders viele verschiedengeschlechtliche Paare, dass die Braut vom Vater in die Kirche geführt werden sollte und der Bräutigam bereits zusammen mit dem Pfarrer oder der Pfarrerin die Braut vor dem Altar empfangen sollte.

Ich habe gerade in den Vorgesprächen oft verzweifelt dagegen gekämpft. Der Sinn dieses Rituals ist nämlich, dass die Braut aus dem Herrschaftsbereich des Vaters in den Herrschaftsbereich des Ehemannes übergeben wird. Das ist aber ganz sinnwidrig zum christlichen Eheverständnis, das die Gleichheit der Geschlechter voraussetzt. Trotz der Aufklärung über das Verständnis dieses Rituals waren viele Eheleute nicht von dem Wunsch abzubringen, dieses Ritual zu übernehmen.

Ähnlich verhielt es sich mit dem Kuss des Paares im direkten Anschluss an den Trauakt innerhalb des Gottesdienstes. Ursprünglich war es die Erlaubnis, ab diesem Zeitpunkt Sex haben zu können. Heute wirkt das befremdlich, wenn bereits alle wissen, dass Sexualität schon lange vor der Eheschliessung zum Alltag des Paares gehörte. Diese Liste liesse sich noch viel weiter verlängern. Immer fiel mir dabei auf, welche grosse Angst davor besteht, neue Rituale zu entwickeln, die die überholten ersetzen oder ergänzen könnten.



Das Erstaunlichste war für mich, dass auch bei gleichgeschlechtlichen Trauungen die Paare oft Rituale wünschten, die sie von verschiedengeschlechtlichen Eheschliessungen nahezu unreflektiert übernehmen wollten. Alle meine Aufklärungsversuche über den tiefen Sinn der oft lange überholten Rituale bei der Trauung verpufften meist wirkungslos.

Wenn Spiele überholte Rollenmuster transportieren Statt die Besonderheiten wie sie gerade in einer gleichgeschlechtlichen Ehe zum Tragen kommen, zu entfalten, wurden die alten Rituale, die schon zu einer gleichgeschlechtlichen Trauung rein gar nicht mehr passen, gewünscht. Solche Besonderheiten sind z.B., dass die Rollenmuster nicht geschichtlich vorgeprägt sind. Das ist eine besondere Chance. Dass die alten Muster tradiert werden, traf auch auf die Feiern nach der Trauung zu, bei denen oft Spiele zur Unterhaltung herhalten müssen, die wieder überholte Rollenmuster transportieren, statt die Besonderheit des Paares zur Geltung zu bringen.

Die alten Rituale zementieren ein vergangenes Verständnis von ungleichen Rechten der beiden Eheleute. Ausserdem wird die überholte Deutung von asymmetrischer Sexualität verfestigt, die wir gerade glücklich als überwunden glaubten. Letztendlich stimmen alle diese alten Rituale für die meisten Paare heute nicht mehr. Was ist die Ursache dafür, dass sie immer noch von so vielen Paaren gewünscht werden?

Die alten Modelle versprechen die Sicherheit zur etablierten Gesellschaft zu gehören, die aber heute nur noch Schein ist. Die überholten Rituale wirken irgendwie vertraut und erwecken den Anschein, dass ihre Wiederholung auch gleichgeschlechtlichen Trauungen eine legitimierte Stellung gibt. Alle diese Wünsche gründen in einem Defizitgefühl: auch bei einer gleichgeschlechtlichen Trauung zeigen zu wollen, dass wir jetzt endlich gleichwertig sind. Meist bestehen Ängste, etwas Neues zu entwickeln.

Die Lösung, dass sich eine Trauung authentisch und stimmig anfühlt, liegt im Eheverständnis. Eine moderne evangelische Ehe besteht in der gleichberechtigten Beziehung zweier Menschen, die füreinander Verantwortung übernehmen wollen. Diese Verantwortung gilt voraussetzungslos. Das ist das eigentliche Charakteristikum einer Ehe. Es gibt keine einschränkende Voraussetzung für mein Ja-Wort.



Eine Ehe dauert eben nicht nur, solange man sich liebt oder bis die Stimmigkeit abhandengekommen ist etc. Eine Ehe dauert lebenslang, bis dass der Tod die Ehe scheidet. Im Himmel ist man nicht mehr verheiratet. Das voraussetzungslose «Ja» zu einem anderen Menschen ist die höchste Form der Verbindlichkeit. Sollte ich dagegen eine Voraussetzung machen, dürfte ich die Ehe nicht eingehen. Deshalb sollte man sich lange prüfen, ob man dieses Versprechen abgeben kann oder nicht.

Wie könnte nun ein gelingendes Ritual aussehen? Ich möchte das am Beispiel des Eheversprechens zeigen. Ein Eheversprechen ist Kern einer Trauung und Basis einer authentischen Feier. Die Feier oder der Gottesdienst orientieren sich in Form und Inhalt ganz an dem Eheversprechen. Was ist nun dieses Eheversprechen? Es gibt dafür drei formale Anforderungen:

  1. Zunächst sagt man, woher man seine*n Partner*in nimmt (z.B. aus Gottes Hand oder durch glückliche Fügungen etc.). Damit bestimmt man den Deutungsrahmen der Partnerschaft.
  2. Nun verdeutlicht man, welche konkreten Inhalte man einander, der versammelten Gemeinde oder Gemeinschaft verspricht.
  3. Abgeschlossen wird das Eheversprechen mit einer Formel, die die Voraussetzungslosigkeit bekräftigt. Das geschieht in der Regel durch Worte wie «solange ich lebe» oder «bis dass der Tod uns scheidet».

Das schafft viel Raum, sich einander, Gott und den Menschen zu versprechen. Dabei muss jedes Wort, das man verspricht, zumindest unter den Eheleuten selbst einer gemeinsamen Interpretation unterliegen. Ich darf nichts versprechen, was die andere Seite womöglich anders versteht als ich es meine. Deshalb müssen sich auch beide Partner*innen wortgleich dasselbe versprechen.

Die Formulierung eines Trauversprechens ist in der Regel ein Prozess von Monaten. Aber besser so, als dass ich mich auf eine Ehe einlasse, bei der die beiden Eheleute etwas ganz Unterschiedliches für ihre Ehe erhoffen und verstehen.

Die staatliche Eheschliessung macht keinerlei inhaltliche Vorgaben. Sie beurkundet nur einen Konsens, die Ehe mit einer anderen Person eingehen zu wollen. Wem das reicht, der sollte nicht kirchlich heiraten. Allerdings ist die Erarbeitung eines Trauversprechens ein wunderbarer Prozess der ehrlichen Vertiefung einer Beziehung, der alle Mühen wert ist. Ein solcher Prozess lohnt sich auch für eine bestehende Beziehung, die damit vertieft und authentischer gemacht wird. Bei Ehejubiläen oder Festen kann ein solches öffentliches Versprechen wiederholt oder anlässlich entwickelt werden.

Wenn ich frage, was sich authentisch also stimmig anfühlt, werde ich schnell ein Ritual entwickeln können, das einem zeitgemässen Eheverständnis entspricht. So kann z.B. der Einzug in die Kirche eines gleichgeschlechtlichen Paares von den Familien der beiden begleitet werden, sodass neben Pfarrperson und dem Paar auch die Herkunftsfamilien und/oder wichtige Lebensbegleitende mit einziehen.



Die Aufgabe der Ritualkundigen ist es, mögliche Doppelbotschaften oder ungeschickte Signale in den neu entwickelten Ritualen zu erkennen und mit den Beteiligten eine Sensibilität dafür zu entwickeln, was wirklich stimmt. Gerade bei gleichgeschlechtlichen Trauungen stehen wir ganz am Anfang, stimmige Rituale zu haben, die die Charakteristik der Eheleute und die Kernelemente einer Trauung zu einer authentischen Ausdrucksform bringen.

Wenn das Paar, ob verschieden- oder gleichgeschlechtlich, sich gern küssen möchte, könnte das ganz am Beginn des Einzugs bei einer Trauung. Küssen sollten sich die Paare aber nicht direkt im Anschluss an die Trauhandlung, wenn sie vermeiden wollen, dass Signal, jetzt können wir endlich Sex haben, zu senden.

Also: Vorsicht beim Heiraten, wenn du lieber Authentizität statt Hollywood-Kopie willst.

Sam Altman, Geschäftsführer von OpenAI, hat seinen Partner Oliver Mulherin geheiratet. In Hawaii haben sich die beiden das Ja-Wort gegeben (MANNSCHAFT berichtete).



* Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.

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