«Hier gayt’s ab»: Der Boom des schwul-lesbischen TV-Datings

Mittlerweile läuft die dritte Staffel von «Prince Charming»

Lars Tönsfeuerborn (l) und Nicolas Puschmann (Foto: Gerald Matzka/dpa)
Lars Tönsfeuerborn (l) und Nicolas Puschmann (Foto: Gerald Matzka/dpa)

«Prince Charming» gewann als schwule Datingshow einen Grimme-Preis und zeigt mit seinem lesbischen Gegenstück die Ankunft des Queeren im Mainstream. Nun läuft schon die dritte Staffel bei TVnow. Von Gregor Tholl, dpa

Weg vom Rand in die Mitte der Bildschirmgemeinschaft? «Je öfter Diversität im TV und Streaming gezeigt wird, desto normaler wird es für die Menschen», sagte die Kölner Rechtsanwältin Irina Schlauch, bevor ihre Suche nach einer Partnerin beim RTL-Streamingdienst TVnow als «Princess Charming» ausgestrahlt wurde. Eine zweite Staffel der lesbischen Kuppelshow ist in Planung. Bei den Männern ist man weiter. Bei TVnow ist schon dritte Staffel von «Prince Charming» bei TVnow verfügbar (später bei Vox zu sehen).

Das vermeintliche Trash-Format, das auf «Finding Prince Charming» von ViacomCBS International basiert, gewann für die Premierenstaffel einen Grimme-Preis, der für gelungenes Fernsehen, das «vorbildlich und modellhaft» ist, verliehen wird. Als Märchenprinz fungiert in der neuen, auf Kreta aufgezeichneten Staffel der 31 Jahre alte Bremer Automobilkaufmann Kim Tränka.

Auf dem Instagram-Account der Formate «Princess Charming» und «Prince Charming» heisst es locker: «Hier gayts ab». Gay steht in LGBTIQ und ähnlichen Abkürzungsreihen für «gay», was eigentlich «fröhlich» bedeutet, dann lange eher abwertend als Wort für Schwule benutzt wurde und nun positiv von sogenannten Gays angeeignet worden ist.

Bislang erscheint 2021 vielen als ein Jahr des Megathemas Diversität – als ein Jahr, in dem Queeres Mainstream geworden ist und die sogenannte Heteronormativität als System, das ausschliesslich zwei Geschlechter akzeptiert, das Weibliche eher unterdrückt und gleichgeschlechtliches Begehren abwertet, zunehmend hinterfragt wird.

TV schwul
TV schwul

Im Februar outeten sich im Rahmen der Initiative #actout «185 lesbische, schwule, bisexuelle, queere, nicht-binäre und trans Schauspieler*innen» – und forderten mehr Anerkennung in Theater, Film und Fernsehen (MANNSCHAFT berichtete). Die ARD brachte eine schwule Serie ins Programm («All You Need»), das ZDF eine lesbische («Loving Her»).

Im Juni während der Fussball-EM beschäftigte dann Millionen der Wirbel um das Regenbogen-Verbot beim Deutschland-Spiel gegen Ungarn in der Münchner Arena (MANNSCHAFT berichtete) – selbst Leute, Marken und Organisationen, die vielen bislang als wenig progressiv galten, zeigten Flagge für Vielfalt. Auch bei den Olympia in Tokio gab es einige Zeichen pro Diversität (MANNSCHAFT berichtete).

Das alles konnte als Zeichen dafür gelesen werden, dass die Anliegen queerer Menschen in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, wie es dann gern formuliert wird. Eine echte Ehe eingehen dürfen Schwule und Lesben ja schon seit vier Jahren, die eingetragene Partnerschaft für Homo-Paare wurde vor 20 Jahren eingeführt. 50 Jahren nach dem damals skandalösen Film «Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt» ist also viel passiert in Deutschland.

Doch dass alles okay in der bunten Republik Deutschland sei, kann man keineswegs sagen. Viele outen sich lieber nicht am Arbeitsplatz und auch behördlich gibt es noch Diskriminierung. So dürfen Männer, die mit Männern Sex haben, nur dann Blut spenden, wenn sie angeben, monatelang sexuell enthaltsam gewesen zu sein, so als ginge das Infektionsrisiko nicht von einem Verhalten aus, sondern von einer sexuellen Identität.

Tagtäglich werden Menschen angepöbelt, bedroht und angegriffen, weil Menschen ihren Hass auf LGBTIQ in Gewalt ausleben.

Nach wie vor gibt es ausserdem Attacken. Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) nannte kürzlich die Häufung der Angriffe «mehr als besorgniserregend»: «Tagtäglich werden in Deutschland Menschen angepöbelt, bedroht und angegriffen, weil Menschen ihren Hass auf LGBTIQ in Gewalt ausleben.» Die Erfassung und Strafverfolgung dieser Hasskriminalität gehöre auf die innenpolitische Agenda. «Mit Ausnahme von Berlin veröffentlicht kein Bundesland regelmässig die registrierten Zahlen.»

Zudem gilt nach wie vor das Transsexuellengesetz, das Betroffene als demütigend empfinden, weil sie sich vor der offiziellen Änderung ihres Namens und Personenstands von Staats wegen Fragen zu ihrer Unterwäsche oder zu Masturbationsfantasien gefallen lassen müssen.

Bei den bisherigen gleichgeschlechtlichen TVnow-Datingshows ging es übrigens meist nicht mit der grossen Liebe aus. «Princess» Irina Schlauch und ihre Auserwählte Lou wurden kein Paar. Und auch «Prince» Alexander Schäfer und sein Auserwählter Lauritz sind nicht liiert.

Doch darum geht es vielen Zuschauenden sowieso nicht, sondern eher um das Gefühl, ganz normal in Massenmedien repräsentiert zu werden.

Einziges Paar der Show-Reihe sind «Prince» Nicolas Puschmann und der Podcaster Lars Tönsfeuerborn aus der ersten Staffel. Die beiden gaben zwar im November bekannt, sich zu trennen, kamen dann aber wieder zusammen, wie es im Januar hiess. Bei ihrem Tingeln durch die Medien waren sie unter anderem beim Vox-Format «Das perfekte Dinner» zu Gast. Tönsfeuerborn nahm im Januar an der RTL-Dschungelshow teil. Und Puschmann, öfter auch Talkshow-Gast, nahm im Frühjahr mit Vadim Garbuzov als Männer-Tanzpaar an der RTL-Show «Let’s Dance» teil, wo sie nach einigem Hin und Her den dritten Platz erreichten (MANNSCHAFT berichtete).

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