Herrlich komisch, aber auch erschütternd: «In den besten Händen»
Jetzt in den deutschen Kinos, in der Romandie lief er schon unter dem Titel «La Fracture»
Die Beziehung von Raphaela und Julie ist im Film «In den besten Händen» fast am Ende. Wobei Raphaela noch glaubt, dass die Partnerschaft eine Zukunft hat. Als die beiden mal wieder darüber streiten, wie es weitergeht, kommt es zu einem schmerzhaften Unfall.
Von gesundem Beziehungsverhalten kann bei Raf kaum mehr die Rede sein. Die Mittvierzigerin (Valeria Bruni-Tedeschi) schickt nachts schon mal der neben ihr liegenden, langjährigen Lebensgefährtin dutzende wütende, verzweifelte und teilweise unflätige SMS, nur um dann am Frühstückstisch kaum glauben zu können, dass Julie (Marina Foïs) sich das mit der eigentlich längst eingeläuteten Trennung doch nicht noch einmal überlegen will.
Doch die Beziehung der beiden Frauen ist in «In den besten Händen» («La Fracture»), dem neuen Film von Frankreichs bekanntester lesbischer Regisseurin Catherine Corsini (zum Interview mit MANNSCHAFT+), nicht das einzige, das im Umbruch oder besser: am Kollabieren ist. Auch das Gesundheitssystem des Landes ist an seine Grenzen gekommen. Eigentlich will das Personal in den Krankenhäusern streiken, um die immer schlechter werdenden Arbeitsbedingungen zu protestieren. Doch dann müssen Krankenschwestern wie Kim (Aïssatou Diallo Sagna) wieder Doppelschichten schieben, weil sonst gar nichts mehr geht.
Auch die französische Gesellschaft insgesamt steht – wir schreiben das Jahr 2018 – vor einer Belastungsprobe. Zu Hundertausenden protestieren wütende Bürger*innen die sich durch Macrons Finanzpolitik in ihrer Existenz bedroht sehen, und nicht nur weil sich auch extreme rechte und linke Kräfte unter die sogenannten Gelbwesten mischen, kommt es immer wieder zu Eskalationen.
Als Comiczeichnerin Raf sich beim Sturz auf der Strasse den Arm bricht, prallen all diese Welten und Konflikte in der Notaufnahme aufeinander. Dort wartet auch der aus der Provinz angereiste LKW-Fahrer Yann (Pio Marmaï) auf seine Behandlung, der bei einer Gelbwesten-Demo schwer am Bein verletzt wurde. Mit ihm legt sich Raf auf ähnlich aufbrausend-irrationale Weise an wie mit Julie, die als Notfall-Kontakt allerdings ebenfalls bald im Krankenhaus auftaucht und sich parallel Sorgen um ihren Sohn macht, der mittendrin zu sein scheint in den gewalttätigen Protesten auf den Pariser Strassen. Und Kim stösst in dieser Nacht, in der irgendwann auch Zuflucht suchende Demonstrierende in die Notaufnahme drängen und die Polizei samt Tränengas anrückt, auch deswegen an ihre Grenzen, weil parallel immer wieder ihr Partner in Sorge um das gemeinsame Baby am Telefon ist.
Aus diesem sich über wenige Stunden erstreckenden Chaos strickt Corsini, deren Lebensgefährtin Elisabeth Perez auch dieses Mal wieder als Produzentin verantwortlich zeichnet, eine Mischung aus Krankenhausdrama, bitterer Komödie und anklagender Gesellschaftskritik. «In den besten Händen» ist herrlich komisch, aber auch erschütternd anzusehen, und die Regisseurin beweist eindrucksvolles Gespür für das richtige Timing in diesem Film, der in seiner von Wut getriebenen Dringlichkeit auch viele stille, beobachtende Momente zulässt.
Exzellent ist in diesem Realismus atmenden Film, der für seine selbstverständliche Darstellung der lesbischen Beziehung im Zentrum in Cannes 2021 mit der Queer Palm ausgezeichnet wurde, auch das Ensemble. Während Bruni-Tedeschi mal wieder beweist, dass sie Frankreichs vielleicht eigensinnigste, energischste Schauspielerin ist, entpuppt sich die zurecht mit dem César bedachte Aïssatou Diallo Sagna als heimlicher, seelenvoller Star des Films. Schauspielerin ist sie eigentlich nicht, sondern arbeitet – wie viele ihrer Film-Kolleg*innen – tatsächlich als Krankenschwester.
Das Filmfestival in Cannes feiert 75. Geburtstag – mit Tilda Swinton, Kristen Stewart, Kirill Serebrennikow und vielen anderen (MANNSCHAFT berichtete).
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