Fühlt sich Gianni Infantino immer noch schwul?

Der DFB braucht den FIFA-Chef

FIFA-Präsident Gianni Infantino in Katar (Foto: Tom Weller/dpa)
FIFA-Präsident Gianni Infantino in Katar (Foto: Tom Weller/dpa)

Nach seiner «denkwürdigen» Pressekonferenz ist Gianni Infantino seltener zu sehen. Was treibt den Schweizer, der wie keiner seiner Vorgänger nach Macht zu streben scheint? Eine Annäherung.

Jan Mies, dpa

Immer auf dem breiten weissen Sessel. Es ist dieses eine Bild von Gianni Infantino, das sich während der Fussball-WM in Katar wiederholte. Der FIFA-Präsident auf seinem Ehrenplatz im Al-Bait Wüstenstadion, umgeben von den Reichen und Mächtigen dieser Welt, von Staatschefs und Einflussnehmern. Am Mittwochabend war es der französische Präsident Emmanuel Macron. Infantino lächelte. Wer wetten möchte: Vor dem Endspiel der Franzosen gegen Argentinien am Sonntag (16.00 MEZ) wird der Schweizer mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut berichten, es sei die «beste WM aller Zeiten».

Am Freitag wird der FIFA-Präsident bei einer zweiten Pressekonferenz sprechen, die zumindest potenziell wieder «denkwürdig» werden könnte, wie DFB-Präsident Bernd Neuendorf Infantinos ersten Auftritt in Katar genannt hatte. Der FIFA-Präsident «fühlte» vor vier Wochen im riesigen WM-Medienzentrum allerlei, unter anderem sich selbst homosexuell und arabisch (MANNSCHAFT berichtete). Der folgende Aufschrei war einkalkuliert. «Kreuzigt mich», forderte Infantino, und der Schachzug ging auf. Der FIFA-Präsident, nicht mehr der WM-Gastgeber, stand im Zentrum der Kritik.



«Er hat sich zum Anwalt des Ausrichters gemacht. Gleichzeitig weiss er, dass sich die meisten Verbände den Vorbehalten aus Teilen Westeuropas nicht anschliessen», sagte der frühere DFB-Präsident Reinhard Grindel der Deutschen Presse-Agentur. Infantino geniesst innerhalb seiner aus 211 Mitgliedsverbänden bestehenden FIFA grössten Rückhalt. Der Weltverband überweist die Milliardeneinnahmen der WM grösstenteils weiter. «Mit Geld geht alles», sagte ein weiterer einst tief mit der FIFA verwobener Funktionär der dpa.

Mit dem DFB, dem grössten aller Nationalverbände, verbindet Infantino ein ambivalentes Verhältnis. Öffentlichkeitswirksam hatten die Deutschen zwar verkündet, dem Schweizer für die Nominierung zur Präsidentenwahl im März keine Stimme gegeben zu haben. Von einer Art «Opposition» mit weiteren europäischen Verbänden war die Rede. Der DFB braucht aber Infantino und dessen Gunst, um die Frauen-WM 2027 wie gewünscht nach Deutschland, Belgien und in die Niederlande zu holen. Die verweigerte Stimme war Schönfärberei – kein Verband muss einen Kandidaten nominieren.

Das zaghafte Aufbegehren wird Infantino kaum stören. Auch Neuendorfs Vor-Vorgänger Grindel war dem FIFA-Präsidenten in herzlicher Abneigung verbunden. Empfindlicher trifft den Schweizer die Kritik des früheren Arbeitgebers. Die Europäische Fussball-Union, die Infantino einst als Generalsekretär mit führte, trägt die grossen Wünsche der FIFA nicht mit. Die UEFA verwaltet die mit Abstand wichtigsten Vereinswettbewerbe, es ist ein stetes Gezerre um Spiele und Geld. Mit Kopfschütteln werde Infantinos Auftreten inzwischen wahrgenommen, sagte ein ranghoher UEFA-Funktionär, und das sei freundlich ausgedrückt.

Bis 2027 werde «Infantino an einer Imagekorrektur arbeiten, weil er wegen der WM in den USA gar nicht darum herumkommt», sagte Grindel. Anders als in Katar würden die nationalen Sponsoren Druck machen vor dem Mega-Turnier mit 48 Mannschaften, dem ersten, das in Infantinos Amtszeit abgesegnet wurde. «Es würde mich nicht überraschen, dass sich die FIFA dann um Menschenrechte und Diversität kümmert. Das wird vor allem in den USA erwartet», sagte Grindel.

Die im Aufschrei um Katar stets geforderte Implementierung von Menschenrechtskriterien bei der WM-Vergabe hat die FIFA längst geschafft. Im Sturm der Kritik gingen auch die durchaus positiven Entscheidungen zu Entschädigungszahlungen für ausländische Arbeiter in Katar und der Einrichtung einer Art Gewerkschaftsbüro in Doha unter. Infantino dürfte dies als seine Erfolge werten und zu gegebener Zeit daran erinnern.

Der Schweizer lenkte die FIFA und seinen eigenen Blick in den vergangenen Jahren immer weiter weg vom europäischen Kerngeschäft. Vermarkter und Grosssponsoren werden nicht mehr vorrangig in der westlichen Welt gesucht und gefunden, sondern in Asien und auch der arabischen Welt. Gute Beziehungen nach Saudi-Arabien sind verbrieft, ebenso natürlich nach Katar, wo Infantino zwischenzeitlich wohnt. Der FIFA-Präsident wird hofiert, wo immer er aus dem Privatjet steigt.

Seinen Werdegang hatte der Familienvater zu WM-Beginn selbst in den Fokus gerückt – als weniger gelungenem Vergleich zu Katars Gastarbeitern. Infantino berichtete von seiner schweren Kindheit als Einwandererkind mit roten Haaren und Sommersprossen in der Schweiz, geboren ist er im beschaulichen Wallis. Nur wenige Kilometer entfernt hatte auch Vorgänger Joseph Blatter das Licht der Welt erblickt, was als kurioser Zufall im Weltfussball betrachtet werden darf. Es kann unmöglich an der guten Bergluft liegen, die Neigung zur Glitzerwelt des Weltfussballs zu entwickeln.

Im Vergleich zu Blatter, der sich auch mit 86 Jahren immer mal wieder zur dunklen FIFA-Vergangenheit äussert, ist Infantino Geschäftsmann durch und durch. Blatter, dessen Dialekt auf Deutsch stärker ausgeprägt ist, erzählte zwar insbesondere zum Ende seiner langen Ära viele Dinge, über die der Kopf geschüttelt werden musste. Den Langzeit-Präsidenten (1998 bis 2016) umgab aber immer etwas Unbedarftes. Zu glauben, irgendwo tief im Herzen ginge es ihm vor allen anderen Dingen um das Spiel an sich, war leichter als es jetzt bei Infantino ist.

«Den Fussball zurück zur FIFA, die FIFA zurück zum Fussball» zu bringen, war und ist einer von Infantinos Leitsprüchen. Sichtbar ist, dass sich um den FIFA-Präsidenten zahlreiche Altstars scharen. Die «Legenden», zu denen auch der deutsche Rekordspieler Lothar Matthäus gehört, wurden zur WM auf Verbandskosten eingeflogen und untergebracht. Nicht in Doppelzimmern oder Stockbetten, in Katar ist das Fairmont Doha der FIFA-Hauptsitz. Bei Nacht wirkt das wie ein Halbmond an der Küste gebaute und teils rot angestrahlte Luxushotel entweder beeindruckend oder bedrohlich.

Die Gesellschaft ist wichtig für Infantino. Vor der Endrunde gingen Fotos des FIFA-Präsidenten vom G20-Gipfel auf der indonesischen Insel Bali um die Welt. Die wichtigsten Entscheider des Planeten waren vor Ort – ausser der LGBTIQ-feindliche Kriegstreiber Wladimir Putin, mit dem Infantino vor, während und kurz nach der WM 2018 noch eine innige Geschäftsbeziehung verband. Beim Finale sassen sie damals nebeneinander.

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