«Er ist auch homosexuell – aber ganz nett!»

Die neue Familien-Kolumne auf MANNSCHAFT

Foto: Lilith Redmoon/Unsplash
Foto: Lilith Redmoon/Unsplash

In der neuen MANNSCHAFT-Kolumne: «Familie ist, wenn man trotzdem lacht» geht es um den heteronormativen Wahnsinn unserer Blutsverwandten. Teil 1: Homosexuell – aber ganz nett!

Meine Mutter ist kein schlechter Mensch. Ich glaube, sie ist nicht mal homophob. Nein, sogar ziemlich sicher nicht. Vermutlich habe ich das verhindern oder zumindest abmildern können, als ich mich vor ihr outete – damals in einem dieser Jahre, die noch mit den Ziffern 19- begannen. So wie Kinder, die sich als schwul, lesbisch, trans oder sonstwie vor ihren Eltern offenbaren, das eben bei ihren Altvorderen bewirken: Homosexualität ist zwar widerlich, aber du bist nunmal mein Kind usw.



Das ist kein Automatismus, leider. Es gibt auch Familien, die so verbohrt, dumm, unempathisch, katholisch oder was auch immer sind, dass ihre Homo- oder Transphobie so hartnäckig und tiefverwurzelt ist, dass sie lieber an ihr festhalten, als ihr eigenes Kind zu umarmen oder zu akzeptieren. Was für fortgeschritten arme Würstchen! Und damit ist noch gar nichts darüber gesagt, wie ich auf die armen Kinder schaue.

Ich weiss nicht, ob es eine vorgeschriebene Dauer für ein Coming-out gibt und ob die Länge etwas darüber aussagt, wie tief die Bindung ist, wie gross das Drama. Bei meiner Mutter und mir dauerte es schätzungsweise 2 Minuten. Dann war das Thema erledigt. Sie sagte sowas wie: Naja, wir haben uns ja eigentlich etwas anderes vorgestellt. Immerhin umarmte sie mich danach. Glaube ich jedenfalls. Wahrscheinlicher ist es, dass ich sie umarmte. Umarmen, ausser bei der Begrüssung oder beim Verabschieden, ist nicht ihre Stärke. Sie ist eben keine Olivia Colman, die ihren Bi-Sohn in «Heartstopper» so herzerwärmend an die Brust drückte. Frau Colman sollte Fortbildungen geben: So reagiere ich richtig auf das Coming-out meines Kindes!

Wie gesagt, meine Mutter ist nicht homophob. Und sie möchte auch nicht in den Verdacht geraten. Darum hat sie eine besondere Erzählweise entwickelt. Wenn sie mir berichtet, dass den Sohn einer Nachbarin oder einer entfernten Bekannten aus meiner niedersächsischen Heimatstadt (oder sonst eine Person, die ich garantiert nicht kenne) dasselbe Schicksal wie mich ereilt hat, dann tut sie dies immer in derselben Formulierung: «Der ist auch homosexuell – aber gaaanz nett.»

Ich weiss dann immer nicht: Was will sie mir mitteilen? Dass nicht alle schwulen Männer unausstehlich sind? Danke, Mutti, das beruhigt mich zutiefst. (Ein paar Schwule sind es aber sehr wohl!)



Manchmal frage ich mich, ob meine Mutter sich selber zuhört beim Reden. Aber das ist ausgeschlossen. Sie hört nicht mal ihren Kindern zu, wenn sie aus ihrem Leben erzählen. Spätestens nach drei Sätzen fällt sie einem mit irgendeiner sinnlosen Bemerkung ins Wort.

In Familien gewöhnt man sich an alles. Isso. Umso mehr bewundere ich meine kleine Schwester, die vor einigen Jahren den Kontakt zu unserer Mutter abgebrochen hat. Aber das ist eine andere Geschichte.

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