Facebook bewirbt auf arabischsprachigen Seiten «Homoheilung»

Die Nachrichtenagentur Reuters hat zusammen mit LGBTIQ-Aktivist*innen aus Ägypten Missstände bei Facebook aufgedeckt

Ein Mann mit Kopfbedeckung (Symbolfoto: Houssam Korichi / Unsplash)
Ein Mann mit Kopfbedeckung (Symbolfoto: Houssam Korichi / Unsplash)

Auf den Facebook-Seiten in arabischer Sprache florieren Werbung für und Hinweise auf Konversionstherapien, obwohl das Social-Media-Netzwerk im vergangenen Jahr versprochen hatte, entsprechende Inhalte zu untersagen.

LGBTIQ-Aktivist*innen in arabischen Ländern weisen darauf hin, dass immer mehr Posts auf Facebook «Heilung» von Homosexualität versprechen, Posts, die von verifizierten Nutzer*innen stammen, die ihre «Leistungen» Millionen von Followern anbieten.

Laut Medienberichten sollen die entsprechenden Inhalte besonders jenen LGBTIQ-User*innen sichtbargemacht worden sein, die Facebook genutzt hatten, um Informationen und Hilfe rund um sexuelle Orientierung bzw. Geschlechtsidentität zu finden. Das betrifft auch die Eltern von Kindern, die sich geoutet hatten oder bei denen Eltern ein Abweichen von der Heteronorm vermuten.

«Facebook hat mich zur Konversionstherapie geführt, und ich bin da nicht allein», sagt der 24-jährige Omar aus Ägypten der Nachrichtenagentur Reuters. «Ich habe danach nicht gezielt gesucht, vielmehr wollte ich verstehen, ob es normal sei?»

Zur Erinnerung: 2020 hatten die Tech-Giganten Facebook, Twitter und Instagram verkündet, dass sie jegliche Hinweise auf Konversionstherapien entfernen wollten (MANNSCHAFT berichtete). Während Facebook entsprechende Schritte auf den meisten seiner Seiten umgesetzt hat, scheint es, dass die Firma diese Politik nicht auf arabischsprachigen Seiten anwendet. Es sind dort nicht nur Post sichtbar, die aus der Zeit vor dem Verbot stammen und «vergessen» wurden, sondern auch unendlich viele neue Posts – und es werden täglich mehr, wie Aktivist*innen beklagen. Sie versuchen die entsprechenden Inhalte zu kennzeichnen und zu melden.

Beispielsweise ein neues Video, in dem Eltern, die glauben, ihre Kinder könnten homosexuell sein, aufgefordert werden, diese so lange zuhause «einzusperren», bis sie Hilfe organisieren können. Denn solche Menschen stellten (laut Botschaft im Video) «eine Gefahr für die Gesellschaft» dar.

Der Leiter einer ägyptischen LGBTIQ-Organisation, der anonym bleiben will, sagt zur Nachrichtenagentur: «So weit wir sehen können, werden solche Post so gut wie nie gelöscht, egal was die Regeln [von Facebook] festlegen.»

Analuntersuchungen Dass fast alle (westlichen) Vertreter*innen von Mainstream-Gesundheitsorganisationen Konversionstherapien ablehnen und mit Folter vergleichen, die zu erhöhtem Selbstmordrisiko und Drogenmissbrauch führen können, scheint den Facebook-Verantwortlichen im arabischsprachigen Raum entweder egal zu sein – oder sie wissen es nicht, wie Nora Norella meint, eine ägyptische LGBTIQ-Forscherin. Sie sagt: «Wenn du ein Elternteil bist, das nur Arabisch spricht, und du öffnest Facebook auf der Suche nach Informationen, dann siehst du nur Posts von Leuten, die behaupten, sie seien Ärzte, und dass es sich [bei Homosexualität] um eine Krankheit handle, die sie heilen können.»

Einer der profiliertesten «Therapeuten» im arabischen Raum ist Awsam Wasfy, der 150.000 Follower auf seiner Seite hat und diesen seine Erfolge bei der «Heilung» von Homosexualität anpreist. Ebenfalls auf Facebook findet man die Sexualtherapeutin Heba Kotb, die zwei Millionen Follower hat und Analuntersuchungen durchführt, als Teil ihres Verfahrens zur «sexuellen Bewertung» der Situation.

Heba Kotb
Heba Kotb

Kotb sagt laut Reuters, Facebook sei der zentrale «Kanal» über den sie und ihre Mitarbeiter*innen mit «Patienten» in Kontakt seien, besonders während der Corona-Pandemie. «Ich habe nicht weniger als 3.000 Fälle von Homosexuellen behandelt, in der gesamten arabischen Welt», sagt sie und verkündet stolz: «[Ich habe] eine 100-prozentige Erfolgsrate.»

Gegenüber Reuters behauptet Facebook, dass weder die Seite von Wasfy noch die von Kotb «aktiv» gegen Firmenstandards verstiessen. Der US-amerikanische LGBTIQ-Aktivist Mathew Shurka sagt, das Unternehmen von Mark Zuckerberg behandle das Thema wie ein Automatenspiel, bei dem sich dauernd die Bilder ändern und rasend schnell neu zusammensetzen – oder in diesem Fall die Sprache und Taktik von Facebook. Was sie schwer greifbar macht.

Zwiespältige Firmengeschichte Facebook hat eine durchaus zwiespältige Geschichte, was den Umgang mit Konversionstherapien betrifft. Es wurde schon öfters aufgedeckt, dass das Unternehmen Werbegelder angenommen hat, um entsprechende Therapien gezielt zu bewerben und User*innen auszuspielen in der Timeline.

Nachdem die Nachrichtenagentur Reuters Facebook nun mit mehr als einem Dutzend Beispielen konfrontierte, wo Konversionstherapien auf ihrer Seite offen beworben wurden, hat das Unternehmen nach und nach die meisten dieser Posts entfernt, heisst es, auch einen von Wasfy, in dem er eine Zoom-Veranstaltung zur «Heilung» von Homosexualität ankündigte.

Laut Facebook würden derzeit weitere Posts geprüft, scheinbar verstiessen sie nicht gegen die sogenannten «Community Standards», auf die Facebook an anderer Stelle oft gnadenlos pocht – besonders wenn es um positive queere Inhalte geht, für die User regelmässig gesperrt werden und selten die Chance kriegen, Widerspruch einzulegen (MANNSCHAFT berichtete).

Das könnte dich auch interessieren