Disney+ zeigt «Pride»-Dokus – unbedingt sehenswert!

Wissenswertes über Wurzeln und Traumata der Community

Foto: Disney+
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Stonewall? Aids-Krise? Der Kampf um die Ehe für alle? Alles Schnee von gestern und kalter Kaffee, der keinen mehr interessiert? Ganz so ist es nicht, wie aktuell die Doku-Reihe «Pride» mal wieder beweist. Jetzt bei Disney+.

Keine Frage: Vieles, was in den sechs Folgen (aufgeteilt nach Jahrzehnten, von den 1950er bis in die 2000er Jahre) in Sachen queerer Lebensrealitäten und LGBTQI-Geschichte verhandelt wird, kennt man. Zumindest wenn man sich schon einmal damit auseinandergesetzt hat, was die Community in den vergangenen 70 Jahren für Entwicklungen durchlaufen hat, nicht zuletzt in den USA, auf deren Perspektive sich diese unter anderem von Produzentin Christine Vachon («Halston», «Boys Don’t Cry», „«Far From Heaven») verantwortete Doku konzentriert.

Homophobe Arbeitsgesetze in der McCarthy-Ära und die nach ihrer geschlechtsangleichenden Operation in den Medien als erste trans Frau gefeierte Christine Jorgensen haben hier natürlich ihren Platz, das Aufkommen der Pride-Bewegung und des Drag-Booms, der Mord an Harvey Milk und Anti-Gay-Aktivist*innen wie Phyllis Schlafly oder Anita Bryant, später dann Fortschritte unter Clinton und wegweisende Supreme-Court-Entscheidungen ebenso.

Doch wer nun meint, «Pride» würde nur Altbekanntes wiederholen und bestenfalls als Geschichtsstunde für Cis-Heteros taugen, die mit Ach und Krach wissen, wofür die Regenbogenflagge steht, liegt falsch. Zum einen, weil es auch unter queeren Menschen (gerade den jüngeren) genug gibt, die wenig wissen über die Wurzeln der Community, über die Traumata, Kämpfe und Errungenschaften, die uns dorthin brachten, wo wir heute stehen. Und zum anderen, weil die Serie ausführlich genug ist, um nicht bloß die üblichen Eckpfeiler abzuarbeiten.

So bleibt Raum für Geschichten und Protagonist*innen aus der zweiten und dritten Reihe. Egal ob es um die Rolle des schwulen Aktivisten Bayard Rustin für die Schwarze Bürgerrechtsbewegung, eine Begegnung der Regisseurin Cheryl Dunye mit der Witwe ihrer Kollegin Barbara Hammer oder tolle Underground-Aufnahmen (auch von einem jungen RuPaul) aus der New Yorker Szene der 80er geht – hier ist viel Neues und Faszinierendes zu entdecken.

Natürlich gibt es auch viel Archivmaterial und kluge Talking Heads wie Susan Stryker, John Waters, Margaret Cho oder Zackary Drucker zu sehen, die man oft auch aus vergleichbaren Produktionen wie «Visible: Out on Television» oder «Disclosure: Trans Lives on Screen» kennt. Das raubt der Sache aber nichts an Kraft. Und eine besondere Stärke entwickelt «Pride» nicht zuletzt dadurch, dass jede Episode in andere queere Regie-Hände gelegt wurde.

Den Auftakt macht Tom Kalin («Wilde Unschuld»), der zum Glück als einziger auf mit Schauspieler*innen nachgestellte Szenen setzt, gefolgt von Andrew Ahn («Driveways»), besagter Cheryl Dunye (die auch auf ihren eigenen legendären Film «The Watermelon Woman» verweist), Anthony Caronna & Alex Smith, dem Oscar-nominierten trans Filmemacher Yance Ford und Ro Haber. Sie alle drücken den Episoden ihren eigenen Stempel auf, und im Gesamtbild kommt die Serie so vielschichtig, individuell und facettenreich daher wie queeres Leben eben ist. Lange Rede, kurzer Sinn: selbst wenn man mit der Materie allgemein vertraut ist, ist «Pride» unbedingt sehenswert.

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