Die Leihmutter-Lüge wird das Ja zur Ehe für alle nicht verhindern

Die Gegenseite verbarg im Abstimmungskampf ihre wahren Beweggründe

(Symbolbild: unsplash)
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Das Komitee Ehe für alle machte lebensbejahende Werbung für das Ja zum Ja-Wort. Die Gegner*innen verbreiteten hingegen Unwahrheiten und Hass. Doch das wird nicht reichen, um die Schweiz von diesem historischen Schritt abzubringen, schreibt Silvan Hess in seinem Samstagskommentar.*

Semper aliquid haeret. Diese Plutarch zugeschriebene Phrase bedeutet auf Deutsch: «Irgendetwas bleibt immer hängen» und bezeichnet eine argumentatorische Fallgrube, der man mehr oder weniger machtlos ausgeliefert ist. Im Alltag kann das etwa so aussehen: Mein grosser Bruder machte sich einen Spass daraus, den Leuten zu erzählen, ich könnte nicht schwimmen. In Wahrheit kann ich ziemlich gut schwimmen und habe es auch früh erlernt als Kind. Eine frei erfundene Behauptung. Und doch glauben nun viele Leute in meinem Umfeld, dass ich vermutlich wirklich nicht so gut schwimmen kann – selbst wenn ich das abstreite! Semper aliquid haeret.

Es wird sogar oftmals schlimmer, wenn man sich gegen die Behauptung wehrt, weil man sich dann auf die Argumentation einlässt. Das ist bereits ein Sieg für den Gegner oder die Gegnerin.

So lässt sich der Ruf politischer Kandidat*innen besudeln. Wer auf diese Weise jedoch eine Abstimmung gewinnen möchte, muss ziemlich verzweifelt sein. Etwa so verzweifelt wie ein Abstimmungskomitee, das weiss, dass es nur rund ein Drittel der Menschen auf seiner Seite hat.

Die Leihmutterschaft ist so wenig Teil der Ehe für alle, wie ich Nichtschwimmer bin.

Semper aliquid haeret: Gegner*innen der Ehe für alle haben sich diesen Satz zum Motto für ihren Abstimmungskampf gemacht, indem sie dreist die Leihmutterschaft ins Spiel brachten. Auf schockierenden Plakaten verknüpfen sie die Eheöffnung mit der Leihmutterschaft und setzen diese der Sklaverei gleich (MANNSCHAFT berichtete). Nur: Die Leihmutterschaft ist so wenig Teil der Ehe für alle, wie ich Nichtschwimmer bin. Aber wir wissen ja, wie das bei mir herauskam.

Tatsächlich musste ich feststellen, dass diese verwerfliche Taktik recht gut funktioniert. Jemand sagte mir, dass er eigentlich für die Eheöffnung stimmen möchte – doch wegen dieser Leihmutterschaft sei er sich nicht sicher …

Einen Tag vor der Abstimmung will ich deshalb nochmals klarstellen: Das Verbot der Leihmutterschaft steht bei diesem Urnengang nicht zur Debatte. Dafür bräuchte es eine separate Abstimmung – und das ist auch gut so. Im Gegensatz zur Ehe für alle handelt es sich dabei nämlich um ein juristisch und emotional komplexes und vielschichtiges Thema, das eine vertiefte Auseinandersetzung benötigt. Dazu gehören auch Erfahrungsberichte aus Ländern, wo die Leihmutterschaft erlaubt ist. So sehe ich das jedenfalls.

Die Ehe für alle sollte hingegen eine klare Sache sein; ein no-brainer würde man auf Englisch sagen. Weshalb sollte die Liebe zwischen Mann und Frau mehr wert sein als die Liebe zwischen Mann und Mann oder Frau und Frau? Es gibt keine rationale Begründung für diese Diskriminierung.

Gleichgeschlechtliche Paare nehmen den Heteropaaren übrigens auch nichts weg, wenn sie heiraten dürfen. Ausser vielleicht den einen oder anderen Parkplatz vor dem Standesamt. Oder ist die Ehe ein Luxusgut, das an Wert verliert, wenn es in höherer Auflage produziert wird? Vielmehr sollten sich die Bürgerlichen freuen, dass sich die LGBTIQ-Community derart für dieses bürgerliche Konstrukt begeistert.

Wir suchen also immer noch nach den wahren Beweggründen der Gegner*innen. Wie schlecht muss man dieses wahre Argument einschätzen, dass man es gar nicht erst vorbringt, sondern hinter einem Vorwand versteckt, der wiederum auf einer Lüge basiert? Wie schon bei der Ausweitung der Anti-Rassismusstrafnorm ist es ziemlich eindeutig: Es handelt sich dabei um Hass und Ablehnung gegenüber Schwulen und Lesben. Man gönnt «denen» einfach nicht, dass sie jetzt noch wie «normale Leute» heiraten dürfen. Das ist alles.

Dass Ablehnung und Hass die Triebfeder der Gegner*innen sind, äusserte sich auch im Abstimmungskampf. MANNSCHAFT berichtete über Beschädigungen von Plakaten und Fahnen, die für die Eheöffnung warben. Über eine Cyberattacke, die die Website des Ja-Komitees zeitweise lahmlegte. Über eingeladene Redner, die Homosexualität als «heilbares Identitätsproblem» bezeichnen.

Beschädigen, attackieren, verneinen.

Und das Ja-Komitee? MANNSCHAFT sprach im Frühling mit Gráinne Healy. Sie war Vorsitzende von «Marriage Equality Ireland« und Codirektorin der erfolgreichen Abstimmungskampagne «Yes Equality». Ihr wichtigster Tipp für die Schweizer Kampagne lautete: «Setzt auf positive Werte, auf positive Gefühle und auf eine positive Kampagne.»

Das hat die Community umgesetzt. Strahlende Gesichter, lebensbejahende Botschaften, bunte Bilder – ideale Werbung für das Ja zum Ja-Wort. Vor dem Hintergrund der Exponent*innen des Nein-Lagers war das natürlich umso einfacher und kontrastreicher. Es war so klar wie in einem Kindertrickfilm, wer hier die «Guten» und wer die «Bösen» sind.

Wir sollten vielleicht nicht zu enttäuscht sein, wenn die Sache knapper wird, als prophezeit und erhofft. Denn: Irgendetwas bleibt immer hängen. Aber dieses «Irgendetwas» wird nicht reichen, um die Schweiz noch von diesem historischen Schritt für die Gleichstellung abzubringen.

*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar oder eine Glosse zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.

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