Coming-out im Fussball: Es geht nicht nur um die Spieler*innen

Seit einem Jahr gibt es die Anlaufstelle für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt von DFB und LSVD

Foto: Tobias Trosse
Foto: Tobias Trosse

Vor einem Jahr hat der DFB gemeinsam mit dem Lesben- und Schwulenverband in Deutschland eine Anlaufstelle für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt im Fussball eingerichtet (MANNSCHAFT berichtete). Ansprechpartner ist Christian Rudolph. Wir zogen mit ihm ein Resümee, sprachen über Lesben im Fussball, trans Kicker*innen und über Katar.

Yannik Schümann träumt davon, dass sich ähnlich wie bei #ActOut 185 Profikicker*innen zusammentun und sich outen (MANNSCHAFT berichtete). Wie wahrscheinlich ist es, dass das in den nächsten 12 Monaten passiert? Erst einmal muss ich sagen, wie wichtig ich #ActOut letztes Jahr fand (MANNSCHAFT berichtete). Zum einem war das für alle ein ganz bedeutender Schritt, die hinter der Kampagne stehen. Zum anderen hat die Aktion leider noch mal ganz deutlich gezeigt, wie wenig selbstverständlich Coming-outs nach wie vor in unserer Gesellschaft sind. Selbstbestimmte Coming-outs sind heute leider immer noch so sehr notwendig. Wir brauchen Menschen, die auch den Schritt in die Öffentlichkeit gehen. die davon erzählen und anderen Mut machen. #ActOut war also ermutigend und ernüchternd zu gleich.

Die Kampagne war aber auch mit Vorbild für #Kickout vom DFC Kreuzberg. Sie wurde letztes Jahr im Kicker veröffentlicht und sorgte für eine grössere Öffentlichkeit und Sichtbarkeit von LGBTIQ im Fussball (MANNSCHAFT berichtete). Das war eine schöne Dynamik und fühlte sich gut an. Mir schwebt eine sportübergreifend Coming-out Kampagne zur SportPride 2022 vor.

Die Anlaufstelle gibt es jetzt ein Jahr. Was hat sich seither für queere Kicker*innen gebessert? Die Anlaufstelle «Team out and proud“ zu haben ist schon mal ein ganz wichtiger Schritt. Das zeigen allein schon die vielen Beratungsanfragen …

Melden sich eher Schwule oder Lesben oder lernwillige Heteros? Mehrheitlich auf jeden Fall lernwillige Heteros. Das Interesse ist riesig, sei es von Regional- und Landesverbänden, von anderen Fussball- und Sportverbänden, aus dem Profibereich, den Nachwuchsleistungszentren, aus der LGBTIQ-Community, Wissenschaft, Politik, Medien, Sponsoren oder von Einzelpersonen und Eltern. Letztlich spielen alle in dem Spiel mit und legen gemeinsam die Regeln fest. Wenn wir etwas verändern wollen, dann können wir das nur gemeinsam.

Meine Aufgabe ist es, die Interessen und Rechte der LGBTIQ-Community im Fussball sichtbar nach innen wie nach aussen zu vertreten. Es war insgesamt ein sehr bewegtes Jahr. Trotz Corona bin ich viel unterwegs gewesen und konnte mich vielen Akteur*innen vorstellen, hauptsächliche online natürlich. Ich unterstützte die Fachaustausche, zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt und Sexismus mit den Anlaufstellen den Regional- und Landesverbänden. Dafür konnten wir etwa auch den amtierenden MrGayGermany Max Appenroth (MANNSCHAFT berichtete) für einen Vortrag zu geschlechtlicher Vielfalt gewinnen. Der Landesverband Mittelrhein hat mit Andreas Stiene einen neuen und erfahrenen Ansprechpartner für LGBTIQ. Andreas ist in Köln, NRW und Umgebung für sein Engagement bekannt ist. Zum CSD in Köln veranstalteten wir die erste Regenbogen-Sportarena zusammen unter anderem mit dem Come Together Cup, SC Janus, dem Fussball-Verband Mittelrhein, 1. FC Köln, Landessportbund NRW und weiteren.

Beim DFB-Pokal und den Spielen der Herren-Nationalmannschaft gibt es auch All-Gender-Toilette und der DFB hat im Rahmen der SportPride die Progressiv Pride Flag vor der Geschäftsstelle gehisst. Wir begleiteten die 11 Freunde-Kampagne #IhrkönntAufUnsZählen mit, die 12-seitige Kicker-Reportage über Homophobie im Fussball. Und dann war da noch die Fussball-EM der Männer mit der Regenbogenarmbinde von Manuel Neuer (MANNSCHAFT berichtete) und die ganze Diskussion um die Allianz-Arena zum Spiel gegen Ungarn. Seit Jahresbeginn läuft die FanQ-Umfrage unter Fans zum Thema Homofeindlichkeit im Fussball.

Personen in der Transition können selbst entscheiden, ob sie weiter in ihrem alten Team spielen oder wechseln möchten.

Und konntest du ganz konkret etwas bewirken? Wie steht es mit trans oder nicht-binären Kicker*innen: Ist das schon überall, angefangen bei der Kreisliga, geregelt, in welcher Mannschaft sie spielen (dürfen) – also Herren bzw. Damen? Inzwischen sind weitere Landesverbände dem Berliner Fussball-Verband gefolgt und haben das Spielrecht trans, inter, divers geregelt. Die Regelung gilt u.a. mit einem offenen Geschlechtseintrag bzw. mit dem Geschlechtseintrag divers. Sie können selbstständig entscheiden, ob die Spielberechtigung für das Frauen-/Mädchenteam oder für ein Herren-/Jugendteam erhalten. In der Regelung mit berücksichtigt werden Personen in der Transition. Um einen Übergang zu ermöglichen, können diese ebenfalls selbst entscheiden, ob sie weiter in ihrem alten Team spielen oder wechseln möchten. Zu den weiteren Verbänden, die das Spielrecht geregelt haben, gehören Sachsen-Anhalt und Hamburg, der Regionalverband Westdeutschland und damit die zugehörigen Landesverbände Mittelrhein, Niederrhein und Westfalen. Des Weiteren wurden wir durch die Konferenz der Regional- und Landesverbände damit beauftragt, eine Arbeitsgruppe zum Spielrecht trans, inter, divers zu gründen. Diese AG soll einen Vorschlag für eine bundesweite Regelung erarbeiten

Mein Eindruck ist: Lesbische Profis haben es mit dem Coming-out nicht so schwer. Warum eigentlich? Haben die keine Angst vor der Reaktion der Fans/der Gegnerinnen/der Sponsoren? Für die heutige Situation stimmt das. Von den 1990er-Jahren erzählt aber u.a. die ehemalige Nationalspielerin Tanja Walther-Ahrens, dass in der Frauen-Bundesliga durchaus mal verlangt wurde, möglichst keine Beziehungen innerhalb der Teams zu haben. Es wurde überhaupt nicht gern gesehen, wenn Händchen gehalten wurde. Die Dokumentation «Tabubruch – Der neue Weg von Homosexualität im Fussball» von Aljosha Pause berichtet, dass es 2008 keine öffentlich geoutete aktive Spielerin gab. 1995 gab es ein Eklat vor der Fussball EM der Frauen, weil einige Spielerinnen bei den EuroGames teilnehmen wollten. Der DFB drohte ihnen mit dem EM-Ausschluss. Letztens habe ich einen Beitrag gesehen, dass der Vorstand des Schweizer Verein FC Wettswil-Bonstetten, sein Frauen-Team wegen angeblich lesbischer Aktivitäten aufgelöst hat. Öffentliche Coming-outs bei den Frauen sind nicht unbedingt selbstverständlich, wie die österreichische Nationalspielerin Viktoria Schnaderbeck dem Tagesspiegel erzählte.

Das alles zeigt, wie schwer Frauen es lange Zeit hatten. Bis zu dieser Offenheit heute war es ein weiter und erkämpfter Weg und ist es zum Teil noch heute.

Vor allem international gab und gibt es einige starke Beispiele. Eine Megan Rapinoe ist zum Beispiel ein echter Game Changer. Es ist schön, die vielen positiven Beispiele heute bei den Frauen zu sehen. Ich folge einigen auf Instagram. Wenn wir Vorbilder suchen, dann haben wir sie dort. Dort könnten sich auch die Männer Rat und Unterstützung holen. Vielleicht sollten die DFB Frauen und Männer auch öfter zusammenkommen und sich austauschen.

Was nimmst du dir bzw. die Anlaufstelle sich vor für 2022, das es noch zu erreichen gäbe, welche Pläne oder Aktionen stehen im Kalender?

Ich werde mich Anfang des Jahres den weiteren Regional- und Landesverbänden vorstellen und möchte erfahren, welche Angebote es dort bereits in den Verbänden gibt und wie wir unterstützen können. Dabei geht es aber auch um die weitere Sensibilisierung und Aufklärung, gerade auch zu geschlechtlicher Vielfalt.

Anfang 2022 werden wir unseren Vorschlag für das bundesweite Spielrecht trans, inter, divers vorstellen. Dazu werden wir auch Schulungs- und Infomaterial erstellen. Wir hoffen, mit in die Aus- und Weiterbildung aufgenommen zu werden. Ab Mai beginnt dann mit dem 17. Mai zum IDAHOBIT die Pride Saison. Dafür planen wir verschiedene Aktionen. Im Juni werden wir uns wieder an der Sport-Pride beteiligen und sind dazu schon in den ersten Gesprächen. Auch ist klar das wir uns in diesem Jahr stärker an den CDSs beteiligen wollen. Auf dem Programm stehen ebenfalls weitere Community-Events wie der Come Together Cup in Köln oder auch die Respect Gaymes in Berlin.

Ein weiteres wichtiges Anliegen ist die Gründung eines LGBTIQ and Friends Netzwerks im Fussball. In der ganzen Diskussion um mögliche Coming-outs im Fussball, werden mir nämlich oft die anderen Gruppen im Fussball vergessen. Es geht ja nicht nur um die Spieler*innen, sondern auch die vielen Mitarbeiter*innen in den Vereinen. Der FC Bayern hat zum Beispiel mehr als 1.000 Angestellte. Wenn die Anlaufstelle im Sommer verlängert werden sollte, gibt es auch schon erste Planungen für einen Action Day zum Coming-out-Day im Oktober. Und dann gibt es da noch die Fussball EM der Frauen im Juli, die wir mit begleiten wollen. Und natürlich die Fussball-WM der Männer in Katar.

Noch eine Frage zu Katar: Vom DFB ist wohl nicht zu erwarten, dass man die WM2022 boykottiert. Wie würdest du es entscheiden, wenn es in deiner Macht stünde? Da könnte ich jetzt weiter ausholen, doch das Thema wird uns das gesamte Jahr über beschäftigen. Die Frage ist auch gar nicht so einfach zu beantworten. Das auf dem Rücken der Spieler auszutragen, finde ich auf jeden Fall falsch. Das ist eine viel zu grosse Entscheidung. Es ist auch nicht einfach nur ein Turnier. Das kann ich als Sportler und Sportfan schon nachvollziehen. Ich wünsche mir aber, dass die Spieler sich mit der Situation vor Ort auseinandersetzen und ihre Haltung zum Ausdruck bringen. Für den Fall wünsche ich mir, dass der DFB sie auch lässt. Und vielleicht gibt es ja doch den ein oder anderen Spieler der nicht mitfährt.

Aber verantwortlich sind meiner Meinung nach, die Menschen, die für eine WM im Emirat Katar gestimmt haben und diese jetzt ausrichten. Nur die haben offenbar ein anderes Werteverständnis. Eine Verlegung der WM wird sicher nicht passieren. Daher sollte nur das engste DFB-Team nach Katar reisen. Auf öffentliche Termine dort, sollte verzichtet werden. Wir müssen uns auch die Frage stellen, in wie weit wir Teil davon sind. So lange es keinen echten Dialog darüber gibt, was verantwortliches Handeln im Sport bedeutet, wird es weiter prachtvoll funkelnde Spiele geben und uns wird nur ein weiteres Märchen verkauft. Als Fans, Zuschauer*innen, Journalist*innen und Sponsor*innen können wir diese WM sehr wohl boykottieren. Damit würden wir verhindern, dass sich eine Vergabe an repressive und brutale Regime lohnt.

Eine Anlaufstelle für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt im Fussball ist auch in der Schweiz geplant MANNSCHAFT berichtete)

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