Coming-out bei der Royal Navy: Der lange Kampf von Offizier Craig Jones

Vor 20 Jahren wurde bei den britischen Streitkräften das LGBTIQ-Verbot aufgehoben

Offiziere auf einem Kriegsschiff (Symboldfoto: Luemen Rutkowski / Unsplash)
Offiziere auf einem Kriegsschiff (Symboldfoto: Luemen Rutkowski / Unsplash)

Der britische Guardian widmet dem ehemaligen Offizier Craig Jones (53) diese Woche ein grosses Porträt, um zu erinnern, was es einst bedeutete, schwul und beim Militär zu sein. Und um zu ermahnen, dass die Folgen der langen Exklusionspolitik bei vielen Menschen noch nicht behoben sind.

Als der 20-jährige Craig Jones 1987 im ehrwürdigen Britannia Royal Naval College zum Bewerbungsgespräch eintraf, wurde er gefragt, ob er schonmal Kontakt zu Homosexuellen gehabt hätte. Er antwortete: Nein, er habe noch nie bewusst solche Menschen getroffen. Sollte er erfahren, dass jemand homosexuell sei, würde er die Strassenseite wechseln.

Das war genau das, was die Offiziere der Royal Navy hören wollten. Denn damals – in den späten 80er-Jahren – waren schwule, lesbische, bisexuelle oder trans Personen radikal ausgeschlossen vom Dienst bei den Streitkräften. Wer dort Karriere machen wollte, musste hetero sein oder seine Nicht-Heterosexualität verstecken.

Craig Jones
Craig Jones

Was Craig Jones damals sagte, um in die Navy zu kommen und Offizier zu werden (nach einem Studium der Wirtschaftswissenschaften), entsprach zumindest ansatzweise der Wahrheit. Er hatte tatsächlich keinerlei Erfahrung mit homosexuellen Menschen und selbst keine sexuellen Erfahrungen. Er war noch nie in einer Beziehung gewesen und sah sich als Landei aus Yorkshire. (MANNSCHAFT berichtete über die Situation heute beim österreichischen Heer.)

Panikattacke wegen Popstar Michael Ball Jones wurde angenommen und ergatterte einen Posten, von dem aus er sich schnell nach oben arbeiten wollte. Doch dann passierte etwas, womit er nicht gerechnet hatte. Wenige Wochen nach der Aufnahme beim Militär lief er an einem Zeitungskiosk vorbei und sah eine Fernsehzeitschrift mit dem blondlockigen Musicalstar Michael Ball auf dem Titel. Er kaufte die Zeitschrift, nahm sie mit nach Hause, starrte sie lange an und hatte eine Panikattacke. «Ich dachte: Scheisse, ich habe die Zeitschrift gekauft, weil ich Michael Ball geil finde, also muss ich schwul sein!»

Das erzählt Jones diese Woche in der britischen Zeitung The Guardian in einem umfangreichen Porträt. In dem geht es darum, wie sich Jones im weiteren Verlauf dafür einsetzte, dass das britische Militär den Ausschluss von LGBTIQ überwand und heute zur «besten Armee der Welt in Bezug auf LGBTIQ-Inklusion» zählt, wie es Jones formuliert. 2005 trat die Royal Navy als erste bewaffnete Einsatztruppe der Welt dem Diversity-Championship-Programm bei, ein Jahr später waren die Mitglieder der Royal Navy die ersten Streitkräfte, die an einer Pride-Parade teilnahmen.

Jones wurde 2006 in den Order of the British Empire (OEB) erhoben für seinen Einsatz für Gleichstellung und Menschenrechte in den Streitkräften. Aber bis dahin war es ein langer steiniger Weg – ohne Happy End, was seine Navy-Karriere betrifft.

Epiphanie beim Einsatz in Nordirland Der heute 53-jährige Jones blickt im Guardian-Feature auf sein Leben zurück und berichtet, wie er unter Verleugnung seiner eigenen Sexualität in der Rangordnung der Navy zügig nach oben kam. Er wurde vielfach weitergebildet, war bei Hubschrauberkommandos dabei und 1993 im Einsatz im Golfkrieg. 1994 wurde er dann nach Nordirland versetzt, um im Bürgerkrieg zwischen Katholiken und Protestanten Patrouille-Einsätze zu organisieren. Dabei kam es zum allesverändernden Erleuchtungserlebnis. Er selbst spricht von einer Epiphanie. (MANNSCHAFT berichtete über die nach wie vor schwierige LGBTIQ-Lage in Nordirland.)

In Nordirland kam es zum allesverändernden Erleuchtungserlebnis

Was war geschehen? Jones war mit einem Polizisten im Einsatz und entdeckte im Meer ein scheinbar unbemanntes Fischerboot. Da sie den Auftrag hatten, Schmugglern auf die Spur zu kommen, die Bomben von Irland nach Grossbritannien brachten, um dort Terrorangriffe auszuüben, schien ihnen das Fischerboot suspekt. Sie nahmen es also genauer unter die Lupe.

«Als wir an Bord kamen, war alles total still», erinnert sich Jones. «Mir war klar, dass hier etwas nicht stimmen konnte. Also zog ich meine Pistole. Mein Kollege sagte: ‹Schau unten in der Kabine nach, ich gebe dir Deckung.› Also ging ich runter und sah zwei Jungs im Teenageralter, die sich auf einer Matratze in den Armen lagen. Damals war das Mindestalter für gleichgeschlechtlichen Sex in Nordirland 21. Es war also eine illegale Handlung.»

Jones gab den beiden Jungs Zeit, sich anzuziehen und forderte sie dann höflich auf, nach draussen zu kommen. Dem Polizisten sagte er, dass unten nichts Verdächtiges zu finden gewesen sei. Jones wurde – in seinen eigenen Worten – das erste Mal klar, dass er Teil einer grösseren Community sei: einer schwulen Community. Und er fühlte instinktiv, dass er diese schützen müsse.

Erster Besuch in einer Schwulenbar Als er einige Wochen später zurück nach England kam, ging er am ersten Abend zum ersten Mal in eine Schwulenbar, setzte sich neben einen Mann, der jetzt seit 27 Jahren sein Partner und heute sein Ehemann ist. Als Jones dem Guardian das erzählt, lacht er und sagt: «Ich glaube, ich bringe militärische Zielgerichtetheit mit, wenn‘s ums Dating geht!»

Jones war damals 26, Adam 19. Er arbeitete zu jener Zeit beim Supermarkt Tesco an einem Kaffeestand.

Mit der Partnerschaft kamen neue Probleme: Fortan musste Jones nicht nur seine eigene Sexualität verstecken, sondern auch seinen Lebenspartner und ihren Lebensstil, wie das euphemistisch umschrieben wurde. (MANNSCHAFT berichtete, dass bei der Schweizer Armee ein Bericht zu homophober Diskriminierung geplant ist.)

«Als wir uns 1995 kennenlernten, war es so, dass ich verhaftet worden wäre, wenn man mich erwischt hätte, ich wäre für sechs Monate ins Gefängnis gesteckt worden für die Straftat Homosexualität», so Jones.

Craig Jones
Craig Jones

Er berichtet von dem Moment, als der Vater seines Partners starb und Jones aus Plymouth in See stechen sollte. Er konnte niemandem sagen, warum er zurück an Land musste. Das führte zu einem Zusammenbruch an Bord. Er wurde zehn Wochen krankgeschrieben. Weil er den wahren Grund für den Zusammenbruch verschleiern musste, sagte er seinen Vorgesetzten, er habe eine «Krise in Bezug auf sein Vertrauen in die eigenen Navigationskünste». Selbstredend war das für einen Navy-Offizier fortan ein professioneller Stolperstein.

Angst vor der Militärpolizei In den kommenden Jahren fürchtete Jones jedes Mal, wenn er zurück in den Hafen kam, dass dort die Militärpolizei warten und ihn verhaften würde. «Man wusste nie, ob jemand einen zusammen mit dem Freund gesehen haben könnte oder einfach eine falsche Anschuldigung gemacht hat», erinnert sich Jones. «Es war ein toxisches Umfeld, Leute wurden aktiv aufgefordert, jeden zu melden, der möglicherweise schwul sei.»

Es war ein toxisches Umfeld, Leute wurden aktiv aufgefordert, jeden zu melden, der möglicherweise schwul sei

Wenn Kollegen Jones zuhause besuchten, musste er seine Wohnung «entschwulen»: «Ich hatte ein signiertes Poster von Shirley Bassey im Flur und dachte: ‹Gottverdammt, das muss weg!› Stattdessen habe ich ein Bild mit einem Kriegsschiff aufgehängt», so Jones. In seinem Adressbuch änderte er die Namen von befreundeten schwulen Paaren, aus George und John wurde beispielsweise George und Joan, nur falls das Adressbuch jemandem in die Hände fallen sollte, der Verdacht geschöpft hatte.

Jones erinnert sich, dass damals einige Kollegen tagelang von der Militärpolizei verhört wurden und schliesslich unter Zwang gestanden, schwul zu sein. Sie mussten Geständnisse unterschreiben. (MANNSCHAFT berichtete über ähnliche Verhöre im Polen der 80er-Jahre.) Jones ist heute in Kontakt mit drei von 17 Leibgardisten, die an einem einzigen Tag in den 1970ern entlassen wurden, weil sie angeblich schwul gewesen seien. «Einer ist schwul, zwei sind hetero», sagt Jones: «Was für ein trauriges Ende von grossartigen Karrieren.»

1999 bewarb sich Jones für einen Spezialjob auf der HMS Fearless, wo er an Geheimdossiers arbeiten wollte. Dieser Job setzte einen gründlichen Sicherheitscheck voraus. Jones wusste, dass seine Beziehung zu Adam nicht unbemerkt bleiben würde, schliesslich hatten sie gemeinsame Bankkonten, eine gemeinsame Hypothek auf ihr Haus und für die Wahlbehörde waren sie unter der gleichen Adresse registriert.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte greift ein «Der Leutnant, der das Jobinterview mit mir führte, sagte am Schluss: ‹Bevor Sie gehen – ich habe Sie nicht aufs Thema Homosexualität angesprochen, aber angesichts der Antworten, die Sie mir gegeben haben, glaube ich nicht, dass das etwas ist, worüber ich mir Sorgen machen muss. Oder?› Und ich antworte: ‹Nein, Sir, ich denke nicht.›»

Jones bekam den Job. Und ein Jahr später erreichte ihn ein Telegramm mit seiner Sicherheitseinstufung. Darin stand, dass das Verbot von Homosexualität bei den Streitkräften aufgehoben worden sei, weil es vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als rechtswidrig eingestuft wurde. Nachdem der Kapitän der HMS Fearless der Schiffsbesatzung diese EU-Entscheidung mitgeteilt hatte, ging Jones zu ihm ins Büro und sagte: «Heute ist der Tag, wo unsere Werte endlich denen entsprechen, die wir verteidigen.»

Die Reaktion des Kapitäns sei fast lachhaft gewesen, erinnert sich Jones. Er stand versteinert da. Und als Jones sagte, er würde zur anstehenden Burns-Night-Party der Navy seinen Freund Adam als Begleitung mitbringen, glaubte der Kapitän, er würde «möglicherweise mit einer Federboa auftauchen», so Jones schmunzelnd.

Jones war einer der wenigen, der sich an diesem Tag outete. Die Nachricht, dass er das getan hatte, verbreitete sich wie ein Buschfeuer bei der Flotte. Aber niemand sonst wollte seinem Beispiel folgen, jedenfalls nicht derart öffentlich.

Homosexualität als Privatangelegenheit von Einzelpersonen Von dem Moment an setzte sich Jones unermüdlich für LGBTIQ-Rechte ein. Er schickte im Jahr 2000 ein Papier an die Royal Navy mit dem Vorschlag, sie solle dem Diversity-Champions-Programm der Stonewall-Organisation beitreten, ein Arbeitnehmerprogramm, das sicherstellt, dass alle LGBTIQ-Angestellten am Arbeitsplatz frei sein können bezüglich ihrer sexuellen Orientierung und Identität. (MANNSCHAFT berichtete über das gezielte Forcieren von Diversity bei der Deutschen Bundeswehr und entsprechende Aufklärungsarbeit.)

Jones schlug auch vor, an Pride-Märschen teilzunehmen, um dort für Laufbahnen bei der Royal Navy zu werben. Und er plädierte für Aufklärungsarbeit und Schulungen, um die Nachwirkungen des vormaligen LGBTIQ-Verbots aufzuarbeiten und zu überwinden. «Ich ging deswegen zum obersten Personalchef der Navy und bekam als Antwort: ‹Homosexualität ist eine Privatangelegenheit von Einzelpersonen, es ist nichts, womit sich die Streitkräfte insgesamt befassen müssen.›»

Aber Jones gab nicht auf. Er schrieb an Admiräle und Minister*innen, immer wieder mit dem Hinweis, dass es nicht genug sei, das LGBTIQ-Verbot aufzuheben, vielmehr müsse man den Menschen das Gefühl vermitteln, dass sie beim Militär auch wirklich willkommen seien. «Ich bekam von einigen Admirälen Briefe zurück in denen stand: ‹Bitte hören Sie auf das zu tun.›»

Ich bekam von einigen Admirälen Briefe zurück in denen stand: «Bitte hören Sie auf das zu tun»

Einmal drängte sich Jones sogar uneingeladen in einen Konferenzraum, wo es auf höchster Leitungsebene um Fragen zu Inklusion ging. Er warf dort dem Personalchef der Navy vor versammelter Mannschaft vor, dass die Art und Weise, wie mit LGBTIQ nicht umgegangen werde, ein «katastrophaler Bruch des Schwurs der Streitkräfte» sei. Der Personalchef der Navy stand mit wutverzerrtem Gesicht da.

Karrierechancen zunichtegemacht Trotzdem wurden 2005 alle Vorschläge von Jones umgesetzt. Aber seine Karriere litt. Denn er stand ständig im Rampenlicht, als wäre ein Scheinwerfer nur auf ihn gerichtet. Wenn er bei der Offiziersmesse auftauchte, verstummten alle um ihn herum. Niemand wollte sich neben ihn setzen, neben ihm stehen, mit ihm sprechen, alle hatten Angst, jeglicher Kontakt mit Jones könnte negativ abfärben. Und Karrierechancen zunichtemachen.

Zwei Jahre nachdem Jones 2006 für sein LGBTIQ-Engagement in den OEB erhoben wurde, kündigte er bei der Navy. Seine Karriere sei beschädigt gewesen durch seinen Aktivismus, sagt er. Sich so lautstark für Wandel einzusetzen habe ihm zu einem «einsamen Wolf» gemacht. Er sah seine Arbeit bei der Navy als beendet an. «Manchmal ist die Person, die die Tür eintritt, nicht die Person, die anschliessend am Tisch mit den anderen zusammensitzt. Das ist okay für mich. Ich habe erreicht, wofür ich leidenschaftlich brenne», so Jones.

Erst wurde er Chef der Gleichstellungs- und Diversitäts-Abteilung bei Barclays, dann gründete er zusammen mit Adam (der inzwischen Psychologe ist) eine Organisation, die sich um Menschen mit schweren psychischen Problemen kümmert, um sie aus Institutionen rauszuholen und wieder in die Gesellschaft zu integrieren.

Weil Jones aber nach wie vor findet, dass auch 20 Jahre nachdem das LGBTIQ-Verbot der Streifkräfte aufgehoben wurde, den Opfern immer noch keine Gerechtigkeit widerfahren ist, hat er die Organisation «Fighting With Pride» gegründet. Diese setzt sich für all jene ein, die vom Militär rausgeschmissen und als Kriminelle gebrandmarkt wurden, nur weil sie LGBTIQ sind. Oder weil andere dachten, dass sie es seien und Falschmeldung machten. «Es gibt tausende von Menschen, die heute in Armut leben, die Gesundheits- und sonstige Probleme haben, die vor zerbrochene Karrieren stehen und auch noch als Straftäter in den Akten geführt werden», mahnt Jones.

Craig Jones
Craig Jones

Einige dieser Geschichten fasste Jones als Herausgeber 2019 in dem Buch «Fighting with Pride. LGBT in the Armed Forces» zusammen, die ein «bewegendes Zeugnis von Patriotismus und Mut» seien, wie’s im Klappentext heisst.

Zwar hatte die britische Innenministerin Priti Patel letzte Woche angekündigt, dass alle alten entsprechenden Akteneinträge und Urteile aufgehoben und getilgt würden (MANNSCHAFT berichtete). Aber Jones findet, es sei an der Zeit, dass die Militärführung endlich eingestehe, was für einen Schaden sie bei vielen Menschen verursacht habe. Er fordert, dass diese Menschen eine entsprechende Kompensation erhalten sollten. «Ich spreche jede Woche mit Veteranen, die es wirklich hart getroffen hat. Sie leben nicht so, wie wir uns das für unsere Veteranen wünschen. Und das ist eine nicht behobene Schande.»

Bis diese Schande behoben sei, werde er weiterkämpfen, sagt Jones dem Guardian.

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