Claus Fleissner: Mode als Bauchentscheidung
Das Plus-Size-Model steht bei der KULT Model Agency unter Vertrag
Mode soll Spass machen, das gilt selbstverständlich auch für dicke Männer. Momentan macht das keiner so charmant und selbstbewusst vor wie das Plus-Size-Model Claus Fleissner aus Frankfurt.
Wenn man im Internet nach Artikeln stöbert, die sich mit Mode für «mollige Männer» befassen, stösst man häufig auf Sätze wie diese: ‚Optisch lassen sich Pfunde mit der streckenden Wirkung bestimmter Muster, Schnitte und Kombinationen kaschieren.‘ Oder: ‚Über dem Shirt oder Hemd getragene Jacken kaschieren und umspielen die Problemzone Bauch.‘ Wenn kräftige, dicke, übergewichtige Männer sich nett anziehen wollen, dann scheint oberste Priorität zu sein, dass sie etwas verstecken sollen. Wie da Freude an Mode aufkommen soll, wissen die Autoren solcher gut gemeinten Texte vermutlich selber nicht.
Für Claus Fleissner, Model, Mode-Blogger (Extra-Inches) und stolzer Besitzer von 90 Paar Sneakers, steht die Lust im Vordergrund. «Auch wenn ich einen dicken Bauch habe, kann ich verrückte Sachen anziehen», sagt er. Ihm ist schon klar, dass da ein gewisser Mut dazu gehört. Den hat er. Und er ermutigt auch seine Leser immer wieder dazu, sich nicht darum zu scheren, was andere denken. Ein typischer Satz in seinem Blog lautet: «Mir ist es ja immer egal, wenn die Leute sich denken, was der Dicke da wieder Wildes anhat.»
Mehr lesen: Keine Dicken, keine Tunten – ist das blosser Sexpragmatismus?
An sich selbst mag er seine Waden und Schultern Nicht dass er immer Lust hat auf knallige Farben, grossgeblümte Hemden oder das weisse T-Shirt mit den rosa Schweinchen, das er bei unserem Interview in Hamburg Ende Mai trägt. Aber da er sich mit Grösse 58/60 in seiner Haut wohl fühlt – am liebsten mag er an sich die Schultern und seine Waden, darum trägt er gerne kurze Hosen –, käme man auch nie auf die Idee, ihm nahezulegen, irgendwas zu kaschieren oder zu verbergen.
Ich pfeife auf Modediktate
«Ich kriege immer die Vollkrise, wenn ich in irgendwelchen Ratgebern lese, dass Dicke keine Querstreifen tragen sollen», sagt Claus, der seit drei Jahren modelt, bei der KULT Model Agency unter Vertrag steht und im Hauptberuf als Content Manager für den Online-Shop von Happy Size arbeitet. «Der Bauch ist eh da. Den siehst du in Quer- und in Längsstreifen. Scheissegal, ich pfeife auf Modediktate.»
Frust beim Schaufensterbummel Das eigentliche Problem ist ohnehin: Wo bekommt man stylische Klamotten, wenn man ein XL-Typ ist oder gar XXXXXL trägt? Man könne nicht einfach durch die Innenstädte spazieren und zuschlagen, wenn man etwas im Schaufenster sieht, das einem gefällt. «Die grossen Grössen gibt es nur online. Aber seit etwa zwei Jahren bessert es sich. Vorher musste man lange suchen oder online in den USA bestellen», sagt der 40-Jährige. Als Kunde will man schliesslich sehen, wie die Sachen angezogen aussehen.
Schlank war Claus noch nie, schon in der Schule war er immer der dickste in der Klasse. Was ihn aber von den meisten Dicken unterscheidet, ist, dass ihm üble Mobbingerfahrungen wie Bodyshaming erspart geblieben sind. „Ich hatte immer einen superguten Freundeskreis“, sagt er. Ausserdem haben ihm seine Eltern das nötige Selbstbewusstsein mitgegeben.
Wenn es jemand nicht schön findet, soll er in die andere Richtung gucken
Ganz selbstverständlich zeigt er sich auch am Badesee oder in der Sauna. «Wenn es jemand nicht schön findet, soll er in die andere Richtung gucken», sagt Claus. «Was ist denn im Sommer die Alternative? Auf der Couch liegen und schwitzen? Nee!»
Plus-Size-Models gelten immer noch als Sensation Dass sich Claus in seiner Haut wohlfühlt, vermittelt er auch den Lesern seines Blogs. Er macht ihnen Mut, gibt ihnen Tipps, wo sie Klamotten in grossen Grössen finden. Dafür erhält er regelmässig Feedback von dankbaren Followern. Aber natürlich ist in Gesellschaft und Kultur noch einiges zu tun. «Bei Modenshows ist es immer noch eine Sensation, wenn ein Plus-Size-Models mitläuft, dabei sollte das selbstverständlich sein.» Auch in der Werbung vermisst er die Vielfalt verschiedener Körperbilder, bisher dominieren noch die Rollenklischees. Im Filmgeschäft ist das nicht anders, da werden immer noch die lustigen Dicken besetzt. «Du wirst nie einen James Bond in meiner Körpergrösse sehen, sondern eher seinen trotteligen Assistenten.»
Claus modelt als Plus-Size-Botschafter vorwiegend für Kataloge und Online-Shops, lief aber auch schon für Michael Michalsky über den Catwalk; der deutsche Designer hat im Frühjahr für das Label «Happy Size» zu dessen 20-jährigen Bestehen erstmals Mode in Übergrössen kreiert. Ein heimlicher Traum wäre es, mal für das Kultlabel Gucci zu modeln. Für jeden Zweck würde sich Claus allerdings nicht hergeben. Zwei Dinge schließt er kategorisch aus: Werbung für Mittel gegen Genitalpilze und die AfD.
Das vollständige Porträt steht in der Juli/August-Ausgabe der Mannschaft. Hier geht’s zum Abo (Deutschland)– und hier auch (Schweiz).
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