«Es geht nicht nur um ein paar Schwule, die kein Blut spenden können»

Die Raiffeisen Bank International AG (RBI) hat eine Petition an den Gesundheitsminister initiiert

Foto: Pixabay
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Gefordert wird die Beseitigung der pauschalen Ausschlussregelungen für homo- und bisexuelle Männer und trans Personen bei der Blutspende. Ein Dutzend grosser österreichischer Unternehmen unterstützt die Petition. Die Übergabe sollte an diesem Freitag stattfinden, musste aber verschoben werden.

Die Initiative entstand nach einem traurigen Anlass: Ein RBI-Mitarbeiter und sein Lebensgefährte erkrankten im vergangenen Jahr an Corona. Doch während der Mitarbeiter nach drei Wochen wieder auf dem Damm war, ging es seinem Partner immer schlechter. Er musste intensivmedizinisch behandelt werden und benötigte in einem letzten Therapieansatz Blutplasma-Infusionen mit COVID-Antikörpern – damals ein sehr knappes Gut.

Der RBI-Mitarbeiter hatte, weil er genesen war, eben jene Antikörper. Doch aufgrund der bestehenden Richtlinien kam er nicht einmal in dieser verzweifelten Lage als Spender in Frage. Diese Regelung ist gleichzeitig so absurd und unbekannt, dass die diensthabende Ärztin den RBI-Mitarbeiter nichtsahnend überhaupt erst als Spender ins Gespräch brachte. Nachdem sie sich über die Rechtslage informiert hatte, musste sie dem Partner schliesslich mitteilen, dass er tatsächlich nicht helfen durfte. Im Januar dieses Jahres starb sein Lebensgefährte.

Der Fall hat viele betroffen gemacht und aufgewühlt. Jetzt haben sich der Initiative der RBI mehrere grosse österreichische Unternehmen angeschlossen, um die diskriminierende Blutspendepraxis zu beenden (MANNSCHAFT berichtete). Zu Anfang waren es Telekom Austria, Accenture Österreich, Avanade Österreich, IKEA Austria, Microsoft Österreich und PwC Österreich. Im Laufe der Woche sind noch SAP, die Wirtschaftsuni Wien, Austrian, Anyline und die Boston Consulting Group dazu gekommen.

Ihr gemeinsames Ziel: Die Regelung soll sich künftig am Risikoverhalten der Spenderin bzw. des Spenders orientieren, nicht aber an deren sexueller Orientierung, erklärte RBI-CEO Johann Strobl vergangene Woche anlässlich eines Pressetermins. Als Zeichen, dass man es ernst meinte, wurde draussen vorm Hauptgebäude die Regenbogenflagge gehisst.

«Wir plädieren statt des pauschalen Ausschlusses für die gezielte Befragung aller Spender*innen nach ihrem individuellen Risikoverhalten. Damit wollen wir ein Zeichen gegen Diskriminierung und für mehr Inklusion und Chancengleichheit setzen.»

Die Unterstützung von Blutspenden im Arbeitsumfeld gehöre laut Strobl für die RBI, aber auch für viele andere Unternehmen zur gesellschaftlichen Verantwortung. Darum stellen sie Hilfsorganisationen wie dem Roten Kreuz regelmässig ihre Räumlichkeiten zur Verfügung und laden ihre Mitarbeiter*innen zur Blutspende ein: Allein am Hauptsitz am Stadtpark sind es insgesamt 2500, weitere arbeiten bei den Verbundunternehmen. Dem Aufruf folgen auch stets grosse Teile der Belegschaft. Doch die eigenen Leute müssen wieder weggeschickt werden: Schwule, Bi-Männer, trans Personen.

Grund ist der vom Roten Kreuz verwendete standardisierte Anamnesebogen. Doch der widerspricht im Umgang mit sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten dem Ziel von RBI, Microsoft u.a., den Mitarbeiter*innen ein diskriminierungsfreies Arbeitsumfeld zu ermöglichen. Da will man nicht mehr mitmachen.

Ronald Wiesinger arbeitet bei RBI im Bereich Capitals Markets und engagiert sich nebenbei bei «Embrace», dem LGBTIQ Netzwerk der RBI. «Von allen, denen man es erzählt, glaubt niemand, dass es so eine Regel noch gibt: Dass man Männer von der Blutspende ausschliesst, die Sex mit Männern haben, aber deren Blut völlig gesund ist», sagt der 53-Jährige.

Bei Embrace engagieren sich 12 Leute in einem Kernteam. Rund 130 quere und nicht-quere Personen, die sich als Allies empfinden, unterstützen das Netzwerk. Embrace geht auf die Initiative zweier Kollegen zurück. «Lustigerweise zwei Nicht-Österreicher, die bei RBI arbeiten und tolle Aufbauarbeit geleistet haben“, erklärt Wiesinger. «Das war am Anfang sicher schwer. Das Thema LGBTIQ war zu Anfang gar nicht präsent.»

Heute ist das anders. Bei der RBI hat sich in den letzten Jahren viel bewegt, sagt Wiesinger. 2017 trat die AG der Charta der Vielfalt bei. Eine besondere Herausforderung ist die Situation in Ländern wie Russland, aber auch beispielsweise in Ungarn, wo LGBTIQ Rechte von der Regierung immer weiter eingeschränkt werden. In Ungarn allerdings ist die diskriminierende Regel für MSM bereits gefallen (MANNSCHAFT berichtete). Die RBI gibt es dort auch, Embrace noch nicht. «Aber das ist eins unserer Ziele, es dort zu gründen», sagt Wiesinger.

Zurück nach Österreich. Jedes Jahr im Sommer werden die Blutreserven knapp. Das Rote Kreuz fuhr auch dieses Jahr wieder eine Kampagne, die die Menschen aufrief: Bitte geht spenden! «Und dann schliesst man da gesunde Menschen aus», wundert sich Wiesinger. «Zumal ja jede Blutspende getestet werden muss, bevor sie verabreicht wird.»

Ausserdem gebe es wohl genügend Heterosexuelle, die auch unsafen Sex praktizierten. «Machen wir doch die Augen auf!», sagt Wiesinger. Der betroffene Mitarbeiter, der als Spender für seinen eigenen Partner nicht in Frage kam, sei das konkrete Gegenbeispiel: Er war gesund, sie führten ein monogames Beziehungsleben. «Welche Ehefrau kann sich denn darauf verlassen, dass ihr Mann keine aussereheliche Affäre hat? Das ist doch absurd.»

Natürlich dürfe bei Blutprodukten keine Kompromisse bei der Sicherheit gemacht werden, erklärt Andrea Brunner von der AIDS-Hilfe Wien. «Regelungen anderer Länder zeigen jedoch, dass Sicherheit auch ohne pauschale Rückstellung von dadurch diskriminierten Personengruppen erreicht werden kann.»

Beim Roten Kreuz sieht man das anders. Man trage die medizinische Verantwortung, Österreich mit sicheren Blutkonserven flächendecken zu versorgen, heisst es in einem Statement gegenüber MANNSCHAFT. «Es ist aber Aufgabe der Politik, gesellschaftliche und gesundheitliche Interessen abzuwägen. Und in weiterer Folge ist es auch Aufgabe der Politik, diese Entscheidungen in Gesetze zu giessen.»

Wissenschaftlicher Hintergrund für die Rückstellung von derzeit 12, künftig wohl vier Monaten für Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), sei der Schutz vor schweren, durch Blut übertragbaren Infektionskrankheiten wie etwa HIV oder Hepatitis. Denn selbst bei modernsten Tests bleibe ein Restrisiko für Übertragung, da in einem frühen Krankheitsstadium die Infektion noch nicht im Blut nachgewiesen, aber bereits übertragen werden könne, so das Rote Kreuz. «Männer, die Sex mit Männern haben, weisen ein deutlich erhöhtes Risiko einer HIV-Infektion auf. In Österreich betreffen mehr als 50%, also jede zweite HIV-Neuinfektion, diese Gruppe.»

Wenn man glaubt, man hat seine Arbeit getan, wenn man MSM ausschliesst – das stimmt nicht!

Wiesinger glaubt dagegen, dass die aktuelle Praxis die Blutsicherheit gefährdet. «Wenn man glaubt, man hat seine Arbeit getan, wenn man MSM ausschliesst – das stimmt nicht. Man muss das individuelle Risikoverhalten anschauen.»

Er glaubt fest an einen Erfolg der Petition der zehn Unternehmen, auch weil der RBI-Vorstandsvorsitzende Strobl klar dahintersteht. «Da hat sich viel bei uns in der Bank getan, nicht zuletzt durch die Blutspende-Initiative», erklärt Wiesinger. «Da geht es nicht nur um ein paar Schwule, die kein Blut spenden können. Es geht um etwas Grösseres.»

Die Übergabe der Petition an Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein sollte an diesem Freitag stattfinden, wurde aber auf kommenden Woche verschoben, da der Minister erkrankt ist.

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