Beim nächsten «Tatort» bitte ein lesbisches Paar mit weniger Klischees
Achtung, Spoiler!
Die beiden lesbischen Frauen haben den Tatort aus Bremen überlebt und waren nicht die Täterinnen. Ist das schon ein Grund zum Jubeln? Unsere TV-Kritik.
Sonntag, «Tatort» Bremen. Krimifans aus ganz Deutschland nehmen vor dem Fernseher Platz, bereit als Hobbykommissar*innen selbst die kompliziertesten Fälle zu lösen. Die ARD soll ja diverser werden, heisst es. In der Auftaktszene stolpert ein behinderter Mann und schimpft und klagt. In Szene zwei küsst und containert ein lesbisches Paar und flüchtet lachend vor einem Verfolger. In Szene drei packt eine ältere Frau ihre Sachen, betrachtet melancholisch das Bild einer der Lesben und will offensichtlich ihr Zuhause verlassen.
Nächste Szene: ein Mann springt aus dem Auto und versucht verbissen, mit Herzmassage einen Obdachlosen zu retten. In der folgenden Szene klagt der behinderte Mann etwas unverständlich über Kopfschmerzen. Nächste Szene: ein weisser alter Mann raucht Zigarre und hustet Blut in ein Taschentuch, ein Röntgenbild später beweist, er hat Lungenkrebs im fortgeschrittenen Stadium. Umschnitt auf die beiden Lesben, die Sex haben, Umschnitt auf eine weitere ältere Frau in einer Blümchenbluse, die frustriert am Küchentisch Sekt trinkt und auf eine Torte mit den Worten «Für die Allerbeste» starrt. Sie weint.
Umschnitt auf den Lebensretter. Der Obdachlose hat überlebt und wird abtransportiert. Der Mann, offensichtlich Arzt, hält sich in seinem schäbigen Auto eine Flamme unter die Hand, um den Schmerz zu fühlen. Ihn quält offensichtlich etwas. Er nimmt ein Telefonat entgegen. Umschnitt. Er fährt mit dem Wagen in den nächtlichen Hafen. Auf einem einsamen Kai ruft er vergebens. Niemand ist da. Da rauscht ein Auto heran und überfährt ihn, während im Off eine weibliche Stimme bemerkt, sie habe noch nie von einem Verbrechen gehört, das sie nicht selbst hätte begehen können. Jeder, der das für sich verneine, sei nicht ehrlich oder erkennt sich zu wenig.
Umschnitt, die Stimme gehört zu einer smarten Kommissarin, die mit ihrer Kollegin im Morgengrauen an den Ort des Verbrechens gerufen wurde. Es stellt sich heraus, dass das Zitat von Goethe war. Sie ist also gebildet. Doch da bin ich schon verloren. Und das waren noch längst nicht alle Figuren, die ins Spiel kommen. Ein weiterer Kommissar, der die meiste Zeit Dänisch spricht und von einem Jungen verfolgt wird, der mit seiner früheren Undercover-Tätigkeit zu tun hat, ist auch noch im Team. Jede Menge falsche Spuren. Das lesbische Paar, so sympathisch eingeführt, kommt später doch recht klischeehaft rüber – eine Tochter aus gutem Haus verliebt sich in eine Frau, die aus dem Knast kommt. Die eine hat viel bürgerliche Bildung und Ideale, die andere viel Herzensbildung und ein wenig Brutalität. Und so löst sich die Bürgertochter aus den Fängen ihrer verspannten Mutter und ihres Grossvaters mit Krebs und beschliesst, statt die altehrwürdige Familienfirma in die neue Zeit zu führen, lieber in den Tag zu leben und sich dem Konsum zu verweigern. Was das alles mit dem Fall zu tun hat? Sorry, das weiss ich auch nicht so genau.
Ach ja, der Tote hatte eine Praxis für Obdachlose und Illegale, ein absoluter Gutmensch und immer wieder Anlass für kluge klassenkritische Gespräche zwischen der zynischen Upper-Class Kommissarin mit dem Hang zu gepflegtem Missmut und der Kommissarin aus der Unterklasse mit dem goldenen Herzen. Viele Schauplätze, noch mehr Verdächtige und Motive. Und immer wieder denke ich: die Figur würde ich gern näher kennenlernen. Das Spannungsfeld zwischen den Kommissarinnen, mit den hervorragenden Schauspielerinnen Jasna Fritzi Bauer und Luise Wolfram besetzt, allein hätte mehr Raum gebraucht. Auch das lesbische Paar, das jede Menge Stoff für soziale und psychologische Spannung geboten hätte, bleibt blass und klischeehaft.
Der Kollege aus Dänemark bringt auch eine komplette Nebenhandlung mit, die nur aus den schlecht lesbaren Untertiteln hergeleitet werden kann. Ein Krimi wie ein Weihnachtsessen: Die Zutaten sind exquisit, aber einfach zu viel, als dass es noch geniessbar wäre. Was bleibt der lesbischen/queeren Zuschauercommunity? Die Kommissarinnen gingen kontrovers, aber nicht zickig miteinander um, es gab eine lesbische Liebesszene, die ansehnlich war. Und vor allem: Die Lesben haben beide überlebt, und sie waren nicht die Täterinnen! Das ist auch was. Und sozialkritischer ging es auch mal zu. Das gibt Hoffnung.
Mein Vorschlag: Das tolle Ermittlungsteam kriegt bessere Fälle und das nächste lesbische Paar kann ein wenig mehr Zeit und weniger Klischees vertragen. Vielleicht reden wir einfach noch mal über den Anspruch, divers auch in den Drehbüchern zu sein, ohne alles auf einmal zu erzählen – eben wie ein gutes Weihnachtsessen: weniger ist mehr Genuss.
Der vorletzte «Tatort» kam bei vielen LGBTIQ nicht gut an; das Lesbenbild, das der Krimi aus Dortmund zeichnete, erschien mehr als fragwürdig (MANNSCHAFT berichtete) Die Öffentlich-Rechtlichen und die Privaten in Deutschland übten kürzlich Selbstkritik: Ihr Programm ist nicht divers genug (MANNSCHAFT berichtete).
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