«Armeeangehörige sollen lernen: Diversität ist ein Mehrwert»

QueerOfficers fordern mehr Sensibilisierung in der Schweizer Armee

(Symbolbild: Instagram/armee.ch)
(Symbolbild: Instagram/armee.ch)

Der Wehrsprecher der Grünen kritisierte die Äusserungen des österreichischen Heeresprechers Bauer anlässlich eines Videos junger Soldaten (MANNSCHAFT berichtete). Homophobie sei ein grosses Thema und es brauche dringend eine Strategie, das Bundesheer ins 21. Jahrhundert zu holen. Und wie sieht die Situation in der Schweizer Armee aus? Um dies herauszufinden, sprach MANNSCHAFT mit Dominik Winter, Präsident der QueerOfficers und Oberstleutnant im Generalstab der Schweizer Armee.

MANNSCHAFT: Ist Homophobie in der Schweizer Armee ein Problem? Dominik Winter: Die Armee ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Die Angehörigen der Armee sind grösstenteils nur wenige Wochen pro Jahr im Dienst; die meiste Zeit verbringen sie in ihrem zivilen Umfeld. Solange Homophobie in der Schweiz ein Thema ist, findet sie auch in der Armee statt. Noch bevor das Verbot der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung im zivilen Leben Wirklichkeit wurde, bestand allerdings in der Armee bereits die Pflicht, die Menschenwürde zu achten und insbesondere auch niemanden aufgrund seiner sexuellen Orientierung nachteilig zu behandeln. Dies steht Dienstreglement der Schweizer Armee unter Artikel 77. Aus Sicht der QueerOfficers achten militärische Vorgesetzte und Kamerad*innen grundsätzlich auf einen respektvollen Umgang miteinander.

Militär und schwul – natürlich geht das zusammen

Wenn es dennoch homophobe Zwischenfälle gibt: Wie wird in der Schweizer Armee damit umgegangen? Trotz dem mehrheitlichen Funktionieren der militärischen Strukturen kommt es leider dennoch in Einzelfällen zu Übergriffen. Wenige davon gelangen zur Fachstelle Diversity der Schweizer Armee oder zu den QueerOfficers. Ich möchte aber unterstreichen: Wir erleben grösstenteils militärische Vorgesetzte, die sich ihrer Verantwortung für das Wohlergehen all ihrer Unterstellten bewusst sind und solche Übergriffe auch konsequent ahnden. Wie überall in unserer Gesellschaft kann allerdings noch nicht von einer gelebten Kultur der Offenheit gesprochen werden. Ein «rauer Umgangston» im heteronormativen Umfeld der Armee kann früher oder später zu einer Stimmung führen, in der sich queere Armeeangehörige nicht mehr wohl fühlen. Dies trifft je nach Situation auch auf nicht-queere Menschen zu und ist nicht nur in der Armee so. Ich denke, auch auf mancher Baustelle kann ein Outing problematisch werden.

Was tut die Armee dagegen? Die Armeeführung und insbesondere der Chef der Armee sind sich des Themas bewusst. Wie in vielen Unternehmungen trifft man die Massnahme, das Diversity-Management zu stärken, um die Sensibilisierung aller Stufen zu verbessern. So arbeitet die Armee an ihrer Diversity-Perspektive mit dem Titel «Eine Armee für alle». Die QueerOfficers begrüssen diese Schritte. Natürlich würden wir uns wünschen, dass man schneller und mit mehr Ressourcen arbeiten würde.

Bundesrätin Viola Amherd hat Anfang Jahr den Auftrag gegeben, eine allgemeine Meldestelle einzurichten. Angehörige der Armee sollen sich unabhängig von der militärischen Hierarchie an diese Stelle wenden können. Sie wird Ende 2021 ihre Arbeit aufnehmen können. Ist diese Meldestelle aus Ihrer Sicht in Bezug auf Homophobie nötig oder genügten die derzeitigen Strukturen? Die QueerOfficers begrüssen alle Anstrengungen, mehr Transparenz und mehr Sicherheit für die Menschen in der Armee zu schaffen.  Wir sind aber auch der Ansicht, dass heute bereits genügend Kanäle bestehen, an die sich Angehörige der Armee richten können. Neben dem Weg über ihre Kommandanten stehen bei Problemen der militärärztliche Dienst, der Psychologisch-Pädagogische Dienst, der Sozialdienst der Armee oder die Armee-Seelsorge zur Verfügung. Die Fachstellen Diversity Schweizer Armee oder Extremismus können ebenfalls angegangen werden. Auch die QueerOfficers bieten eine Anlauf- und Beratungsstelle an, die wenige Fälle pro Jahr betreut.

Hätten Sie in Bezug auf Homophobie also ein dringenderes Anliegen? Es fehlen aus unserer Sicht eher eine noch gründlichere Sensibilisierung und Ausbildung aller Stufen. Angehörige der Community sollen merken, dass sie in der Armee willkommen sind. Armeeangehörige ausserhalb der Community sollen lernen, dass Ängste und Vorurteile unnötig sind und dass Diversität zu einem echten Mehrwert führt. Auch in der Armee. Lippenbekenntnisse helfen wenig – wir unterstützen daher umfassende Massnahmen, um Respekt und Offenheit in jeder Situation zu fördern und sicherzustellen. Auf diesem Weg begleiten wir die Armee seit über 15 Jahren und sind der Überzeugung, dass wir bereits viel erreichen konnten.

Die QueerOfficers sind seit 2005 der Verein der LGBTIQ-Armeeangehörigen und deren Interessenvertretung gegenüber der Armee. Früher waren ausschliesslich Offiziere dabei, heute werden auch Soldat*innen und Unteroffizier*innen aller Geschlechter aufgenommen. Wer einfach so dabei sein will, kann Sympathisant*in werden. Die heute rund 120 Mitglieder profitieren vom Netzwerk und Vereinsanlässen. Die QueerOfficers führen Ausbildungen durch und treffen regelmässig den Chef der Armee, um Verbesserungen anzustossen.

 

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