«Mich kreativ auszudrücken, ist meine Überlebensstrategie»

Ariel Oscar Greíth versucht mit seinen Bildern die Vergänglichkeit einzufangen

Bild: Ariel Oscar Greíth
Bild: Ariel Oscar Greíth

Ablehnung, Obdachlosigkeit, Krankheit: Im Alltag musste sich Ariel Oscar Greíth immer wieder mit der eigenen Vergänglichkeit auseinandersetzen. Mit seiner Fotografie eifert er der Konservierung des Augenblicks hinterher.

Ariel ist kein einfacher Mensch. Der Fotograf aus Hessen ist sogar in vielerlei Hinsicht sehr komplex. Zu komplex, um ihn wirklich ergründen zu können. Und doch lässt sich sein facettenreiches Wesen zumindest ansatzweise greifen, wenn man sich seine Bilder anschaut. Diese entwachsen einem Spannungsfeld, das Reflexion, Destruktivität, Hoffnung und Hoffnungslosigkeit in sich vereint.

Bei der Auswahl seiner Motive achtet der 32-Jährige stets auf das Potenzial, sich in sie verlieben zu können. Er nutzt Liebe als Motor für Kreativität.

Kein einfacher Start Obwohl Ariel 1986 in eine Familie geboren wird, in der jedes Mitglied ein ausserordentliches künstlerisches Talent besitzt, gilt die Professionalisierung dessen als «brotlose Kunst». In der Folge braucht es ein paar aufmerksame Bekannte, die dem Heranwachsenden eine Kamera in die Hand drücken und ihn dazu ermutigen, die Welt durch deren Linse zu erkunden. Schnell wird das Fotografieren für Ariel zu einem Ventil, das ihm erlaubt, Druck abzulassen und mit negativen Emotionen umzugehen.

Mit dem Coming-out eskaliert die Situation dann aber. Im Alter von 16 Jahren wird Ariel des Hauses verwiesen und lebt für mehrere Monate ohne Obdach. «Die Zeit auf der Strasse hat mir viel über das Beobachten und Interagieren von Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religion, Sexualität und Individualität beigebracht», erklärt er. Entschlossener denn je folgt Ariel nach dem Abitur seiner Passion, studiert Fotografie in Leipzig und erhält ein Stipendium für das National College of Art and Design in Dublin.

Ein Leben an der Grenze der Belastbarkeit Das Jahr 2008 markiert den bedeutsamsten Bruch in Ariels Leben. Ein Teil seiner Zellen hat begonnen, unkontrolliert und abnorm in den Tiefen seines Körpers zu wuchern, diesen zu schwächen und eine Armee innerer Dämonen heraufzubeschwören. Die Diagnose: Darmkrebs.

Unbarmherzig wirft es den damals 22-jährigen aus der Bahn. Doch während ihm der Boden unter den Füssen weggerissen wird und heftigste Depressionen seinen Gemütszustand befallen, greift Ariel das Rettungsseil, das er schon zu Kindertagen geknüpft hat.

LGBT gay Ariel Oscar Greíth
LGBT gay Ariel Oscar Greíth

Zehn Jahre lang nagt der Krebs unaufhörlich an seinen Reserven. Vier Rückfälle, etliche Operationen und Chemotherapien kennzeichnen diese Zeit. «Einer der intensivsten Momente meines Lebens war der, als ich nach langer Krankheit keine Kraft mehr hatte. Ich entschied, sofern mich die Krankheit erneut heimsuchen sollte, weitere Therapien abzulehnen. Nach jahrelanger Fremdbestimmung und der Doktrin meines Umfeldes, dass Aufgabe keine Option sei, war das ein befreiender Moment.»

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Der Bildband «How To Get Here» dokumentiert auf bemerkenswerte Art und Weise die Eindrücke, die Ariel in den Irrungen und Wirrungen des Gesundheitssystems gesammelt hat. Ein System, das mit aller Nachdrücklichkeit – und oft um jeden Preis – am Überleben festzuhalten versucht.

Willkommen im Dazwischen Neben dem Kreislauf, den Leben und Tod beschreiben, widmet sich Ariels fotografisches Werk vor allem der Fähigkeit, Akzeptanz zu üben. Denn erst, wenn wir die Gewissheit annehmen können, dass in jedem Problem auch immer ein Teil der Lösung verborgen ist, gelingt es uns, wirklich voranzukommen. «Ich habe irgendwann durch meine Arbeit lernen müssen, loszulassen. Das Bestreiten der Krankheit hat also nicht nur meine Kunst beeinflusst, sondern meine Kunst auch den Umgang mit mir und der Situation. Generell eine sehr wechselwirkende Beziehung.»

Ariel Oscar Greíth
Ariel Oscar Greíth

Dass Schönheit keine festgeschriebenen Ideale kennt, sondern Ästhetik auch in vermeintlicher Hässlichkeit ein Fundament finden kann, lässt sich anhand von Ariels Gespür für Dynamik, Licht und Schatten nachvollziehen. Seine Bilder wirken erhaben und stark, gleichsam aber oft auch fragil und von Verzweiflung durchwoben. Diese Dialektik macht die Faszination seiner Fotografien aus. Genauso wie das Wissen um den Körperkult, der unsere Community fest im Griff hält. «Was viele schwule Männer gemeinsam haben, ist die Ablehnung ihrer Sexualität durch die Familie und das soziale Umfeld», sagt er.

Dies führe dazu, dass sie nach einem idealistischen Selbstbild in der Überästhetisierung ihres männlichen Gegenübers suchen. «Die Sehnsucht nach einem starken Heroen, einem Athleten, der seine Feinde besiegt». Das Spielen mit diesem Stereotyp und das Aufsprengen seiner Form in viele differenzierte Bruchstücke ist für Ariel zum festen Handwerkszeug geworden. Man darf gespannt sein, was diesem kreativen Kopf noch alles entwachsen wird.

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