Alte Meister feiern Vielfalt im Kunsthistorischen Museum Wien

Die Dragqueen Tiefe Kümmernis führt in der österreichischen Hauptstadt durchs Museum

Die Dragqueen Tiefe Kümmernis als Kunst­vermittlerin
im Museum. (Bild: Kunsthistorisches Museum Wien)
Die Dragqueen Tiefe Kümmernis als Kunst­vermittlerin im Museum. (Bild: Kunsthistorisches Museum Wien)

Im Kunsthistorischen Museum Wien lassen sich queere Lebensweisen in einigen Werken bewundern. Alte Meister wie Correggio oder Spranger haben sie gemalt. Die Dragqueen Tiefe Kümmernis bietet spezielle Führungen an.

Text: Tiefe Kümmernis

Das Kunsthistorische Museum Wien bewahrt und zeigt Alte Meister und ihre Objekte aus fünf Jahrtausenden – vom altägyptischen Reich, über die klassische Antike in Griechenland und Rom, bis hin zu Renaissance und Barock. Und nicht nur das. Während andere Museen Hinweise auf LGBTIQ-Personen ignorieren oder vielleicht sogar verstecken, geht man hier ganz offen damit um.

Um deutlich zu machen, dass die Vergangenheit nicht nur heterosexuell und binärgeschlechtlich war, gebe ich als Dragqueen Themenführungen im Kunsthistorischen Museum Wien. Darin stelle ich queere Sagengestalten sowie historische Persönlichkeiten vor. Queere Menschen gehören ganz selbstverständlich zur Menschheits- und Kunstgeschichte dazu. Hier ein Beispiele aus meinen Führungen.

1. «Die Entführung des Ganymed»

Aus dem antiken Sagenreich entstammen die «Liebschaften des Zeus»– Begegnungen, die nicht immer freiwillig waren und mitunter auch Vergewaltigungen genannt wurden. Wesentlich häufiger jedoch wurden sie früher als einvernehmlich und sinnlich-erotisch dargestellt.

Ein perfektes Beispiel dafür bildet die Entführung des Ganymed von Correggio. Der junge Mann gibt sich ohne Angst dem Zeus hin, der ihn in Gestalt eines Adlers entführt. Im Olymp angekommen soll Ganymed, laut Ovid, zum Bettgenossen Zeus’ und zum göttlichen Mundschenk werden.

Bisexuelle Affären des Zeus Correggios Werk entstand als Dekoration für ein Gemach des Herzogs von Mantua, Federigo Gonzaga. Die anderen drei Bilder dieser Serie zeigen den verwandelten Gott mit Frauen. Scheinbar waren die bisexuellen Affären des Zeus kein Problem für den Herzog. Dies ist nicht verwunderlich – im 16. Jahrhundert gab es einige italienische Stadtstaaten, in denen sexuelle Handlungen zwischen Männern zwar nicht legal, aber dennoch allgegenwärtig waren. Für Florenz ist dies besonders gut dokumentiert. Im Falle einer Verurteilung musste man moderate Geldsummen zahlen oder Sachspenden ableisten.

In späteren Jahrhunderten sorgte Correggios Entführung jedoch für Unwohlsein. Man begann, die sexuelle Komponente durch christliche Interpretationen zu negieren. Zum Beispiel wurde Ganymed als Sinnbild für die unsterbliche Seele bezeichnet, die zu Gott in den Himmel aufsteigt.

Entblösster Hintern Folgende Dinge sind jedoch sehr deutlich zu sehen: Der Adler hält den jungen Ganymed nur an seinem Gewand fest, um ihn nicht zu verletzen. Dabei rutscht der Stoff nach oben und entblösst den Hintern des jungen Mannes. Dessen Gesicht lässt auch keinerlei Angst oder Protest erkennen. Da Zeus es scheinbar gar nicht abwarten kann, leckt er mit seiner Adlerzunge schon über das Handgelenk Ganymeds. Die sinnlich-erotischen Anteile des Bildes sind schwer von der Hand zu weisen.

2. «Prinzessin Maria Isabella von Parma»

Auch am Hof der Habsburger in Wien wurde gleichgeschlechtlich geliebt. Isabella von Parma war 19 Jahre alt, als sie den späteren Kaiser Joseph II. heiratete. Am Wiener Hof wurde die Prinzessin für ihre ausgezeichnete Bildung geschätzt und gerühmt. Sie schrieb Briefe mit ihrer fast gleichaltrigen Schwägerin, Erzherzogin Marie Christine. Denen kann man entnehmen, dass die beiden Frauen durch mehr als nur gegenseitige Bewunderung verbunden waren («Adieu, ich küsse Sie und bete Sie an bis zu einem Grade, den ich nicht sagen kann», und viele weitere Beispiele). Es muss Joseph verletzt haben, dass seine angebetete Ehefrau nicht für ihn, sondern für seine Schwester Feuer und Flamme war. Nach dem frühzeitigen Tod Isabellas hat er die Briefe Marie Christines an seine Ehefrau wahrscheinlich zerstört. Isabellas Briefe an ihre Schwägerin sind jedoch erhalten und mehrfach publiziert worden.

Isabella von Parma
Isabella von Parma

3. «Hermaphroditus und die Nymphe Salmacis»

In gekünstelter Haltung sieht man eine Nymphe namens Salmacis, die gerade ihre Kleidung ablegt. Der junge Mann, der in der Quelle sitzt, heisst Hermaphroditus und ist der Sohn von Hermes und Aphrodite. Die folgende Erzählung entstammt den Metamorphosen von Ovid: Als der naive Hermaphroditus beim Wandern die Quelle der Salmacis erreicht, begehrt die Nymphe ihn sofort. Er weist sie jedoch ab, denn er möchte nur in Ruhe baden. Salmacis lässt nicht locker und versteckt sich im Gebüsch. Im nächsten Moment wird sie zu Hermaphroditus in die Quelle springen, ihn an sich drücken und unter Wasser ziehen, während sie betet, nie wieder von ihm getrennt zu werden. Ihr Wunsch wird auf unerwartete Weise erfüllt – die beiden Körper verschmelzen zu einem, der nicht ganz Frau und nicht ganz Mann ist. Die entstandene Person verliert den Namen von Salmacis und wird von da an nur noch Hermaphroditus genannt. In der Kunst wird die Figur übrigens ganz unterschiedlich dargestellt. Jan Gossaert beispielsweise malt einen Menschen mit zwei Köpfen und zwei Geschlechtsorganen – männlich und weiblich nebeneinander. Soweit der Mythos.

Hermaphroditus
Hermaphroditus

Man muss die Figur des Hermaphroditus gründlich von der Realität unterscheiden. Intergeschlechtliche Menschen werden mit Merkmalen geboren, die nicht eindeutig den Kategorien «männlich» oder «weiblich» zuzuordnen sind. Das ist eine natürliche Varianz, die schon immer vorkam. Sie kann verschiedenste Ursachen und Ausdrucksformen haben. Auch wenn intergeschlechtliche Menschen schon immer existierten, wurden sie oft dazu gezwungen, sich als Frau oder Mann in das binäre System einzugliedern.

Bartholomäus Spranger hat sich bei diesem Gemälde für den Moment kurz vor der Verschmelzung entschieden. Einerseits ist das der spannungsreichste Moment der Geschichte, und diese waren in der altmeisterlichen Kunst besonders beliebt. Andererseits schuf Spranger das Gemälde für Kaiser Rudolf II., der ein Faible für weibliche Aktdarstellungen hatte. Trotz aller Faszination für den Mythos des Hermaphroditus, die sowohl Kaiser als auch Künstler sicher hatten, entschied man sich für die Fokussierung auf den weiblichen Akt. Der männlich-heterosexuelle Blick siegt in diesem Fall.

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