Das Zwangsouting hat «Verspanntheit gelöst, die danach weg war»
Mit seiner Homosexualität hat sich Alfred Biolek lange schwer getan
Alfred Biolek war der Talk- und Kochshow-Pionier, er war eine Marke mit drei Buchstaben: Bio. Am Ende seines Lebens konnte er zufrieden feststellen, dass Deutschland ein bisschen so geworden war wie er. Christoph Driessen, dpa
Das Belgische Viertel ist das Geniesser-Viertel von Köln, und dort konnte man Alfred Biolek in seinen letzten Jahren immer mal wieder begegnen. Er ging ganz langsam und schob einen Rollator vor sich her. Am Schluss machte er nur noch winzige Schritte und musste von seinem Adoptivsohn Scott Biolek-Ritchie gestützt werden. Sehr schmal und schwankend war er geworden, und doch zweifelte man keinen Augenblick daran, dass er es war. Das Professorengesicht mit der runden Brille war eben doch unverkennbar. Und wenn er dann zum Beispiel in einem Restaurant etwas Gutes vorgesetzt bekam, dann ging noch immer ein Leuchten über sein Gesicht: «Hmmmm! Lecker!»
Nun ist Alfred Biolek, der grosse Pionier des deutschen Fernsehens, in Köln gestorben. Er schlief am Freitag friedlich ein, wie die Deutsche Presse-Agentur von seinem Adoptivsohn Scott Biolek-Ritchie erfuhr (MANNSCHAFT berichtete).
Biolek hatte über Jahrzehnte die Erneuerung der deutschen TV-Landschaft vorangetrieben. Zwei Formate hat er wesentlich mitbegründet: die Talkshow und die Kochshow. Aber er hat nicht nur das Fernsehen geprägt, er hat über dieses Medium auch die Gesellschaft beeinflusst. Am Ende seines Lebens konnte er mit grosser Genugtuung feststellen, dass die Deutschen ein wenig so geworden waren wie er: dem guten Essen zugetan, offen für alle möglichen kulturellen Einflüsse aus dem Ausland und im Allgemeinen tolerant gegenüber Minderheiten.
«Von den grossen Ländern – Frankreich, England, Italien, Spanien – hat sich Deutschland am weitesten geöffnet und verkrustete Strukturen aufgebrochen», sagte er rückblickend der Deutschen Presse-Agentur. Allerdings machte er in seinen letzten Lebensjahren eine Einschränkung: Dass die Rechten wieder aktiv würden, das finde er schlimm, sagte er. Vielleicht könnten die Menschen eben doch nicht aus der Geschichte lernen.
Der Anwaltssohn Biolek wurde 1934 in Freistadt – heute Tschechien – geboren und verlebte eine behütete Kindheit in einem grossbürgerlichen katholischen Elternhaus. Nach dem Krieg floh die Familie in den Westen, und wie sein Vater studierte Biolek Jura und promovierte zum Doktor der Rechtswissenschaften. Zeitlebens hatte er immer etwas von einem zerstreuten Professor: Die runde Brille, die Kärtchen, mit denen er vor der Kamera hantierte, die vielen «Ähs», die abgebrochenen Sätze.
Bioleks Karriere wäre heute undenkbar. Als Justiziar begann er 1963 beim neugegründeten ZDF, wechselte aber bald darauf ins Redaktionelle. Bei seinem ersten Auftritt vor der Kamera gab er «Tipps für Autofahrer».
1970 kam er zum WDR nach Köln und entwickelte dort mit Rudi Carrell die Samstagabendshow «Am laufenden Band», die erfolgreichste Sendung der 1970er Jahre. Parallel sammelte er im «Kölner Treff» erste Moderationserfahrung und bekam 1978 seine eigene Sendung, «Bio’s Bahnhof». Danach war er im deutschen Fernsehen 30 Jahre ständig präsent. Allein seine Talkshow «Boulevard Bio» lief zwölf Jahre lang. Seine Ära endete erst 2007 mit der letzten Folge der Kochsendung «Alfredissimo».
«Bio» war ein enormer Kenner der Kulturszene nicht nur in Deutschland, sondern zum Beispiel auch in den USA, in England und den Niederlanden. Er war es, der Monty Python und Herman van Veen nach Deutschland holte, der zum ersten Mal Sting im Ersten auftreten liess. In seiner Wohnung in Köln empfing er Weltstars wie Tina Turner zum Essen. Sein schönstes Kompliment bekam er von Sammy Davis jr. in «Bio’s Bahnhof»: «Ich bin seit 53 Jahren im Showbusiness, und ich muss sagen, dies ist die originellste und am Besten zusammengestellte Fernsehshow, in der ich jemals auftreten durfte.»
Ich habe da einen Schlag bekommen, der sehr wehgetan hat, aber irgendwo hat dieser Schlag eine Verspanntheit gelöst, die danach weg war.
Mit seiner Homosexualität hat sich Biolek lange schwer getan. Erst im Alter von etwa 30 Jahren gestand er sich selbst ein, dass er schwul war, gab bei dieser Gelegenheit all seine Anzüge in die Altkleidersammlung und trug eine Zeit lang nur noch Pullover und Lederjacke. Öffentlich sprach er nie darüber. Sein Coming-out übernahm ein anderer für ihn: Der Filmemacher Rosa von Praunheim verkündete 1991 in einer RTL-Sendung, Biolek sei «stockschwul». Der empfand das zunächst als «unfair», doch später war er froh darüber: «Ich habe da einen Schlag bekommen, der sehr wehgetan hat, aber irgendwo hat dieser Schlag eine Verspanntheit gelöst, die danach weg war.»
Lange war Biolek ein fester Bestandteil der Berliner Gesellschaft. Wenn er eines seiner rauschenden Feste gab, kamen alle: der Regierende Bürgermeister, der Ex-Kanzler, der Bundespräsident. Doch dann veränderte sich sein Leben von einem Tag auf den anderen: 2010 stürzte er auf der Treppe, zog sich Kopfverletzungen zu und fiel ins Koma. Danach war sein Gedächtnis weg. Erst beim Lesen seiner Autobiografie kehrte die Erinnerung zurück.
Anschliessend zog er nach Köln zurück und verschwand aus der Öffentlichkeit. «Mir war aufgefallen, dass ich in Berlin zwar sehr viele Bekannte hatte, meine richtigen Freunde aber überwiegend in Köln wohnen.» Von seiner Wohnung aus blickte er über die Wipfel des Stadtgartens mit uralten Bäumen. Dort ging er immer spazieren und sah den Kindern einer nahe gelegenen Schule zu, die dort die Pause verbrachten. Einen Partner hatte er nicht mehr, aber sein Adoptivsohn Scott und seine Freunde kümmerten sich liebevoll um ihn. Zum Kochen oder Verreisen war er zu schwach, aber er konnte immer noch ins Restaurant oder in die Philharmonie gehen.
Angst vor dem Tod hatte der Katholik nicht. Einmal sagte er der Deutschen Presse-Agentur: «Ich habe das Gefühl, ich werde den Tod genauso entspannt erleben wie alle Dinge in meinem Leben.»
Mit Alfred Biolek verlieren wir ein Allroundtalent des deutschen Fernsehens.
Der WDR-Intendant und ARD-Vorsitzende Tom Buhrow hat Biolek als begnadetes Multi-Talent gewürdigt. Er sei nicht nur Talkmaster, sondern auch «Ideengeber, Entdecker, Förderer und äusserst kreativ» gewesen, erklärte Buhrow (62) am Freitag in Köln. Er fasste zusammen: «Mit Alfred Biolek verlieren wir ein Allroundtalent des deutschen Fernsehens.»
Bioleks Interesse habe den Menschen gegolten, der Kunst, der Kultur und der anspruchsvollen Unterhaltung. Als Beispiel nannte er auch Bioleks Kochsendung «alfredissimo». «Mit wieviel Freude und Humor er sie zusammen mit seinen prominenten Gästen zelebrierte, das war mir beim Zuschauen immer ein Vergnügen», sagte Buhrow.
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