«Wenn du dich zu Hause nicht wohlfühlen kannst – wo dann?»

Ein Film über intergenerationellen Austausch

Eine Frau misst ihre künftige Wohnung aus, Szene aus «Wood für the Trees» (Foto: Rob Crosse)
Eine Frau misst ihre künftige Wohnung aus, Szene aus «Wood für the Trees» (Foto: Rob Crosse)

Die Schwulenberatung Berlin feiert diesen Freitag die Eröffnung des Lebensort Vielfalt am Südkreuz, ein weiteres Mehrgenerationhaus für LGBTIQ. Der Kurzfilm «Wood für the Trees», der u.a. dort entstanden ist, wird jetzt international gefeiert.

Am 7. Oktober feiert der neue Lebensort Vielfalt den Tag der offenen Tür, die ersten Bewohner*innen sind bereits in den vergangenen Monaten eingezogen. Nun lädt die Schwulenberatung Berlin als Träger der Einrichtung offiziell zur Eröffnung.

Der Visual-Arts-Künstler Rob Crosse hat einen Film gedreht: «Wood for the Trees» des gebürtigen Briten läuft aktuell im Rahmen von «Chaleur humaine» (auf Deutsch: menschliche Wärme), einer gross angelegten Ausstellung, die in Dünkirchen mehr als 250 Werke von fast 130 Künstler*innen präsentiert, hauptsächlich aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich.

In seinem Beitrag stellt Crosse eine Verbindung her zwischen zwei, nun, Communitys – der queeren, einerseits: Lesben, Schwule, bisexuelle, trans, inter, nicht-binäre Personen – und einer der ältesten Communitys der Welt, der Lebens- und Schicksalsgemeinschaft von Bäumen: dem Wald.

Peter Wohlleben, Förster und Bestseller-Autor, hat es in seinem Buch «Das geheime Leben der Bäume» beschrieben, wie Bäume miteinander kommunizieren, wie sie ihren Nachwuchs, aber auch alte und kranke Nachbarn liebevoll umsorgen und pflegen.



Diese Strukturen des Waldes einerseits, wo Informationen und Nährstoffe untereinander ausgetauscht werden, wo ältere, erfahrene Bäume darauf schauen, dass die jungen nicht zu schnell wachsen, weil sie sonst zu dünn werden und schneller brechen können – und die queere Community andererseits: «Diese Welten wollte ich zusammen bringen», sagt Crosse im Gespräch mit MANNSCHAFT. Er wollte sich in seinem Projekt mit der Wertschätzung für intergenerationellen Austausch befassen.

Gedreht hat er für seinen 12-Minuten-Film zum einen im Eldenaer Wald am Rande der Stadt Greifswald, vom Universitätsteam überwacht. «Die Bäume scheinen sich frei zu drehen und zu tanzen, befreit von den Fesseln der reglementierten Reihen, die für den kommerziellen Holzeinschlag gepflanzt wurden. Umgestürzte Stämme wimmeln von neuem Leben, das Büschel von bunten Pilzen hervorbringt», so beschreibt es Crosse.

Rob Crosse
Rob Crosse

Die andere Welt, die queere, fand er auf einem Fleck konzentriert in dem Berliner Wohnprojekt der Schwulenberatung, Europas grösstem queeren Mehrgenerationen-Wohnprojekt, dem Lebensort Vielfalt am Südkreuz.

Viele ältere Mitglieder der LGBTIQ-Communiy haben Angst, in Pflegeheime zu ziehen, wo sie befürchten, von anderen Bewohner*innen oder dem Personal beurteilt oder gar diskriminiert zu werden.

Dort im Lebensort Vielfalt zu leben, in einer Wohnung zwischen jüngeren und älteren Leuten, das beschreibt ein älterer schwuler Mann im Film als Traum. «Denn ich bin schon ein Senior und ich wollte nicht in ein Alters- oder Pflegeheim gehen, 
wo nur ältere pflegebedürftige Menschen sind.»



Auch das lesbische Paar Elke und Monika wohnt in dem Haus, das in zwei Wochen offiziell eröffnet wird, mitsamt ihren Habseligkeiten aus 27 Jahren Beziehung sind sie eingezogen. «Die Sache ist einfach die, dass ich als lesbische Frau dort einen sicheren Hafen mit meiner Frau habe, innerhalb eines sicheren Hafens. Das bedeutet, dass sich niemand mit uns anlegen kann», erzählen sie im Film.

Leben in einem diversen und inklusiven Umfeld – wie das in der LGBTIQ-Community funktioniert, das interessiert den Filmemacher Crosse, der sich in seinem Film hauptsächlich mit der Hoffnung der Bewohner*innen befasste.

«Wenn dein Zuhause nicht der Ort ist, wo du dich wohlfühlen kannst – wo kannst es dann?», ist so ein Satz, der in dem Film fällt und als Motto für das Wohnprojekt dienen könnte.

Rob Crosse
Rob Crosse

Die von Crosse Interviewten – Schwule, Lesben und nicht-binäre Personen – sind grob zwischen 30 und 80 Jahre alt; vor allem sind es ältere Leute, die er begleitet hat, als sie zum ersten Mal ihr neues Zuhause betraten und Mass nahmen. In seinen Arbeiten ist es stets sein Anliegen, «den Wert des fortgeschrittenen Alters zu visualisieren, zu verstärken und herauszufordern», wie er selber sagt. Das hat er u.a. schon in seinem Film «Prime Time» getan, für das er 2017 eine Gruppe älterer Männer auf einer Gay Cruise begleitete (MANNSCHAFT+).

Nun also sein neuer Film, in dem sich Bilder und Szenen aus Wald und Wohnprojekt abwechseln und überlappen. «Es geht hier gar nicht darum zu sagen: Menschen sind Bäume, und Bäume sind Menschen», erläutert Crosse. «Aber es ist lohnenswert, sich andere Systeme oder Formen des Zusammenlebens anzusehen, in denen sich Spezies gegenseitig unterstützen.»

Eine Woche, nachdem der Lebensort Vielfalt am Südkreuz offiziell Eröffnung feiert, zeigt Crosse «Wood for the Trees» in England, beim London Film Festival. In Dünkirchen ist er noch bis Mitte Januar 2024 zu sehen.

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