«We Are Who We Are» – Auf der Suche nach sich selbst

Die erste Serie von «Call Me By Your Name»-Regisseur Luca Guadagnino startet

Foto: HBO/Sky
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Für die gefeierte Romanverfilmung «Call Me By Your Name» wurde der schwule Regisseur Luca Guadagnino in der Kategorie Bester Film für den Oscar nominiert. Nun startet bei Starzplay seine erste Serie «We Are Who We Are» über die Fluidität von Identität.

In seiner Kindheit drehte er Filme mit einer Super8-Kamera, an der Uni schrieb er seine Abschlussarbeit über den Regisseur Jonathan Demme. Daran dass Luca Guadagnino, als Sohn einer Italieners und einer Marokkanerin in Palermo geboren, irgendwann als Filmemacher Karriere machen würde, bestand also eigentlich nie ein Zweifel. Gleich in seinem Debütfilm «The Protagonists» spielte Tilda Swinton die Hauptrolle, genau wie später im Golden-Globe-nominierten «I Am Love» sowie in «A Bigger Splash».

Für die gefeierte Romanverfilmung «Call Me By Your Name» wurde der schwule Regisseur, der im August seinen 50. Geburtstag feiert, schliesslich sogar in der Kategorie Bester Film für den Oscar nominiert (MANNSCHAFT berichtete). Ob und wann deren Fortsetzung Realität wird, steht aktuell in den Sternen. Doch zumindest startete am 7.3. beim Streamingdienst Starzplay endlich Guadagninos erste Serie «We Are Who We Are», in deren Zentrum zwei amerikanische Teenager auf einer Militärbasis in Italien stehen. Jeden Sonntag wird eine neue der insgesamt acht Folgen zu sehen sein.

Herr Guadagnino, «We Are Who We Are» ist Ihre erste Serie. Hatten Sie das Gefühl, dass Sie sich an dieser populären Erzählform auch endlich einmal versuchen müssen? Nein, gar nicht. Und ich habe an «We Are Who We Are» auch nicht anders gearbeitet als ich es an einem langen Film getan hätte. Es war nur so, dass mir die erste Idee für das Projekt schon in Serienform angeboten wurde. Eine Serie über Jugendliche auf der Suche nach sich selbst und die Fluidität von Identität, angesiedelt in einem amerikanischen Vorort. Das war das Konzept, das die Autor*innen Francesca Manieri und Paolo Giordano entwickelt hatten. Das Thema interessierte mich, nur das Setting nicht. Aber dann haben wir gemeinsam die Geschichte in die Welt einer amerikanischen Militärbasis in Italien verlegt und davon ausgehend die Figuren entwickelt. So wurde für mich ein Schuh daraus.

Im Zentrum der Geschichte stehen mit Fraser und Caitlin zwei sehr verschiedene, eigenwillige 14-Jährige, die beide schwer mit ihrer Selbstfindung beschäftigt sind. Was interessierte Sie so an diesen beiden Jugendlichen? Zunächst einmal reizte mich der Gegensatz, wenn es darum geht, wie die beiden umgehen mit der Suche nach ihrer Identität. Fraser trägt seine Emotionen oft nach aussen und handelt impulsiv, während Caitlin extrem nachdenklich ist und sich in sich selbst zurückzieht. Und insgesamt ist dieses Alter für mich als Geschichtenerzähler einfach enorm spannend, weil für Teenager ihr Dasein noch kein bisschen definiert ist. Die eigene Identität befindet sich in einem konstanten Stadium der Mutation, körperlich genauso wie innerlich. Nie verändert man sich in seinem Leben so sehr und so intensiv wie als jugendlicher Mensch.

Haben Sie nie Angst, als erwachsener Mann, der aus einer anderen Generation stammt, womöglich nicht ganz den Finger am Puls ihrer jungen Protagonist*innen zu haben? Und sei es auch nur, was deren Mode- und Musikgeschmack angeht? Jetzt machen Sie mich mal nicht so alt … Bernardo Bertolucci hat einmal gesagt, dass jeder Spielfilm auch eine Dokumentation über die Schauspieler*innen sei, mit denen man arbeitet. Da ist etwas dran. Man muss als Regisseur den Menschen, mit denen man arbeitet, zuhören, sie beobachten und zu verstehen versuchen. Ich bin als Regisseur nie zu alt, um junge Figuren zu begreifen, solange ich offen und neugierig bin und mit wachem Blick durchs Leben gehe. Schwierig ist es nur, wenn jemand einzig auf die eigenen Erfahrungen und Vorstellungen vertraut und das eigene System allem anderen überstülpt. Dann sieht das Ergebnis womöglich unecht und falsch aus.

Lassen die popkulturellen Referenzen in «We Are Who We Are» – von der Musik von Blood Orange über Klaus-Nomi-Poster bis hin zu den Gedichten von Ocean Vuong – eigentlich Rückschlüsse auf Ihren persönlichen Geschmack zu? Nicht unbedingt. Ich präsentiere mich nie selbst vor der Kamera, auch nicht auf diese Weise. Ich denke immer nur an die Figuren bzw. mich in sie hinein. So toll ich Ocean Vuong als Dichter und Schriftsteller finde, so sehr ist das in diesem Fall doch eher der Geschmack meines Protagonisten Fraser als mein eigener. Ich hatte ein sehr klares Bild von diesem jungen Kerl, der gleichzeitig ganz versunken ist in der neusten Gegenwartskultur, aber gleichzeitig auch Joan Didion liest und – wie Poster von Klaus Nomi oder «Blue Velvet» in seinem Zimmer zeigen – einen Bezug zur Vergangenheit hat.

Hatten Jack Dylan Grazer und Jordan Kristine Seamón, Ihre beiden jungen Hauptdarsteller*innen, eigentlich Einfluss auf die Gestaltung ihrer Rollen? Schauspieler*innen haben immer Einfluss auf ihre Figuren, das ist schliesslich ihre Kunst. Man will als Regisseur ja nicht bloss Marionetten, die selbst nichts einbringen. Ich zumindest freue mich immer über einen Austausch mit intelligenten Menschen, die ihre eigene Meinung haben und diese auch äussern. Mit Jack und Jordan hatte ich in dieser Hinsicht grosses Glück, und natürlich wären die Figuren, die Sie nun auf dem Bildschirm sehen, ohne sie so nie entstanden.

Faszination Männerkörper – ganz nah dran, mit Florian Hetz

Lesbische Mütter auf der einen Seite, ein schwarzer Trump-Fan als Vater auf der anderen – «We Are Who We Are» fährt viele Themen auf, die dieser Tage heftig diskutiert werden … Aber nie um zu provozieren oder Reaktionen hervorzurufen. Mich interessiert der Zeitgeist nicht, und wir haben das Drehbuch nicht mit der Absicht geschrieben, möglichst viele brandaktuelle Debatten aus der Identitätspolitik unterzubringen. Das, was wir in der Serie zeigen, ist einfach das ganz normale Leben. Zumindest das Leben, wie ich selbst es kenne, denn mein Alltag ist deutlich diverser und vielfältiger als alles, was man sonst auf dem Bildschirm sieht.

Man kann auch homosexuell und rechts sein.

Aber zumindest ging es Ihnen doch auch in der Eltern-Generation um grösstmögliche Gegensätze, oder? Nein, so sehe ich das nicht. Lesbisch und Trump-Fan – das ist doch kein Gegensatz. Man kann auch homosexuell und rechts sein. Wichtig war mir nur, die Vielfältigkeit einer Gesellschaft im Mikrokosmos dieser Militärbasis zu zeigen.

Gerade einige amerikanische Kritiker schrieben über «We Are Who We Are», dass es Ihnen darum ginge, zu schockieren! Ach ja? Verstehe ich nicht. Das einzige, was ich selbst schockierend finde, ist Dummheit. Und mit die grösste Dummheit ist in meinen Augen, wenn man an eine Geschichte mit lehrbuchmässigen Erwartungen und Mustern herangeht. Deswegen vermeide ich das in meiner Arbeit mit aller Kraft. Banalität und Konventionalität machen mich wütend.

Sie haben eben gesagt, Sie wollen einfach nur das Leben zeigen. Durch die Protagonist*innen, die Sie dabei wählen, wird die Serie aber durchaus auch zu einem gesellschaftspolitischen Statement, oder nicht? Alles, was man tut, ist politisch. Auch das blosse Gucken einer Fernsehserie. Denn auch eine Serie hat eine Stimme, und diese Stimme ist womöglich eine andere, eine ungewohnte, die zum Denken und vielleicht sogar Umdenken anregt. Oder sie führt dazu, dass man mehr erfahren möchte und sich intensiver mit einer Sache auseinandersetzt.

Lassen Sie uns noch kurz über Des Hynes alias Blood Orange sprechen, dessen Musik in «We Are Who We Are» eine grosse Rolle spielt. Wie kam der Kontakt zwischen Ihnen zustande? In dem ich ihn angerufen habe.

Sie kannten sich also nicht vorher? Nein, aber ich war ein Fan seiner Musik. Genauso wie ich ein Fan all der Künstler*innen bin, mit denen ich zusammenarbeite. Meine Arbeit könnte man zusammengefasst beschreiben als das grosse Privileg, immer wieder all die Menschen um mich zu versammeln, die ich bewundere.

We Are Who We Are
We Are Who We Are

Für viele Menschen waren es Künstler*innen und ihre Arbeit, die die vergangenen 12 Monate erträglich machten. Haben auch Sie Neues entdeckt, von dem Sie Fan wurden? Womöglich Serien oder Filme, die Sie im Lockdown geguckt haben? Ich schaue weder Fernsehen noch habe ich irgendwelche Streaming-Abos. Aber ich habe, auch wenn die Kinos kaum geöffnet waren, ein paar Filme entdecken können, die mich begeistert haben. «Beginning» von der georgischen Regisseurin Dea Kulumbegashvili beispielsweise. Oder «Nuevo orden» von Michel Franco.

Konnten Sie die Zeit nutzen, um zu schreiben und neue Projekte vorzubereiten? Seit ich mit der Arbeit an «We Are Who We Are» und meiner Dokumentation über Salvatore Ferragamo fertig bin, versuche ich eigentlich nur, ein wenig Ruhe zu finden. Das ist alles.

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