Einige Queers überlegen, aus Thüringen wegzuziehen

UPDATE: LSVD veröffentlicht die queerpolitischen Wahlprüfsteine zur Landtagswahl

Versammlungsgelände einer Wahlkampfveranstaltung der AfD Thüringen (Foto: Jacob Schröter/dpa)
Versammlungsgelände einer Wahlkampfveranstaltung der AfD Thüringen (Foto: Jacob Schröter/dpa)

Am 1. September wird in Thüringen gewählt. Aktuell wäre laut Umfragen die AfD die stärkste Partei. Keine gute Aussichten für LGBTIQ. Was die anderen Parteien wollen – siehe Grafik am Ende des Artikels.

In der Landeshauptstadt Erfurt findet eine Woche nach der Wahl der CSD statt. Dort hat man mit Sorge die Bilder aus Bautzen gesehen (MANNSCHAFT berichtete) – und hofft auf Solidarität aus der Community und auf möglichst viele Teilnehmer*innen etwa aus Berlin, Stuttgart oder Frankfurt.

Bei der Landtagswahl in Thüringen am 1. September wäre aktuell die vom Verfassungsschutz als «gesichert rechtsextrem» eingestufte AfD mit 30 Prozent stärkste Partei. Zudem steuert das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) laut Wahlumfragen auf zweistellige Werte zu (in ihrem Buch «Die Selbstgerechten» hatte Wagenknecht «skurrile Minderheiten» verächtlich gemacht – MANNSCHAFT berichtete) –, die Ehe für alle jedoch bezeichnet sie als Fortschritt). Wie Forsa-Umfragen im Auftrag von Stern und RTL ergaben, könnte ihre Partei in Thüringen auf 18 Prozent kommen, INSA sieht sie gar bei 19 Prozent.

Das macht den queeren Menschen im Bundesland Sorgen, egal welcher Altersgruppe, berichten Nora Falkenhahn und Marcello Helwig vom Verein QueerWeg, Träger verschiedener queerer Anlaufstellen und Projekte in Thüringen, gegenüber MANNSCHAFT.

«Die Jüngeren z.B. aus unseren Jugendgruppen oder Jugendzentrum gehören zu einer Generation die politisch bereits mit der AfD und ihrer Hetze aufgewachsen ist. Daher gibt es bei Ihnen schon Gewöhnungseffekte und teilweise Strategien damit umzugehen.» Dennoch machten sich viele Sorgen, wenn die AfD und auch andere Parteien, die ihre Positionen übernehmen an die Macht kommen oder zu viel Einfluss bekommen.



«Die Älteren fühlen sich an frühere Zeiten erinnert, als queere Perspektiven nur wenig bis gar nicht akzeptiert wurden, aber auch an das Leben unter einer Diktatur und wie diese Stimmung z.B. seine politischen Ansichten nicht frei äussern zu können oder sich als Person, die Mensch eigentlich ist verstecken zu müssen bzw. Repressionen zu fürchten.»

Besondere Sorge bestehe, dass die gesamtgesellschaftliche Stimmung kippen könnte. Nicht zuletzt durch die starken Ergebnisse bei den vergangen Wahlen für die Rechten und Konservative fühlten sich die Gegner*innen noch sicherer und agierten zunehmend offener mit ihrer Queerfeindlichkeit. «Unser Existenzrecht wird gar in Frage gestellt.» Davon seien lau Falkenhahn und Helwig besonders trans, inter und nicht-binäre Menschen betroffen. Die Sorge gehe teils soweit, dass einige Queers überlegten, das Bundesland zu wechseln oder gar Deutschland ganz zu verlassen.



Anfeindungen und Bedrohungen kennen auch die queeren Vereine und Strukturen im Land. «Bei einigen CSDs in Thüringen waren wir kleinere rechte Gegenproteste gewohnt. Vor allem in ländlichen Gegenden, wenn CSDs zum ersten Mal stattfanden. Aber auch traditionell in Erfurt gab es von Gruppen wie den Dritten Weg oder Neue Stärke Erfurt (eine rechtsextreme Partei aus Erfurt, die auch schon den Generalbundesanwalt beschäftigt hat, nachdem sich Mitglieder der NSP Waffen besorgt haben und eine staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet haben sollen, Am, d Red.) Gegendemos oder kleine Aufmärsche, die in den letzten Jahren zurückgegangen waren.» Nun aber, mit Bildern wie in Bautzen und Aufrufen in den Sozialen Medien z.B. den CSD in Leipzig zu behindern, stiegen auch in Thüringen die Sorgen, das die Rechten wieder aktiver und massiv mobilisieren.

Auch im Wahlkampf oder den Haushaltsverhandlungen in Thüringen gerate der Verein immer wieder in den Fokus von AfD und Co. «Da wird unsere Queere Infrastruktur angedeutet oder auch konkret benannt, dass solche ‹Ideologie-Projekte, wie ein LGBTQ XYZ-Zentrum, die sich als Ziel gesetzt haben unser Volk nur noch weiter in den Abgrund zu reissen› nicht mehr zu fördern seien und das Geld ‹besser› eingesetzt werden sollte.» Flyer und Plakate würden immer expliziter und fokussierten auch LGBTIQ als Zielgruppe etwa mit Parolen wie «Es gibt nur zwei (Geschlechter)!», «Rechnen statt Gendern» oder «Schule ohne Gendern – JA!»

Es gebe in einigen Stadtvierteln und auch in den ländlichen Räumen eine starke Dominanz solcher Plakate. Es gleiche einer «Raumname», erklären Falkenhahn und Helwig: «Die schon ohnehin wenigen Orte und etwas sichereren Räume werden uns genommen bzw. immer unsicherer.» Gleichzeitig werde die Gefährdungslage von Queers von diesen politischen Kräften massiv in Frage gestellt.

Die Zukunft des Thüringer Vereins ist ungewiss. Wobei es auch unter bisherigen rot-rot-grünen Minderheitsregierung immer wieder Unsicherheiten und Verteidigungskämpfe gegen andere politische Kräfte gab. «Leider bangen wir jedes Jahr erneut, da wir nur Projektmittel für jeweils ein Jahr beziehen.» Die Landesförderung mit dem Löwenanteil laufe am 31. Dezember aus.

Förderbescheide und entsprechende Mittel kämen teilweise erst im laufenden Jahr. Im Januar seien fast alle Mitarbeiter*innen arbeitslos gewesen und konnten erst wieder im Februar starten. Mit einer einer neuen Landesregierung werde es noch unwahrscheinlicher weiterhin Berücksichtigung im Landeshaushalt zu finden, schätzt man in Thüringen.

Wir müssen gegebenenfalls bangen und kämpfen dafür, dass wir die Förderung erhalten,

Die Stadt Erfurt hat zwar einen Doppelhaushalt beschlossen, theoretisch stünden dem Queeren Zentrum Erfurt auch 2025 wieder 20.000 Euro zur Verfügung. «Aber auch hier müssen wir gegebenenfalls bangen und kämpfen dafür, dass wir die Förderung auch erhalten, wenn es keine Landesmittel geben sollte. Bisher sind diese Förderungen miteinander gekoppelt.»

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