«Shwule Grüsse vom Balkan» (7) – Boxershorts-Exorzismus

Das «versteckte» Gay Magazin und Mamas tausend Fragen

Foto: Unsplash
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Die Mama von Aleksandar aus unserer Kolumne «Shwule Grüsse vom Balkan» ist aus allen Wolken gefallen und greift zu drastischen Mitteln. Währenddessen versucht Aleks den Wasserfall zu stoppen und sich selbst treu zu bleiben.

Was bisher geschah … 

Ein dicker Jugo. Und dann auch noch shwul. Katholisch-orthodox. Und somit zutiefst verdorben und verloren. Was mancherorts im klerikalen Umfeld täglich Orgien-Brot ist, ist für Bogdana, die Mutter des shwul-serbokroatischen Bären Aleks, die pure Apokalypse. «Was sollen bloss Papa und Alen denken?», fragt sie ihn beinahe verhörend, als er ihre Wohnung zum Gespräch unter vier Augen betritt, nachdem sie beim letzten Familienessen in seiner Tasche ein Gay-Magazin gefunden hatte.

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Ihre Stimme zerfällt nun in ein weiches Wimmern, bis ihr die Tränen die Wangen hinuntertröpfeln. Sie schreit und schluchzt, als sei ihr Sohn gerade gestorben. «Waaaaaruuum?», gellt es Aleks entgegen. «Mutter, bitte beruhige dich … » Doch jedes einzelne seiner Worte dreht die Dezibelzahl ihrer Verzweiflung hoch. «Ich kann so nicht mehr leben! Ich werde hier und jetzt meinem erbärmlichen Leben ein Ende setzen!»

Winselnd eilt sie zum Bad. Er hinterher. Meint sie das jetzt im Ernst? Sie greift zum Medizinschrank, krallt sich eine Handvoll Tablettenpackungen. «Mutter, jetzt hör aber auf. Das bringt doch nichts!» Er schlägt ihr die Tabletten aus der Hand, leert den Medizinschrank und stopft alle Medikamente in die Mülltonne. Sie fällt ihm in die Arme und wimmert: «Ach, mein Sohn, ich liebe dich doch! Aber warum bestraft mich Gott so sehr? Warum kann mein Kind nicht normal sein? Was werden die anderen sagen?»

Da ist er wieder. Der Satz, den Aleks bis aufs Blut hasst: Was «die anderen, die Normalen» sagen werden. Wer sind «die anderen, die Normalen» überhaupt? Und warum ist deren Meinung so wichtig, dass einem ob des Coming-outs des eigenen Sohnes gleich zum Selbstmord zumute ist? Er hält seine Mutter in den Armen und weint. Weint, weil es ihm wehtut, anders zu sein. Weint, weil er den Schmerz seiner Mutter nicht erträgt. Weint, weil «die anderen» alle andersdenkenden und fühlenden Menschen verdammen.

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Sie wischt sich und ihm die Tränen aus den Augen, wirkt nun etwas gefasster: «Seit wann weisst du es? Hättest du es früher gesagt, hätten wir rechtzeitig noch etwas unternehmen können.» ‹Ja, klar. Shwulsein ist ja auch eine Art verkalkter Boiler, den ein Klempner einfach so mal entkalken kann und gut ist›, denkt sich Aleks verärgert, geht aber trotzdem auf die Frage ein: «Seit ich zwölf bin.»

In Wirklichkeit hat Aleks sein Shwulsein schon bei der Einschulung entdeckt, als er zum ersten Mal nach dem Sportunterricht in der Umkleide fasziniert von seinen Mitschülern war, aber nicht einordnen konnte, warum. «Und mit einer Frau hast du es noch nie versucht? Vielleicht bist du einfach noch nicht auf den Geschmack gekommen.»

Bogdana rattert nun ihren heteronormativen Fragekatalog herunter wie eine Pilotin die Checkliste vor dem Abflug. «Nein», entgegnet Aleks nun sichtlich genervt und trotzt ihr entgegen, «hast du es schon mal mit einer Frau probiert?» «Um Himmels Willen, spinnst du?» «Na eben: Ich bin shwul und kann nichts mit Frauen anfangen. Wie du auch», fährt er fort. «Ich bin aber nicht shwul», antwortet Bogdana, als müsste sie einen Mantel voller Ungeziefer von sich abschütteln, und legt nach: «Vielleicht kann man dir ja doch noch helfen. Ich kenne da einen Geistlichen aus Dalmatien. Das ist ein wunderbar frommer Mann.»

Aleks steht nur stumm da und blickt seine Mutter an, als sei sie von einem anderen Stern. «Ich beauftrage ihn oft, für unsere Familie und die Verstorbenen an den Wallfahrort Medjugorje zu pilgern, dort zu beten und Kerzen anzuzünden. Neulich hat er mir von einem ähnlichen Fall wie deinem erzählt und gemeint, das könne er auch lösen – als hätte er es geahnt!»

Komplett konsterniert plumpst Aleks nur noch ein «Und wie?» heraus. «Mit deinen Boxershorts. Die sende ich ihm zu, damit er diese dort segnen und dich in seine Gebete einschliessen kann.» Ihr Gemüt hat sich nun hoffnungsvoll aufgehellt. «Du hast doch welche an? Geh ins Bad und zieh die rasch aus, dann schicke ich sie Pater Stjepan.» So abstrus dieser Gedanke für Aleks auch klingt, so ferngesteuert führt er aus, was ihm seine Mutter sagt. Denn er will ihr die letzte Hoffnung nicht rauben und geht auf das Boxershorts-Exorzismus-Experiment ein.

*Wir schreiben in dieser Kolumne «shwul» statt «schwul», um den Balkan-­Slang wiederzugeben. Die ersten fünf Folgen sind frei verfügbar, alle folgenden Texte nur mit MANNSCHAFT+ lesbar.

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