Zurückgewiesen – wenn der andere nicht will wie man selbst

Ab- oder Zurückweisung löst oft einen Trauerprozess aus

Zusammen ist man angeblich weniger allein. Wer nicht in einer festen Beziehung lebt, mit dem scheint was nicht zu stimmen. Die Partnerschaft gilt als absolutes Nonplusultra. Doch was passiert, wenn die Zuneigung nicht (mehr) erwidert wird?

Der Regen prasselt gegen das Fenster und Ben dreht die Lautstärke seiner Anlage auf. «What Difference Does It Make?» von The Smiths tönt aus den Boxen und droht den 27-Jährigen in einer Flut aus Melancholie hinfortzuschwemmen. «Von einer Sekunde auf die nächste hat er mir alles genommen. Meine Zukunft und sämtliche Träume, die wir gemeinsam hatten. Es fühlte sich an, als würde mir jemand den Boden unter den Füssen wegreissen. Nur war dieser jemand kein Unbekannter, sondern der Kerl, neben dem ich fast ein Jahr lang abends eingeschlafen und morgens wieder aufgewacht bin. Selbst nach über drei Monaten tut das immer noch weh.»

Ben fährt mit der Hand in seinen Nacken und drückt fest zu. «Das hilft meist für einen kurzen Moment, bevor meine Gedanken wieder zu rasen beginnen. Ich hänge in einer Schleife fest. Warum wollte er mich nicht mehr?» 

Singledasein – ein Tabuthema Schon in unserer frühsten Kindheit lehren uns zahlreiche Zeichentrickfilme, dass ein Happy End nur dann auf uns wartet, wenn wir irgendwann den Prinzen finden, der bis in alle Ewigkeiten an unserer Seite bleibt. Ist man allein, hängt einem automatisch ein Stück Merkwürdigkeit an, und zwar unabhängig davon, ob man sich bewusst dafür entschieden hat oder nicht.

Zu zweit zu sein, heisst aber nicht automatisch, dass man auch glücklich ist.

«Wer Single ist, kann nicht glücklich sein. Dieser Zustand scheint nur in der Zeit unmittelbar nach einer Trennung akzeptabel. Meist gilt: Wer nicht in einer festen Partnerschaft lebt, ist kein vollwertiges Mitglied unserer Gesellschaft. Man muss sich auf der Suche befinden. Wer nicht sucht, ist frustriert, depressiv oder frigide», kritisiert Michael Plaß vom schwulen Kommunikations- und Kulturzentrum München und weist damit auf einen Umstand hin, der uns im alltäglichen Leben leider allzu oft begegnet.

Statt die individuelle Zufriedenheit einer Person zu erforschen und zu erfragen, stülpen wir ihr gern vorschnell normative Wertvorstellungen über. «Zu zweit zu sein, heisst aber nicht automatisch, dass man auch glücklich ist», warnt Udo Rauchfleisch, Psychotherapeut mit Praxis in Basel. Auch er ist der Meinung, dass der Erwartungsdruck auf Singles in den letzten Jahren zunehmend gestiegen sei. Hinzu kommen unterschiedlichste Lebensmodelle, offene Partnerschaften, Polyamorie und dergleichen, die für Verwirrung sorgen und uns per se gern in die eine oder andere Sinnkrise stürzen. Was tut Mann, wenn die Liebe nicht erwidert wird?

Wir müssen reden Allgegenwärtige Verfügbarkeit, die vermutlich grösste Mogelpackung der Moderne. Genauso wie im Supermarkt scheint auch das Angebot an potenziellen Sexual- und Liebespartnern übermächtig. Dank Grindr, Planet Romeo und Co. lauert die Verführung seit ein paar Jahren aber nicht mehr nur in den Clubs, Bars und auf der Strasse, sondern hat sich den Weg bereits bis in unsere trauten vier Wände gebahnt. Allerdings: Dating-Apps verstärken Gefühle der Angst und Einsamkeit (MANNSCHAFT berichtete).

Verständlich, dass viele Beziehungen darunter leiden und auch daran zerbrechen. Vergleichsmassstäbe sind vor allem digital zu jeder Zeit abrufbar, und so stellt sich bei manch einem irgendwann die Frage, ob der Partner, mit dem nicht immer alles eitel Sonnenschein ist, nicht vielleicht doch durch ein lohnenswerteres Modell austauschbar sein könnte. «Eventuell ist da ja jemand, der noch geiler aussieht, mehr verdient und charakterlich besser passt? Wer will sich schon unter Wert verkaufen? Nur perfekt ist gut genug», mockiert sich Plaß. Tatsächlich sind es oft solche Überlegungen, die schliesslich dazu führen, dass wir uns gegen weitere Dates, gegen eine gemeinsame Zukunft, sprich gegen den längerfristigen Verbleib einer Person in unserem Leben entscheiden.

Das zweite Coming-out: Reden über Depressionen

«Die Gefühle sind weg, hat er gesagt. Klar, am Anfang war alles extrem aufregend. Aber ist es nicht normal, dass nach ein paar Monaten auch ein Stück Gewohnheit zur Beziehung gehört?» Nachdenklich blickt Ben in Richtung Boden. Der Jurastudent wirkt wie ein Schatten seiner selbst. Völlig ausgezehrt. Warum tut es Menschen nur derart weh, wenn sie zurückgewiesen werden?

«Das kommt immer auf die Situation und den Menschen an. Aus dem gleichen Grund, aus dem viele auch schlecht mit Kritik umgehen können. Weil sie uns das Gefühl gibt, nicht gut genug zu sein. Weil wir es, vor allem in Situationen, in denen wir emotional sind und uns die rationale Klarsicht fehlt, persönlich nehmen. Ich glaube, wenn wir zurückgewiesen werden, ist es in erster Linie unser Ego, das jault», gibt Dennis Stephan zu bedenken. In seinem Roman «Der Klub der Ungeliebten» widmet sich der Berliner Autor dem Thema der unerfüllten Liebe anhand der Geschichte von Adam, der in seinem Leben häufiger die Erfahrung machen muss, dass das Einlassen auf einen anderen Menschen auch mit Verletzungen einhergehen kann. 

«Es gibt keinen allgemeingültigen Ratschlag, nur individuelle Prozesse.»

«Im Grunde sind wir alle auf der Suche nach Liebe und Anerkennung. Wenn einem das verwehrt wird, womöglich noch von jemandem, mit dem man Pläne hatte, dann schmerzt das natürlich. Zurückweisung nicht persönlich zu nehmen, ist schwierig.» Jule Müller von der Singleplattform «im gegenteil» pflichtet Stephan bei und sieht vor allem im Zweifeln an den eigenen Fähigkeiten, der eigenen Attraktivität oder Liebenswürdigkeit verheerende Stolperfallen.

Die fünf Phasen des Trauerns

Ähnlich wie beim Tod eines geliebten Menschen führt auch ein andersartiger Verlust des Gegenübers häufig zu einem typisch ablaufenden Prozess, den die Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross in fünf Phasen unterteilt hat. Unsere Fotografin Sibilla Calzolari illustriert jenes Stufenmodell in der Fotostrecke, die diesen Artikel begleitet.

1 Nicht-Wahrhaben-Wollen Wir sind zerrissen. Pendeln zwischen Hunderten von Gefühlen hin und her. Vor allem die Leugnung dessen, was uns widerfahren ist, drängt sich dabei in den Vordergrund. Statt mit Annahme reagiert unser System mit Verdrängung. Ein nötiger Schutzmechanismus, um das eigene Selbstbild zu wahren. In dieser Phase wirken Betroffene oft seltsam unbeteiligt und distanziert, wenngleich sie mit der Verarbeitung des Geschehenen psychisch überfordert sind.

  • Partnerschaft Trennung

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2 Zorn Aggressive Nachrichten, das Streuen von Gerüchten über denjenigen, der einen zurückgewiesen hat, aber auch physische Gewalt gegenüber jener Person oder sich selbst kennzeichnen diese Phase. Das System regt sich, fühlt sich unwohl und rebelliert mit aller Macht gegen die Tatsache, allein gelassen worden zu sein.

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3 Verhandlung Die Wut zieht sich zurück, wodurch Platz für naive Verhaltensweisen entsteht. Manch einer versucht dann beispielsweise, seinen ehemaligen Partner zurückzugewinnen, indem er Geschenke macht, sich häufiger erkundigt, wie es denn gehe, oder bewusst Eifersuchtsszenarien inszeniert. Die Aussicht auf Erfolg bleibt verschwindend gering.

  • Partnerschaft Trennung

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4 Depression Die wohl prominenteste der fünf Phasen. Selbstzweifel regieren ein Chaos aus Trübsal. Alles, was gestern noch hell und leuchtend erschien, wird nun von Grau- und Schwarztönen dominiert. Das Licht am Ende des Tunnels scheint erloschen und die Frage, ob man jemals wieder glücklich sein kann, hängt wie ein Damoklesschwert im Raum.

Keine Läderach-Schoggi mehr auf Swiss-Flügen

5 Akzeptanz Aus Einsicht wird Zuversicht und wir merken, dass nett gemeinten Floskeln wie «Das wird schon wieder» tatsächlich ein Funken Wahrheit innewohnt. Wir haben unsere Lektion gelernt. Jetzt ist es möglich, sich zu neuen Ufern aufzumachen und das Vergangene vergangen sein zu lassen.

  • Partnerschaft Trennung

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Ablenkung versus Selbstreflexion

Was bringt uns nun aber trotz aller Trauer wieder auf die richtige Bahn? Nach einem Patentrezept befragt, antwortet Steve Behrmann von der Schwulenberatung Hamburg: «Es gibt keinen allgemeingültigen Ratschlag, nur individuelle Prozesse. Es geht meist darum, Verständnis für sich selbst zu entwickeln und zu lernen, mit Schmerz und Trauer umzugehen.» Ein gutes soziales Netz und Zeit könne stabilisierend wirken …

«EastSiders» oder die befreiende Seite queerer Partnerschaften

Tatsächlich sind Gespräche mit dem besten Freund, der besten Freundin oder Familienmitgliedern oft der erste Anstoss für eine Reflexionsphase, aus der sich neue Kraft schöpfen lässt. Kurzfristige Zerstreuung kann zwar dafür sorgen, dass es uns für den Moment besser geht, doch führt sie meist dazu, dass die notwendige emotionale Auseinandersetzung mit den eigenen Ängsten und Sorgen ausbleibt, sagt Udo Rauchfleisch. «Natürlich kann man die eigene Trauer durch eine gewisse Hektik überspielen und sich zum Beispiel von einem sexuellen Abenteuer in das nächste stürzen. Die Chance, die das Trauern mit sich bringt, nämlich das Wahrnehmen des eigenen Anteils am Zerbrechen der Beziehung oder der Erkenntnisgewinn bezüglich potenzieller neuer Partnerschaften, wird dann aber blockiert. Zudem verleugnen wir oft, was in der Vergangenheit schön gewesen ist. Das Ende ist ja nie Abbild der gesamten Beziehung.» 

Unterstützung erhalten sowohl Rauchfleischs wie Behrmanns Aussagen durch Jule Müller: «Patentrezepte gibt es weder in der Liebe noch in der Trennung. Ein guter Anfang wäre es, bei sich zu bleiben, den eigenen Wert zu erkennen, zu realisieren, dass eine Zurückweisung von diversen möglichen Faktoren abhängt. Denn nur weil sich jemand entliebt, anderweitig verliebt oder gar nicht erst in Stimmung kommt, heisst es ja noch lange nicht, dass man selbst etwas falsch gemacht hat. Gleichzeitig ist es aber ratsam, sich auch mal die eigenen Muster anzugucken. Vielleicht gibt es einen unterbewussten Auslöser dafür, der sich ändern lässt.»

Gefahren rechtzeitig erkennen «Manchmal habe ich sogar über Selbstmord nachgedacht.» So schockierend Bens Aussage auch klingen mag, sie gehört bei vielen Betroffenen zu den Begleiterscheinungen ihres Trauerprozesses. Doch ab wann macht es Sinn, sich extern Hilfe zu suchen? Wann sollte man sich an eine Beratungsstelle oder eine*n Therapeut*in wenden?

«Ab dem Moment, wenn das Leiden zu gross wird», erklärt Rauchfleisch. «Ich würde jedem raten, lieber etwas zu früh als zu spät zu reagieren. Viele warten zu lange, aufgrund von Scham, der Ablehnung, Schwäche zu zeigen, schlechten Vorerfahrungen oder weil sie gar keine Anlaufstellen kennen. Hier helfen zum Beispiel Listen mit Therapeut*innen, die schwul-lesbische Verbände zur Verfügung stellen. Generell gilt aber, man sollte seine*n Therapeut*in gut prüfen. Sowohl hinsichtlich der Fachlichkeit, aber auch, was seine Einstellung zu Homosexualität betrifft.»

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