Nürnberg zeigt Kinderoper mit schwulem Happy End

Adaption von Rossinis heiterer Oper «La cenerentola»

Foto: Staatstheater Nürnberg/Ludwig Olah
Foto: Staatstheater Nürnberg/Ludwig Olah

Am Staatstheater Nürnberg erhält die Kinderoper nach Rossinis «Aschenputtel» ein schwules Happy-End.

von Roland H. Dippel

LGBTQ-Familien unterscheiden sich, wenn «nur» ein*e Partner*in mit Kind(ern) in der Öffentlichkeit auftritt, nicht von heterosexuellen Elternteilen. So war ein Nachdenken darüber, ob sich queere Elternteile für das Thema der Kinderoper «Der Märchenprinz» in den Kammerspielen des Schauspielhauses Nürnberg mehr interessieren als für heterosexuelle Sujets, wenig zielführend.

Auf alle Fälle gab es für das Segment Kindertheater eine kleine Sensation: In Wiebke Hetmaneks Adaption von Gioachino Rossinis heiterer Oper «La cenerentola» (1817) heiratet Prinz Ramiro nicht das Aschenputtel Angelina, sondern mit Zustimmung der königlichen Eltern seinen Kammerdiener Dandini. Dieser Handlungscoup war eine strategisch konsequenten Positionierung in der Musiktheater-Sparte des Staatstheaters Nürnberg.

In der Spielzeit 2022/23 spielte man dort die Uraufführung von Anno Schreiers Oper über den schwulen Wissenschaftler «Turing». Im vergangenen Herbst folgte Ilaria Lanzinos überregional beachtete Inszenierung von Donizettis «Lucia di Lammermoor» (MANNSCHAFT berichete). Die italienische Regisseurin machte aus Lucia und Edgardo ein schwules Paar mit paradigmatischen Problemen in einem gewaltbereiten heteronormativen Milieu. Offenbar denkt man auf der Leitungsebene des Staatstheaters, dass queere Sujets weniger Widerspruch nach sich ziehen als zum Beispiel das Kinderkonzert «La Malibran». Da übten – nach Aussage von Theater-Mitarbeitenden – Erziehungsberechtigte Kritik an der Erwähnung mehrfacher Partnerwechsel der gefeierten Belcanto-Diva.

Deutlicher als in der Nürnberger Neuinszenierung durch Schauspielchef Jan Philipp Gloger im Frühjahr 2022 könnte man in anderen Inszenierungen von Rossinis «La cenerentola» Prinz Ramiros Kammerdiener Dandini für schwul halten. Die beiden haben schon im Libretto Jacopo Ferrettis ein derart enges Verhältnis zueinander, dass Ramiro mit Dandini sogar die Kleider tauscht, um bei der Brautschau Gold von Blech unterscheiden zu können. Das Ende ist bekannt: Das Aschenputtel Angelina fällt die soziale Sprossenleiter hoch und alle sind glücklich, sogar die unbemannten Stiefschwestern und der böse Papa.

Nach «La Malibran» machte sich Dramaturgin Wiebke Hetmanek über den weltweit bekannten Märchenstoff und mit Hilfe des bewährt erfolgreichen Arrangeurs Samuel Bächli über Rossinis zweitberühmteste Oper her: Hetmanek verschiebt das Gewicht des Märchens, indem sich jetzt Prinz und Kammerdiener kriegen, Aschenputtel verzichtet und eine gute Fee neben der Königin alles zum Guten wendet. Eigentlich schade ist, dass Hetmanek auf den ethischen Überbau Rossinis verzichtete. In dessen Meisterwerk gibt es nämlich weder eine gute Fee wie bei Perrault und Walt Disney noch den guten Geist der toten Mutter wie bei den Brüdern Grimm.

Dafür schlägt bei Rossini der Philosoph Alidoro den Kleidertausch vor, durch den Ramiro den inneren Adel der besten Braut hinter dem trügerischen Äusseren erkennen und somit den «Triumph der Güte» (Rossinis zweiter Titel: «Il trionfo della bontà») ermöglichen soll. Von dieser Idee bleibt bei Hetmenek nichts übrig. Sie restauriert dafür die gute Fee, welche den Ehebund von Prinz und Kammerdiener gutheisst und sonst vor allem dafür gut ist, noch eine weitere Bravourrarie abzufeuern.



Frisch klingen die originalen Rossini-Nummern mit Flöte, Klarinette,Violine, Kontrabass und Klavier, aber ein bisschen dünn. Gegen Ende der Stunde bis zum Happyend vermisst man etwas vom glitzernd überrumpelnden Rossini-Sound eines vollen Orchesters. Die Besetzung aus dem internationalen Opernstudio des Opernhauses Nürnberg kann sich in der deutschsprachigen und mit Dialogen durchsetzten Produktion bestens hören lassen. Die Regie von Annika Nitsch setzt die fürs Kindertheater innovative Handlung liebevoll und etwas scheu um. Die eindeutig volljährigen JunX Ramiro (Joohoon Jang) und Dandini (Kabelo Lebyana) basteln Papierflieger. Voll umarmt und geknutscht wie in heterosexuellen Blockbusters wird nicht. Auch andere physische Berührungen zwischen Bariton und Tenor sind eher sparsam, dafür erhalten die beiden ein aus Rossinis «Otello» übernommenes Freundschafts- (und Liebes-)duett. In Linda Siegismunds Thronraum mit rosa Wänden zu hellblauen Tür- und Fensterrahmen sind das Stimmungsbarometer fast immer im Optimum und die königlichen Perücken hoch.

Die Königin (Veronika Loy) weiss schon lange, was mit ihrem Sohn los ist, und bringt es dem Gatten so charmant bei, dass dieser (Seokjun Kim) nach einem kurzen Bedauern über brechende Traditionen sofort der schwulen Verpartnerung zustimmt und sich vor allem noch mehr auf die Rente freut. Als Angelina, die sich hier treuherzig mit ihrer Rolle als Haushaltshilfe zufrieden gibt, brilliert Sara Šetar in ihrer zweiten queeren Nürnberger Opernproduktion. Sie verkörperte bereits die beim schwulen «Luc(i)a di Lammermoor» chancenlose Braut und die promiske Maria Malibran.

Spannend die Reaktionen aus dem Publikum: Mit Ausnahme weniger sich vorbeugender Mädchen zeigte die Hauptzielgruppe im Grundschulalter, wie in dieser Altersgruppe meist üblich, ein eher zurückhaltendes Interesse an Liebesgeschichten – egal ob hetero oder queer. Eltern, Angehörige und Grosselterngeneration nahmen das schwule Paar auf dem Königsthron und in Galauniform als die einfachste Sache der Welt. Alles total easy. Das Instrumentalensemble unter der Leitung von Chiara Casarotto muss keinerlei dramatischen Sturmböen entfachen. Für den Prinzen arrangiert seine Mutter alles, weshalb Ramiro zur Bekräftigung seines Herzensbundes selbst gar nichts unternehmen muss. So etwas gibt es nur im Märchen und ist Wunschdenken. Die beiden jungen Männer kommen hier ganz ohne Gefahren in einem eher vage artikulierten Verliebtheitsgefühl ans Ziel, während heterosexuelle Paare auf der Bühne oft Schreckliches bis zu ihrer Vereinigung überwinden müssen oder vom Schicksal abgewatscht sterben wie «Romeo und Julia». So ist diese Kinderopern-Produktion weniger eine realitätsnahe Coming-out- und Liebesgeschichte als eine sehr herzliche Zustimmungshymne mit viel Wunschdenken aus der gesellschaftlichen Mitte Deutschlands.

Jetzt wird es spannend, was in Kitas, Schulen und am heimischen Küchentisch nach den fast 20 Vorstellungen über diese zukunftsweisende Kinderoper geredet wird.

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