9 Erkenntnisse vom ersten Mal Camsex

Marc Camenzind lässt vor der Webcam die Hüllen fallen

Symbolbild (iStockphoto)
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Dating-Apps raten wegen der Corona-Pandemie von Dates im echten Leben ab und empfehlen, sich vorerst nur virtuell mit Personen zu verabreden. Gesagt, getan: Marc Camenzind spricht über seine erste Erfahrung mit Camsex.

Obwohl sich das Wort Cam in meinem Nachnamen findet, hatte ich noch nie virtuellen Sex ausprobiert. Ich war sozusagen eine Camsex-Virgin. Ich verspürte allerdings auch nie das Bedürfnis, mich vor einer Webcam auszuziehen. Ich bin 28 Jahre alt, lebe in einer Stadt und lernte Männer meist im Club oder über eine Dating-App kennen, worauf oft ein Treffen im echten Leben folgte. Selbst Sexting oder Phonesex übten auf mich keinen Reiz aus. Zu wichtig ist es mir, das Gegenüber zu berühren, zu küssen, zu spüren.

Doch wie man so schön sagt: Besondere Zeiten erfordern besondere Massnahmen. Wie viele andere Menschen auf der Welt befinde ich mich seit Wochen zuhause und verlasse die Wohnung nur für den Gang in den Supermarkt oder für einen kurzen Spaziergang. Als dann die Anfrage kam, über Camsex zu schreiben, nahm ich die Herausforderung neugierig an. Im Nachhinein muss ich gestehen, dass ich – nachdem ich mehr oder weniger den Dreh raushatte – die neue Erfahrung sogar genoss und sicherlich wiederholen werde. Wer weiss, sollte ich im Zuge der Corona-Pandemie meinen Job verlieren, verlange ich sogar Geld dafür und nenne das Ganze dann Camenzinds Camshow!

Es folgen meine neun Erkenntnisse, die ich einem Cam-Sex-Novizen mit auf den Weg gebe.

1. Ohne Ruhe und Ungestörtheit geht gar nichts Ich bin schon froh, lebe ich in Zeiten von Corona nicht alleine – von wegen Vereinsamung und so. Eine Dreier-WG mit Homeoffice bringt viel Leben und Ablenkung in die Bude. Aber seriously: Hie und da ein bisschen Privatsphäre würde nicht schaden. Während meine Mitbewohnerin im Wohnzimmer an der virtuellen Zumba-Stunde teilnimmt, kommt bei mir keine Lust für mein Camsex-Experiment auf. Zu präsent sind die Ängste vor dem Erwischtwerden, die mein Masturbieren in der Jugendzeit geprägt haben. Schliesslich ergaben sich mehrere Gelegenheiten: Am sonnigen Ostersamstag, als meine Mitbewohnerin spazieren ging und mein Mitbewohner die Einkäufe erledigte und nachts mit Kopfhörern.

2. Grenzen müssen sein Ich wagte mich ziemlich blauäugig und unvorbereitet an die ganze Sache ran. Ich hatte mir überhaupt keine Gedanken darüber gemacht, was ich mir vom virtuellen Hook-up erhoffte und wie weit ich überhaupt bereit war zu gehen. Darüber sollte man sich im Klaren sein, bevor man sich ins Abenteuer Camsex stürzt: Was möchtest du von dir preisgeben? Was nicht? Wieviel Kleidung möchtest du ablegen? Fühlst du dich nackt vor der Kamera wohl? Bist du bereit, deinem virtuellen Sexpartner die Füsse in die Webcam zu strecken, wenn er danach fragt?

Natürlich kannst du nicht alle möglichen Szenarien antizipieren. Es lohnt sich jedoch, sich seiner eigenen Bedürfnisse und Grenzen bewusst zu sein. Sage Nein, wenn dir nicht wohl ist – schliesslich muss der Cam-Sex für beide Seiten Spass machen. Eigentlich gelten hier die gleichen Regeln wie beim echten Sex.

3. Desktop ist besser als Smartphone Als iPhone-Junkie und Camsex-Novize probierte ich als erstes ein paar Chat-Apps aus, die man kostenlos herunterladen kann. Am besten gefiel mir die App mit dem sinnigen Namen «Banana», die sich mit einem schlichten und intuitiven Design leicht navigieren lässt. Ein Tipp auf den entsprechenden Button wechselt zwischen Vorder- und Rückkamera ab. Ähnlich wie bei Tinder kann man mit einem Wisch nach rechts zum nächsten Chatpartner wechseln, ein Countdown lässt Spannung aufkommen. Camsex mit dem Smartphone ist aber nicht so toll, wie man sich das vorstellt. Viele Chatpartner kleben ihre Kamera ab oder richten die Rückkamera ins Leere. Wer kein Stativ oder stabile Unterlage hat, muss ständig sein Smartphone halten. Glaub mir, für Camsex willst du beide Hände frei haben! Für mich wird ganz schnell klar: Lieber chatte ich mit dem Laptop, den ich bequem neben mir auf dem Bett hinstellen kann.

 

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5. Du bist Star und Kameramann zugleich Wieviel Zeit ich wohl schon für das beste Foto für mein Datingprofil verbraten habe, inklusive Nachbearbeitung mit Filter? Sich live vor laufender Webcam optimal in Szene zu setzen, erfordert ein ganz neues Level an Geschick. Da muss das perfekte Licht hin, der Laptop soll mich von meiner besten Seite zeigen, zudem will ich es mir dabei so bequem wie möglich machen. Leichter gesagt, als getan! Hinzu kommt, dass das Chatprogramm meinen Stream nicht spiegelverkehrt wiedergibt, so dass ich den Laptop zuerst immer in die falsche Richtung rücke. Argh!!!

 

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7. Man darf’s nicht persönlich nehmen. Oder: Es geht nur um Sex.  Gegen Camsex ist Grindr ein langweiliger Softporno. Plötzlich springen dir im Bildschirm ein erigierter Penis, gespreizte Pobacken oder ein Mann im Latexkostüm entgegen – und alles ohne Ankündigung. Doch das ist das Schöne am Camsex: Hier kommen alle auf ihre Kosten, man muss sich nur finden. Und seien wir ehrlich, für den Sex sind wir alle überhaupt da. Dementsprechend darf man die Begegnungen auch nicht zu ernst nehmen. Während man in den Dating-Apps einfach geghostet wird, sprich plötzlich keine Antwort mehr kriegt, wird man hier gnadenlos und ebenfalls ohne Ankündigung weggeklickt. Beim ersten Mal war ich noch leicht verletzt. Da tauscht man ein paar freundliche Flirts aus, lässt seine Hand nach unten gleiten und prompt wird der Bildschirm schwarz und man landet beim nächsten Chatpartner. Man darf sich das nicht zu nahe gehen lassen, schliesslich klickt man auch andere Partner weg, die einem nicht gefallen oder deren Camsex-Bedürfnisse sich nicht mit deinen decken.

9. Es ist keine schnelle Sache Ein weiteres Argument, das für eine ruhige und störungsfreie Umgebung spricht. Camsex ist ein stimulierendes und interaktives Erlebnis für mehrere Sinne. (Ich klinge ja schon wie eine Erotikwerbung.) Meine längste Camsex-Session ging etwa eine Stunde. Nachdem ich mich 40 Minuten mehr oder weniger erfolglos mit anderen Männern zusammengewürfelt wurde, traf ich auf einen hübschen Australier, mit dem ich mich während rund 20 Minuten vergnügte. Das war nicht nur meine bisher beste Erfahrung, sondern auch die einzige, in der ich bis zum Orgasmus vor der Kamera blieb. Auf die Schnelle gibt es kein befriedigendes Camsex-Erlebnis. Wer sich möglichst schnell einen runterholen möchte, ist mit Pornos besser bedient.

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