Manipulation in der Beziehung: «Viele lassen sich nicht helfen»

Tipps von Psychotherapeutin Alena Rentsch

Alena Rentsch ist psychologische Psychotherapeutin bei HelloBetter.de. (Bild: Paula Kopczynski)
Alena Rentsch ist psychologische Psychotherapeutin bei HelloBetter.de. (Bild: Paula Kopczynski)

Warum werden Menschen zu Hochstapler*innen? Was kannst du tun, wenn dich jemand manipuliert? Die psychologische Psychotherapeutin Alena Rentsch gibt Antworten.

Der Ex-Freund von Matthias Rödder war ein krimineller Hochstapler. Wer solche Geschichten hört, fragt sich, ob einem das Gleiche passieren könnte. Oder man erkennt eigene ungesunde Beziehungsmuster in den Worten wieder, die man nur allzu gern durchbrechen würde. Vielleicht versucht man aber auch, zu ergründen welche Motive es sind, die Menschen dazu bringen, ihre Umwelt zu täuschen und doch gleichzeitig in ständiger Angst leben zu müssen, irgendwann enttarnt zu werden.

Alena Rentsch arbeitet als Psychologische Psychotherapeutin bei der Digital-Plattform HelloBetter, die Therapieprogramme zur Behandlung verschiedener psychischer Erkrankungen wie Depressionen, Panikstörungen oder sexueller Funktionsstörungen anbietet.

Frau Rentsch, was kann ich tun, wenn ich merke, dass ich mit jemandem zusammen bin, der oder die mich belügt oder manipuliert? Der erste und vielleicht schwierigste Schritt ist, überhaupt zu erkennen, dass ich mit einer Person zusammen bin, die pathologisch lügt und manipuliert. Erst, wenn ich erkenne, dass ich in einer ungesunden Beziehung lebe, kann ich die Bereitschaft entwickeln, etwas verändern zu wollen. In dieser Phase ist es wichtig, aufdrängende Fragen und Zweifel zuzulassen. Zum Beispiel, wenn immer wieder der Gedanke kommt «Hier stimmt was nicht» oder «So möchte ich nicht behandelt werden».

Im zweiten Schritt geht es darum, sich wieder unabhängiger zu machen und ein Gefühl der Selbstbestimmung zu erfahren. Vielleicht, indem man sich Unterstützung im Freundes- oder Familienkreis sucht, wieder mehr Aktivitäten alleine unternimmt und so lernt zu unterscheiden, wo die eigenen Grenzen liegen und was einem wirklich gut tut. Oft hat man in dieser Phase immer noch ein Gefühl der Verantwortung gegenüber dem Partner oder der Partnerin. Man möchte ihm oder ihr helfen und kann sich eine Trennung nur schwer oder gar nicht vorstellen.

Kann man dem Partner oder der Partnerin selbst helfen? Sie können durch Liebe allein nicht gerettet werden. Das Gute ist, nicht nur Betroffene, auch sogenannte «Pseudolog*innen», also krankhafte Lügner*innen, können von psychotherapeutischen Angeboten profitieren, vorausgesetzt, dass sie den Weg in eine Behandlung finden. Sollte diesbezüglich eine Offenheit bestehen, könnte man gemeinsam versuchen, das Geschehene therapeutisch aufzuarbeiten. Viele Pseudolog*innen wollen sich allerdings gar nicht helfen lassen, da ihnen die Einsicht fehlt, dass ihr Verhalten problematisch ist. Dann bleibt oft nur eine Trennung, Abstand gewinnen und sich um die eigene psychische Gesundheit zu kümmern.

Gibt es mögliche Frühwarnzeichen? Die Fallzahlen pathologischer Pseudolog*innen sind sehr, sehr gering. Trotzdem zeigen Menschen in unterschiedlich starker Ausprägung Verhaltensweisen, die mit Manipulation, Lügen und Verletzungen assoziiert sind. Am Anfang können diese Menschen ausserordentlich charmant, fürsorglich und wohlwollend sein. Über die Zeit hinweg zeigen sich jedoch auch andere Verhaltensweisen. Der oder die Partner*in wird zum Beispiel eifersüchtiger, zweifelt an Aussagen, wird verletzend, provozierend oder schuldzuweisend. Auffallend kann auch sein, dass diese Menschen keinen oder schlechten Kontakt zu ihren Familien haben, sowie keine stabilen Freundschaften aufrechterhalten oder es länger in einem Job aushalten.

Weiterhin gibt es Anzeichen, die ganz allgemein auf dysfunktionale oder «toxische» Beziehungen hinweisen können. Diese Beziehungsmuster sind typischerweise dadurch gekennzeichnet, dass eine Person immer im Vordergrund steht. Seine oder ihre Bedürfnisse müssen immer erfüllt sein, während Empathie und Mitgefühl für die des Partners oder der Partnerin selten vorhanden sind. Typisch ist auch, dass solcherlei Beziehungen starken Schwankungen unterlegen sind. Nach Liebesbekundungen, Geschenken und Aufmerksamkeiten, folgen plötzlich und unerwartet abwertende Kommentare, Zurückweisung oder Kontaktabbruch. Nicht selten geht es um das Ausüben von Macht, um Abwertung und Kontrolle. Dies kann sich auch in gezielten Demütigungen, Schuldzuweisungen oder strafendem Schweigen äussern.

Was sind Gründe dafür, dass Menschen zu Hochstapler*innen werden? Aktuelle Erkenntnisse weisen darauf hin, dass Pseudolog*innen möglicherweise eine psychische und/oder physische Vernachlässigung in ihrer Kindheit und Jugend erfahren haben. Aufgrund mangelnder Fürsorge, Aufmerksamkeit und Anerkennung kann sich ein instabiler Selbstwert entwickeln, den die Pseudolog*innen durch das Erfinden einer alternativen Realität wiederherzustellen versuchen. Fantasie wird dann als Mittel eingesetzt, eine selbstwertsteigernde Welt zu schaffen und womöglich auch traumatische Erfahrungen zu bewältigen. Nicht selten ist es so, dass die Lügner*innen unter starken kognitiven Verzerrungen leiden, sprich die Realität anders verarbeiten. So erklärt sich auch, dass viele Pseudolog*innen ihren eigenen Geschichten Glauben schenken, sich selber täuschen und in ihrer Selbstwahrnehmung nicht als Lügner*innen wahrnehmen.

Pseudolog*innen sind hervorragend darin, die Gefühle anderer Menschen zu manipulieren.

Wie sinnvoll ist es, sich Vorwürfe zu machen, nicht erkannt zu haben, mit wem man da zusammen ist? Leider machen sich viele Betroffene oft Vorwürfe und geben sich womöglich die Schuld daran, nicht erkannt zu haben, mit wem sie es zu tun haben. Dabei ist das wahnsinnig schwer. Wie schon erwähnt, werden die meisten ungesunden Beziehungsmuster erst langsam sichtbar. Das liegt unter anderem daran, dass Pseudolog*innen hervorragend darin sind, die Gefühle anderer Menschen zu manipulieren. Wenn wir emotional stark involviert sind, ist es gar nicht mehr so wichtig, wie «brilliant» die Lüge des anderen ist. Denn man möchte der Person glauben. Wenn wir jemanden mögen oder lieben, dann neigen wir dazu, zweifelhafte Behauptungen so zu interpretieren, dass sie wieder in unser Bild passen. Diesem Phänomen, der sogenannte «Bestätigungsfehler»beschreibt unserer aller Tendenz, Informationen eher zu glauben, die bereits unseren Annahmen und Erwartungen betreffen. Es ist also menschlich, anderen vertrauen zu wollen, insbesondere denjenigen, die man sympathisch und anziehend findet.

Während es also nicht hilfreich ist, sich Vorwürfe zu machen, kann es durchaus sinnvoll sein, das Geschehene zu reflektieren und die Erfahrungen aufzuarbeiten oder sich bestimmte Fragen zu stellen, um womöglich daraus zu lernen: Welche Anzeichen waren vielleicht da? Hatte ich ein ungutes Bauchgefühl? Warum habe ich diesem Bauchgefühl nicht Raum gegeben? Wo liegen meine persönlichen Grenzen und wie schaffe ich es, diese gegenüber anderen zu kommunizieren? Genau solche Fragen können auch Teil einer Therapie sein.



Wo und wie kann ich professionelle Hilfe in Anspruch nehmen? Professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist immer dann eine gute Idee, wenn man sich durch das Erlebte stark belastet und im Alltag durch die Beschwerden eingeschränkt fühlt. Soforthilfe erhält man 24 Stunden, 7 Tage die Woche ganz einfach per Telefon bei der Telefonseelsorge. Dort sind die Beratenden rund um die Uhr erreichbar. Ganz wichtig ist, jeder Anruf ist anonym, kostenlos und wird weder von der Telefonrechnung noch vom Einzelverbindungsnachweis erfasst. Hier macht es sicherlich Sinn, sich schon frühzeitig Unterstützung zu suchen. Also auch dann, wenn man womöglich erste Anzeichen bemerkt und diese versucht, einzuordnen.

Ausserdem kann es hilfreich sein, sich professionelle Unterstützung im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung zu suchen. In der sogenannten Sprechstunde können Betroffene gemeinsam mit einem Psychotherapeuten oder einer Psychotherapeutin herausfinden, ob eine ambulante psychotherapeutische Behandlung hilfreich ist und welche geeigneten Behandlungsoptionen es gibt.

Schweiz: Dargebotene Hand 143 Deutschland: Telefonseelsorge 0800.1110111 Österreich: Telefonseelsorge 142

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