Lesbisches Begehren: Aufräumen mit dem Klischee «stiller» Sexualität

Drei Psycholog*innen und Geschlechterforscher*innen haben ein Buch herausgegeben, das Beiträge aus einem Symposium bündelt, bei dem es ziemlich laut zuging

Zwei lesbische Frauen im Bett (Foto: AllGo / Unsplash)
Zwei lesbische Frauen im Bett (Foto: AllGo / Unsplash)

«Die Psychoanalyse legte … ein destruktives Potenzial in die Lesbe, fasste sie als aggressiv, rachsüchtig, phallisch auf … und schloss sie von ihren Institutionen aus,» heisst es in der Ankündigung des neuen Buchs «Vom Lärmen des Begehrens». Es will daran etwas ändern.

Lesbische Sexualität war bisher in der Psychoanalyse ein Randthema und galt als «still». Daran wollen die Psycholog*innen und Geschlechterforscher Victoria Preis, Aaron Lahl und Patrick Henze-Lindhorst etwas ändern. Sie veranstalteten Anfang 2020 ein Symposium, das nachwies, dass lesbische Sexualität nicht weniger «lärmt» als ihr schwules Pendant. Bei der Tagung an der Internationalen Psychoanalytischen Universität (IPU) in Berlin ging es teils hoch her, mit heftigen Diskussionen im und Protesten vom Publikum. Viele Aspekte der Kontroverse fanden Eingang in die nun vorliegende Essaysammlung. MANNSCHAFT sprach mit den Herausgeber*innen.   

Lesbisches Begehren und Psychoanalyse
Lesbisches Begehren und Psychoanalyse

Müssen Lesben wegen ihres sexuellen Begehrens häufiger zum Psychiater als Schwule? Victoria Preis: Ich kenne keine Zahlen dazu, nehme aber an, dass der Grund, als Lesbe oder Schwuler psychotherapeutische oder psychiatrische Hilfe aufzusuchen, mit erlebter Diskriminierung oder Ungleichbehandlung zu tun hat oder mit einer psychischen Störung, die nicht unbedingt mit dem Begehren zusammenhängt.

Patrick Henze-Lindhorst: Ja, sollte eine Lesbe zum Psychiater gehen, um ihre Homosexualität loszuwerden, dann ist es Aufgabe jedes Psychiaters und jedes Psychotherapeuten, diesem Wunsch nicht zu entsprechen. Das Begehren selbst kann kein Symptom sein, auch die sexuelle Orientierung nicht, entsprechend kann man höchstens den Wunsch behandeln, das Begehren loszuwerden. Und das unterscheidet sich bei Schwulen, Lesben und Heterosexuellen in keiner Weise.

Sigmund Freud konstatierte 1920, dass weibliche Homosexualität «weit weniger lärmend» sei als ihr männliches Pendant. Woran liegt das? Und trifft das nach wie vor zu? Aaron Lahl: Freuds Aussage ist wahr und falsch zugleich. Wahr ist sie, insofern es schon zu seinen Zeiten, aber auch heute noch, eine geringere öffentliche Wahrnehmung der weiblichen Homosexualität gab und gibt. Falsch ist sie, insofern das natürlich mit den spezifischen gesellschaftlichen Mechanismen der Unterdrückung der lesbischen Sexualität zu tun hat, auf die Freud nicht reflektiert, und die er ein Stück weit sogar selbst reproduziert. Seine Bemerkung hat etwas von der bekannten patriarchalen Abwehr lesbischer Sexualität durch Verniedlichung. Hinter dem Klischee der angeblich stillen lesbischen Sexualität steckt jedenfalls häufig die Fantasie, dass erst der Mann das explosive Triebpotential in die Sexualität bringen würde – eine Fantasie, der wiederum die Angst zugrunde liegt, dass der Phallus nicht der Mittelpunkt der Sexualität sein könnte… Aber um kurz auf deine Frage zu antworten: Unser Buch, das Symposium, das dem Buch vorausging, aber auch schon Freuds Text zur weiblichen Homosexualität selbst zeugen von einem lärmenden lesbischen Begehren.

Dahinter steckt die Fantasie, dass erst der Mann das explosive Triebpotential in die Sexualität bringen würde

Durch die Transbewegung hat sich das Verständnis dessen, was «lesbisch» ist, stark verändert. Was bedeutet das für einen Band wie euren, der sich laut Untertitel explizit mit «lesbischer Sexualität» beschäftigen will? Weitet sich das Spektrum, wird es diverser, offener? Ist das ein Vorteil oder Nachteil? Wo kracht es? Patrick Henze-Lindhorst: Ob sich die Definition von «lesbisch» wegen der Transbewegung wirklich verändert hat – da würde ich ein Fragezeichen ranmachen. Auch wichtig ist ja, dass es mindestens zwei bedeutsame Richtungen in der Transbewegung gibt, die teils zusammenarbeiten und zum Teil in grossem Konflikt zueinander stehen. Und in diesen Bewegungen sind auch einige Lesben aktiv. Das Wissen darum, dass auch trans Frauen Lesben sein können, hat sich verbreitet – und das hat zum Teil zu Ablehnung von trans Frauen geführt. Insofern ja: wenn man sich heute mit lesbischer Sexualität beschäftigt, macht es Sinn, die historischen und die aktuellen Konflikte um Weiblichkeit, Lesbischsein und schliesslich um Trans* zu berücksichtigen. Das haben wir versucht.

Aaron Lahl: Eine Tendenz, Geschlecht und Sexualität als ein weiteres Spektrum zu betrachten, hat übrigens tatsächlich auch in die Psychoanalyse Einzug gehalten. Das kann man etwa daran beobachten, dass immer mehr im Plural von «Sexualitäten» oder «Homosexualitäten» gesprochen wird. Ilka Quindeau geht in ihrem Beitrag für unser Buch dann noch einen Schritt weiter, wenn sie dafür plädiert, auf Kategorien wie weiblich und männlich oder heterosexuell und homosexuell im psychoanalytischen Denken zu verzichten und von einem übergreifenden Modell einer Sexualität mit unterschiedlichen Polen oder Dimensionen auszugehen. Ein solches, wenn man so will, queeres Einheitsmodell hat natürlich einiges für sich und kann an einigen Punkten auch gut an Freud anschliessen, der ja eine konstitutionelle Bisexualität aller Menschen postulierte, worunter sowohl ein bisexuelles Begehren als auch eine Bigeschlechtlichkeit zu verstehen ist. Was allerdings den Verzicht auf Kategorien wie Homo/Hetero angeht, widersprechen wir Quindeau durch Titel und Thema unseres Buches. Ähnlich wie bei unserem Vorgängerbuch zur schwulen Sexualität (MANNSCHAFT berichtete darüber) werfen wir durchaus die Frage nach einer Spezifik des lesbischen Begehrens auf.

Lesbisches Begehren und Psychoanalyse
Lesbisches Begehren und Psychoanalyse

Was hat eigentlich Psychoanalyse mit dem Alltag von Lesben oder LGBTIQ allgemein zu tun? Warum lohnt es sich für Aussenstehende, einen Blick auf die Geschichte einer queeren Psychoanalyse zu werfen? Victoria Preis: Die Psychoanalyse hat insofern etwas mit dem Alltag von Lesben oder LGBTIQ zu tun, als sie diese einerseits lange diskriminierte und andererseits als Subjekttheorie und Psychotherapieverfahren von einigen geschätzt wird. Aber das Verhältnis ist ein sehr zwiespältiges. Gerade weil die lesbische Sexualität von der Psychoanalyse vernachlässigt wurde, wegen der vergangenen Homosexuellenfeindlichkeit und wegen des bekannten Patriarchalismus hat die Psychoanalyse manchmal nicht den besten Ruf. Anderseits ist die Psychoanalyse auch die (psychologische) Theorie, die etwas zum Begehren und zur sexuellen Orientierung sagen kann, weshalb sie an anderer Stelle auch eine gewisse Popularität geniesst.

Ihr seid ein Herausgeber*innenteam von drei. Worüber wurde bei der Vorbereitung der Konferenz und des vorliegenden Bandes gestritten und debattiert? Victoria Preis: Im Vorfeld haben wir festgestellt, wie wenig psychoanalytische Arbeiten v.a. im deutschsprachigen Raum zur lesbischen Sexualität existieren. Die letzten umfassenden Arbeiten lagen fast 30 Jahre zurück. Es gab kaum Beiträge, die sich explizit mit lesbischer Sexualität und ihren Konflikten befassen. Das schien uns als eine Schwierigkeit. Schliesslich haben wir einige Theoretikerinnen von «damals» angefragt und manche haben auch zugesagt. Grosse Debatten gab es zwischen uns nicht, dafür dann aber auf der Tagung.

Patrick Henze-Lindhorst: Wir drei haben ja mit dem Buch gemeinsam ein Thema verfolgt, das wir inhaltlich mitreissend finden. In seiner historischen Form, in Hinblick auf die Metapsychologie – also sozusagen die Theorie der Psychoanalyse – und auch mit Bezug auf aktuellere Diskussionen. Wie bei unserem letzten Buch spielten unsere eigenen sexuellen Orientierungen und Vorlieben höchstens vermittelt eine Rolle. In unserem Band gibt es dazu unterschiedliche Einschätzungen. Etwa, dass zu viele Heteras bei unserem Symposium zu lesbischer Sexualität Anfang 2020 vorgetragen hätten. Oder aber, dass man fachunkundiges Publikum zu einer psychoanalytischen Tagung, bei der es um Sexualität geht, nicht einladen sollte.

Probandinnen hatten Probleme bei der Verarbeitung der Penislosigkeit und biologischen Zeugungsunfähigkeit des lesbischen Paares

Ihr sprecht in der Einleitung vom «turbulenten» Verlauf des Symposiums. Was war dabei turbulent? Aaron Lahl: Einer der Hauptgründe für die Turbulenzen war sicherlich der Eröffnungsvortrag von Manuela Torelli. Torelli, die selbst lesbische Analytikerin ist, hat für ihre Dissertation Interviews mit lesbischen Frauen über ihre sexuellen Probleme geführt und diese tiefenhermeneutisch ausgewertet. Sie kommt zu kontroversen Schlüssen, beispielsweise dass ihre Probandinnen Probleme bei der Verarbeitung der Penislosigkeit und damit biologischen Zeugungsunfähigkeit des lesbischen Paares hätten, oder dass sie Aggressionen auf Männer projizieren, was sexuelle Leidenschaftslosigkeit zur Folge habe. Das klang in den Ohren vieler nach einer Pathologisierung lesbischer Sexualität. Sicherlich ist das ein Missverständnis; es hat aber auch damit zu tun, dass Torelli nicht deutlich gemacht hat, dass es ihr um sexuelle Probleme lesbischer Frauen ging und nicht um lesbische Sexualität per se. Wir hatten die Hoffnung, dass ihr Vortrag eine Debatte lostritt, was leider nicht funktioniert hat. Ich denke, in unserem Buch wird der Anspruch einer fruchtbaren Debatte besser eingelöst, was auch damit zu tun hat, dass wir die Teilnehmer*innen (auch und gerade die unzufriedenen) dazu eingeladen haben, Kommentare und Beiträge zu schreiben.

Muss jemand selbst lesbisch sein, um sich mit dem Thema lesbische Sexualität und Psychoanalyse zu beschäftigen? Patrick Henze-Lindhorst: Zu dieser Frage gibt es sicher unterschiedliche Auffassungen. Ich denke, ich spreche für uns drei, wenn ich sage, dass man nicht lesbisch sein muss, um über lesbische Sexualität zu sprechen – dass aber eine Auseinandersetzung mit dem Thema ohne die Erfahrungen und das geteilte Wissen von Lesben keine besonders gelungene oder zumindest keine hinreichend informierte wäre.

U.a. gibt’s ein Gespräch mit Manuela Kay, die sagt «Zum gepflegten Lesbentum gehören auch gepflegte Hände». Es geht um Veränderungen in der lesbischen Szene, um Verklemmtheit, um lesbische Orte und Organe. Was sind Kays Kernaussagen – und wie unterscheiden sich diese von Diskursen, die Lesben einer nachfolgenden Generation führen? (Wie läuft überhaupt der Generationenaustausch bei Lesben?) Patrick Henze-Lindhorst: Die lesbischen Generationen werden oft unterschieden in eine lesbisch-feministische und eine queer-feministische Generation. Im aktivistisch-politischen Konflikt werden die Älteren gerne allesamt als radikalfeministische TERFS und die letzteren als postmodern-beliebige Queer-Aktivist_innen ohne Geschichtsbewusstsein pauschalisiert. Das ist selbstverständlich überspitzt, aber darin trifft sich beidseitig ein Kern des Konflikts, das Schwanken zwischen identitätspolitischen und universalistischen Positionen, auch auf persönlicher Ebene.

Psychoanalyse und männliche Homosexualität
Psychoanalyse und männliche Homosexualität

Das ist jetzt der zweite Band einer Reihe, nach «(Homo)Sexualität und Psychoanalyse», wo es eher um männlicher Homosexualität ging. Wird die Reihe – auch mit dazugehörigem Symposium – weitergehen? Was ist als nächstes dran? Victoria Preis: Vorerst ist keine Fortführung geplant. Die beiden Veranstaltungen passen thematisch gut zusammen. Für uns passt es jetzt gut, die Reihe an dieser Stelle abzuschliessen. Natürlich gibt es weitere wichtige Themen um Sexualität, denen wir uns widmen könnten. Aber wir wollen uns alle derzeit erst mal auf andere Dinge – Promotionen und psychoanalytische Weiterbildung – konzentrieren.

Psychoanalyse ist in sich ja divers, ich habe den Eindruck, dass Offenheit und Neugier bestehen

Wie waren die Reaktionen aus dem Establishment der Psychoanalyse auf eure Symposien und Bücher? Ist man da offen für Anregungen? Victoria Preis: Insgesamt würde ich sagen, dass unsere Tagungen und Bücher gut aufgenommen wurden. Das ist natürlich nicht zu verallgemeinern, da die Psychoanalyse in sich ja divers ist, aber ich habe den Eindruck, dass Offenheit und Neugier bestehen. Die Tagungen haben z.B. in der Internationalen Psychoanalytischen Universität (IPU) stattgefunden, was ja eine psychoanalytische Institution ist.

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