Jean Paul Gaultier: «Wir sind alle Freaks»

Der 70-jährige Designer kommt nach München

Jean-Paul Gaultier in Chalk Farm, London (Foto: Victoria Jones/PA Wire/dpa)
Jean-Paul Gaultier in Chalk Farm, London (Foto: Victoria Jones/PA Wire/dpa)

Seine Mode war schon immer grosse Show: Jean Paul Gaultier galt lange Zeit als «enfant terrible» der Modewelt, prägte die Haute Couture eines halben Jahrhunderts. Im dpa-Interview spricht er über seine «Fashion Freak Show», sein liebstes Mode-Jahrzehnt – und das letzte Tabu.

Jean Paul Gaultier steckte Männer in Röcke und Madonna in ihr ikonisches Gold-Korsett. Inzwischen hat das «enfant terrible» der französischen Mode sich zwar eigentlich von der Haute Couture verabschiedet – aber eben auch nicht so ganz. Dieses Jahr wurde er 70 (MANNSCHAFT berichtete). 2023 kommt seine «Fashion Freak Show», eine Mischung aus Revue und Rückblick auf fünf Modejahrzehnte, erstmals nach Deutschland – in die Münchner Isarphilharmonie.

Interview: Britta Schultejans, dpa

Ihre Show kommt nun nach einigen Jahren auch nach Deutschland. Haben Sie dafür etwas geändert? Die Show ist weitgehend unverändert – plus ein paar Extras. Es gibt ein paar wenige neue Darsteller: einen Mann mit viel Fleisch und eine sehr androgyne Frau, die etwas von David Bowie singen wird. Ein paar neue Elemente also und es wird sogar noch ein bisschen lustiger.

Was macht Ihre Show aus? Meine Fashion Freak Show zeigt vor allem: Wir sind alle Freaks und wir sind alle wunderschöne Freaks. Schönheit ist überall und kommt in allen Formen: unterschiedliche Geschlechter, unterschiedliche Körper, unterschiedliche Ästhetiken. Das habe ich ja immer schon gezeigt in meinen Kollektionen mit unterschiedlichen Models: unterschiedliche Formen, unterschiedliche Haut- und Haarfarben. Es geht darum, diese Vielfalt zu zeigen.



Sie waren einer der ersten, die diese Vielfalt auf den Laufsteg gebracht haben. Inzwischen folgen viele Ihrem Beispiel und «Diversity» ist zu einem Trendthema in der Mode geworden. Warum hat das so lange gedauert? Weil der Mensch eben langsam ist. Es gab eben lange bestimme Regeln und gewisse Codes, die die Modewelt bestimmt haben. Und es dauert lange, bis sich so etwas ändert. Das ist ähnlich wie in der Politik oder bei Behörden. Ich bin sehr glücklich darüber, dass die Menschen heute offener sind, denn ich glaube, es gibt viele, die sich darüber freuen, dass Menschen so unterschiedlich sind.

Sehen Sie denn trotzdem noch Einschränkungen oder gewisse Tabus? Alter ist in der Mode immer noch ein Tabu. Wahrscheinlich bringen Menschen das Alter nach wie vor mit einem nahenden Tod in Verbindung und sehen das darum nicht so gerne. Aber das ist wahnsinnig schade. Meine Grossmutter war zum Beispiel eine absolut geniale, wunderschöne Frau. Sehr alt und so voller Liebe, dass sie absolut wundervoll war. Es gibt Menschen, die im Alter sogar noch schöner sind als in der Jugend, einfach weil sie cleverer geworden sind und weiser und weil man in ihren Augen sehen kann, was sie alles erlebt haben. Und trotzdem ist es nach wie vor ein Tabu.

Ich erinnere mich daran, dass ich eine Kollektion nur mit weisshaarigen Models machen wollte – mit echt weissem oder grauem Haar, nicht mit Perücken. Eine Journalistin sagte mir damals, sie glaube, das werde nicht funktionieren, weil Frauen sich damit nicht identifizieren wollen. Mensch, das ist doch falsch. Wir gehen diesen Weg doch alle irgendwann mal und darum müssen wir den Blick auf das Alter ändern.

Bei Heidi Klums Castingshow «Germany’s Next Topmodel», bei der Sie auch schon als Gastjuror dabei waren, gab es in der letzten Staffel zwei Ü-60-Kandidatinnen. Kann das helfen, den Blick auf alte Models zu ändern? Das hoffe ich doch. Es kann zumindest ein bisschen dazu beitragen und zeigen, dass es in jedem Alter Schönheit gibt.

Ihre Show umfasst ein halbes Jahrhundert Mode. Haben Sie ein Lieblingsjahrzehnt? Die 80er. Damals hatte ich kein Geld, aber konnte schon die Shows machen, die ich machen wollte. Das war unglaublich für mich. Ich war so frei – wie glücklicherweise auch später meistens in meiner Karriere. Da ging es los mit den Röcken für Männer und dem BH für Madonna – den ich zuerst für meinen Teddy entworfen hatte, nicht für sie. Für mich war meine Arbeit immer – bei aller Ernsthaftigkeit – auch ein Spiel, bei dem ich wirklich viel Spass hatte. Natürlich habe ich Kleidung gemacht, weil man Kleidung braucht und sie getragen werden muss, aber mir ging es eigentlich immer in erster Linie – nicht unbedingt um Theater, aber um die Präsentation.

Wurde es modetechnisch nach den 1980ern langweilig? Es wurde kommerzieller. In den 1970ern gab es kaum Modenschauen, die im Fernsehen übertragen wurden und das hat sich natürlich absolut geändert. Heute ist bekannt, dass man als Modedesigner berühmt werden kann und es gibt ein regelrechtes System. Das ist ja nicht schlimm und auch Geld verdienen ist nicht schlimm, aber als ich angefangen habe, spielte der Kommerz – zumindest in der französischen Mode, die Italiener hatten schon früher eher einen Sinn für das Geschäft – noch keine so grosse Rolle. Ich bin Designer geworden, weil ich eine Leidenschaft dafür habe. Ich wollte Modenschauen machen und meine Mode nicht unbedingt für viel Geld verkaufen. Damals galt Mode noch eher als Kunst.

Gibt es einen Modetrend, den Sie nie verstehen konnten? Dass es überhaupt Trends gibt, verstehe ich nicht. Warum ist etwas, was gestern modisch war, das morgen nicht mehr? Es geht doch darum, seinen eigenen Stil zu finden und weiterzuentwickeln und nicht darum, irgendwelchen Trends hinterher zu laufen.

Dekorieren Sie Ihr Haus zu Weihnachten? Es ist dekoriert, ja. Aber das habe ich nicht gemacht. Mein Freund macht das in erster Linie. Als ich ein Kind war, hatten meine Eltern nicht viel Geld und wir haben Mandarinen als Schmuck in den Weihnachtsbaum gehängt. Ich glaube ohnehin, dass Weihnachtstraditionen, festliche Dekoration und so weiter etwas eher Angelsächsisches ist und nicht unbedingt französisch. Aber ich liebe es. Weihnachtsmärkte sind toll und in Rom habe ich vor 20 Jahren einmal einen Nikolaus in einem wunderbaren Kostüm gesehen, von dem ich heute noch beeindruckt bin.

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