Kelela: «Wir Schwarzen sind lauter geworden»
Ihr zweites Album «Raven» erscheint mit drei Jahren Verzögerung
Kelela. Nachname Mizanekristos, ist eine der aufregendsten und auf den ersten Blick widersprüchlichsten Popkünstlerinnen unserer Zeit. In London hat uns die 39-Jährige verraten, warum sie einst abtauchte. Ein Gespräch mit einer bodenständigen Ausserirdischen, wie sich die Künstlerin selbst bezeichnet.
Kelela, auf dem Cover deines Albums «Raven» liegst du auf dem Rücken im dunklen Wasser, nur dein Gesicht schaut raus. Nimmst du ein entspanntes Bad oder kämpfst du gegen den Untergang? (lacht) Ich habe offenbar alles richtig gemacht. Denn genau diese Uneindeutigkeit ist es, die ich mit dem Bild hervorrufen wollte. Halte ich den Kopf gerade so über Wasser? Oder treibe ich genüsslich dahin? Reinigt mich das Wasser oder will es mich verschlingen? Beides kann sein.
Welche Vision hast du für deine Musik, die irgendwie zugleich traditionell und zukunftsweisend ist? Ich hatte immer einen festen Platz in meinem Herz für Neo-Soul. Künstlerinnen wie Erykah Badu, Aaliyah oder selbst Janet Jackson, deren Neunziger-Alben wie das fantastische «The Velvet Rope» ich verehre, haben mich inspiriert und angespornt. Ich sah mich immer als Teil dieser Tradition, die etwas Warmes und Umschmeichelndes hat. Aber ich beschränke mich nicht auf die Vergangenheit, ich habe auch die Zukunft im Blick. Und ich liebe Synthesizer, ich liebe den Rave, ich liebe die Ekstase.
Dein Debütalbum «Take Me Apart» kam 2017 raus. Wie hast du die vergangenen sechs Jahre verbracht? Geplant war es nicht, so lange zu warten. Ich hätte die Musik gern früher rausgebracht, und eigentlich war Anfang 2020 das allermeiste fertig geschrieben und aufgenommen. Wir haben in Berlin produziert und gearbeitet, zum Teil im Studio von Peaches aufgenommen, und ich war ein paar Mal im Berghain, um die Nacht durchzutanzen. Dann jedoch bremste mich die Pandemie aus, und noch mehr als das sorgte der brutale Polizistenmord am Schwarzen George Floyd mit den nachfolgenden Aufständen und der grossen Debatte über rassistische Gewalt und Rassismus an sich dafür, dass ich noch warten wollte, bevor ich diese Musik unter die Leute brachte.
Warum? Ich wollte nicht, dass alle denken, mein Album sei eine Reaktion auf die Gräueltat. Denn das ist sie nicht. Ich schrieb «Raven» auf der Basis meiner Erfahrungen, Gefühle und Lebensumstände. Vieles, was schon lang Teil meiner Lebensrealität ist, wird seit dem Mord an George Floyd breit in der Gesellschaft diskutiert. Dieses Verbrechen hat Schleusen geöffnet, niemanden hat es unberührt gelassen, und bei mir selbst hat es dazu geführt, dass ich ein halbes Jahr lang, da sind wir wieder bei der Wassermetapher, abtauchen musste.
Um was zu tun? Nachzudenken und mich um mich selbst zu kümmern. Meine Erfahrungen zu verarbeiten, mit Menschen zu sprechen, Informationen zu sammeln und alles sacken zu lassen. Das hatte etwas Beängstigendes, denn das System des Musikbusiness verlangt von dir, ständig präsent zu sein, möglichst unmittelbar auf Erschütterungen zu reagieren. Wer sich da rausnimmt, wird vergessen, so heisst es. War mir egal. Ich zog den Stecker meiner gesamten Internetpräsenz. Ich stellte mein Online-Leben auf «Stopp», während ich in meinem realen Leben permanent sendete und empfing.
Unser Leben wird nicht automatisch fairer, nur weil viele weisse Menschen sich schämen
Was hat die «Black Lives Matter»-Bewegung, die nach dem Tod Floyds entstand, bewirkt? Die Mehrzahl der weissen Menschen war schockiert von der Tat. Es wurde zu einem grösseren Tabu, ein Rassist oder eine Rassistin zu sein. Der Rassismus ist natürlich nicht verschwunden, er findet jetzt subtiler und nuancierter statt. Aber die Sensibilität hat sich erhöht, die Nadel der Schande hat sich in die richtige Richtung bewegt. Allerdings wird unser Leben als schwarze oder braune Menschen nicht automatisch fairer und gleichberechtigter, es wächst nur die Menge an weissen Menschen, die sich schämen.
Wie erlebst du selbst Rassismus? Die Musikindustrie wurde gebaut von weissen Männern für weisse Männer. Wenn du weder weiss noch ein Mann bist, kann dich das Klima in der Branche schnell entmutigen. Ich musste weniger Scheisse durchqueren als manch andere, aber immer noch zu viel. Du kannst dich auflehnen, nur bist du dann womöglich deinen Plattenvertrag schnell wieder los. Du musst also zumindest manche der Spielchen mitspielen, obwohl es sich nicht gesund anfühlt. Das gilt für uns alle und selbst für jemanden wie Beyoncé, auch wenn du im ersten Moment denkst, erfolgreiche Frauen würden über allen Machtspielchen stehen. Tun sie nicht.
Du hast über die «Black Lives Matter»-Auswirkungen auf Weisse gesprochen. Wie sind die Folgen für Nichtweisse? Uns hat dieser Aufstand viel Kraft, Stärke und Mut gegeben. Wir Schwarzen sind lauter geworden. Wir sagen klar und deutlich, wo unsere Grenzen sind. Wir ziehen rote Linien, wir haben eine breitere Brust als noch vor einigen Jahren, und das alles ist keine Momentaufnahme, sondern eine wirkliche und dauerhafte Veränderung.
Besteht die Chance, dass Rassismus, Sexismus und Homophobie irgendwann aussterben? Es ist ein Tauziehen. So sehr die Welt freundlicher wird gegenüber traditionell unterdrückten und klein gehaltenen Personenkreisen, so sehr radikalisieren sich auf der anderen Seite die Intoleranten, Fortschrittsfeindlichen und Hassenden. Ich selbst indes fühle mich heute akzeptierter als zu Beginn meiner Karriere. Das wiederum macht mich und meine Musik freier, konsequenter und gewagter. Die Zeiten haben sich geändert. Schwarze, braune und queere Kunstschaffende sind definitiv sichtbarer geworden.
Einige Songs auf «Raven» sind samtig-sanft, ein wenig traurig manchmal und einfach schön, auf anderen geht es mit einem deutlichen Club-Music-Einfluss ordentlich zur Sache. Ja, die Melancholie und die Euphorie stehen gleichberechtigt nebeneinander. «Raven» ist meine Version des alten Konzepts des «Crying in the Club». Tränen auf der Tanzfläche sind etwas Herrliches. Diese Songs sind dunkler, aber es gibt auf «Raven» auch viel Freude, Lust, Befreiung und Erlösung. Bei «Happy Ending» zum Beispiel denke ich, das sollte ein letzter Song sein, bevor der Club alle nach draussen bittet. Einmal noch die Grandiosität des Lebens spüren, und mit allen Sinnen diese Musik erleben, bevor die Nacht vorbei ist. Das hat für mich etwas tief Spirituelles.
Lassen sich zwischen Kirche und Club Parallelen finden? Spürst du eine Art göttliche Kraft, wenn du im Berghain tanzt? Natürlich. Beides sind Orte der Erlösung. Orte zum Durchschnaufen und zum Abschalten von deiner üblichen Gedankenwelt. Club wie Kirche können uns unserem Kern näherbringen, indem sie uns befreien – im besten Fall auch von uns selbst.
Bist du als Teenager schon gerne tanzen gegangen? Überhaupt nicht. Bei meinem ersten Rave war ich längst erwachsen. Ich war auch vorher nie Teil einer bestimmten Szene. Ich bin kein «Entweder-oder»-, sondern ein «Sowohl-als-auch»-Mensch. Ich fand es immer komisch, wenn Leute nur ein bestimmtes Genre von Musik hörten. Mein Geschmack war immer schon geprägt von Überlappungen. Auch meine Freundeskreise waren unterschiedlich. Ich ging mit schwarzen Freund*innen zu R’n’B-Konzerten und mit meinen weissen Leuten zu Fiona Apple. So war das in den Neunzigern und frühen Nullerjahren noch. Die Kulturen waren noch nicht so durchlässig wie heute. Besser wurde es erst, als weisse Künstler*innen kamen, die bei Schwarzen wie bei Weissen Akzeptanz fanden – Robyn, Pink und Justin Timberlake fallen mir da ein. So sangen Weisse damals nicht – ich fand sie allesamt cool.
Du bist auch stark an Mode interessiert, und die Modeindustrie an dir. Wie zentral ist Fashion für deine Kunst? Ich liebe Mode. Punkt. Und in der Tat, die Bildsprache ist mir extrem wichtig. Mein ästhetischer Ausdruck hat einerseits etwas von einem weltentrückten, geheimnisvollen Alien, und andererseits gebe ich mich erdverbunden und nahbar. Auch in diesem Punkt bin ich nicht hier oder dort, sondern überall. Eine bodenständige Ausserirdische (lacht).
Kelela Mizanekristos
Auf ihrem zweiten Album «Raven», das satte sechs Jahre nach dem bestens beleumundeten Debüt «Take Me Apart» nun endlich draussen ist, kombiniert die sich als queer identifizierende Künstlerin sinnlichen Retro-R’n‘B im Stil Janet Jacksons mit cluborientierten Beats und klugen, samtstimmlich vorgetragenen Worten über Liebe, Sex, Religion, Rassismus und Rebellion. Sie kam als Kind äthiopischer Einwanderereltern in Washington D.C. zur Welt und lebt heute in New York.
Hör und schau dir hier die Songs vom neuen Album «Raven» hier an:
Die LGBTIQ-Community beschreibt sich gerne mit den Adjektiven «tolerant» und «offen». Dennoch erfahren BIPOC (Black, Indigenous, People of Color) auch in der Community Rassismus. Jonathan Gregory aus Berlin ist beruflich und privat in der Szene unterwegs und erzählt uns von seinen Erlebnissen (MANNSCHAFT berichtete).
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