«In Kinderbüchern gibt es noch zu wenig queere Charaktere»

Der Berliner Marc Majewski ist Illustrator

(Foto: Sven Serkis)
(Foto: Sven Serkis)

Bewaffnet mit Pinsel, Stift und Farbe sagt Marc Majewski der Engstirnigkeit des Erwachsenendaseins den Kampf an. Manchmal braucht es eben mehr als Worte, um Menschen eine neue Sicht auf die Welt zu schenken.

Was unterscheidet das Kind vom Manne? Je älter wir werden, desto stärker fordert der spröde Alltag seinen Tribut. Statt sich leichtfüssig in Gedanken verlieren und wilde Geschichten ausspinnen zu können, müssen wir uns mit vermeintlich wichtigeren Dingen beschäftigen, Ausbildungen absolvieren und irgendwann einer festen Arbeit nachgehen, um Geld zu verdienen. Platz für Fantasie bleibt da wenig. Es sei denn, es gelingt uns, ein Refugium für unser inneres Kind zu schaffen.

Am 15. April 1993 erblickte Marc Majewski als Kind eines französisch-­polnisch-­stämmigen Elternpaares in Grenoble das Licht der Welt. In La Mure, einer Gemeinde in der Region Auvergne-­Rhône-­Alpes. Umgeben von Bergen, Wiesen, Wäldern und Flüssen tollte er mit seiner Cousine durch eine Welt, die er rückblickend als märchenhaft beschreibt. Märchenhaft? Zu Teenagertagen kam ihm seine Heimat doch recht begrenzt vor. Es fehlte an Reibungsflächen. An Aufregung. Die fand Marc nur in seinem Kopf, in all den Bildern, die durch diesen schwirrten und die er bereits im Alter von zwei Jahren auf Papier festzuhalten versuchte.

Leere Farbstifte und volle Skizzenbücher «Meine Mutter ist noch immer sehr stolz auf meine ersten Kunstwerke!», sagt Marc und grinst von einem Ohr zum anderen. «Ausserdem hat mich meine Tante Florence stark geprägt, indem sie mich mit Büchern versorgte und diese mit mir anschaute.»

Vor allem die schaurig-gruseligen Illustrationen von Gustave Doré, der mit Vorliebe Bilder zu volkstümlichen Märchen schuf, zogen ihn damals wie heute in seinen Bann. Beflügelt von dessen filigranen Zeichnungen und Grafiken, den Werken des japanischen Filmemachers Hayao Miyazakis und anderen Inspirationsquellen füllte er dann in jeder freien Minute die vielen kleinen Skizzenbücher, die er von seinen Eltern und Verwandten geschenkt bekommen hatte. Denn Rückhalt seitens seiner Familie war ihm stets sicher – erkannte man doch seine Begabung.

«Ich erinnere mich noch, wie ich einen Kasten voller Filzstifte hatte und komplett von einem bestimmten Rotton besessen war. Ich malte nur noch damit und brauchte immer wieder neue Sets, sodass ich am Ende jede Farbe zehnmal hatte, mit Ausnahme des Rots.» 

 

Gefördert seit jungen Jahren Ein anderes Thema, das Marc schon früh beschäftigte, war die Faszination fürs eigene Geschlecht. «In der Grundschule verguckte ich mich in einen Klassenkameraden und erzählte es dann meiner Mutter.» Diese zeigte Verständnis und Anerkennung für die Empfindungen ihres Sohns, wohingegen sich sein Vater lange schwertat, Marcs Homosexualität zu akzeptieren. «Jetzt kann er es. Er ist eine tolle Unterstützung.»

Mich verlangte es nach queeren Inputs und einem politischeren Geschehen

Als Kind eines französisch-polnisch-stämmigen Elternpaares wurde Marc, neben seinem künstlerischen Talent, auch eine gewisse Weltoffenheit mit in die Wiege gelegt. Deswegen verwundert es auch nicht, dass er nach der Schule auszog, genau diese auszuleben. Mit Erlangen der Volljährigkeit ging es nach Nantes, wo er Illustration an der École Pivaut studierte, in seine erste Wohnung zog und sich in das Blau des Meers verliebte. Besondere Förderung erhielt er durch einen seiner Lehrer, den Maler Marc Chalmé, was Marcs Selbstvertrauen und den Glauben in sein Können erstarken liess.

Er malte und zeichnete rund um die Uhr und wurde schliesslich für die Gestaltung erster Kinderbücher engagiert. Da diese Tätigkeit keine Ortsgebundenheit erforderte und Marc zunehmend merkte, dass seiner persönlichen wie kreativen Entwicklung in Nantes Grenzen gesetzt waren, entschied er im November 2017, nach Berlin überzusiedeln. «Mich verlangte es nach queeren Inputs und einem politischeren Geschehen.»

Heute nennt Marc den Stadtbezirk Neukölln sein Zuhause. Dort lebt und wirkt der 25-Jährige. Vorrangig an einem grossen Tisch, den er unter sein Fenster gerückt hat, und der von etlichen Skizzen und Entwürfen an den Wänden gerahmt wird. Neben Auftragsarbeiten für verschiedene Autor*innen, Verlage und Magazine hat Marc sich in den letzten Jahren auch zunehmend einem sehr eigenwilligen Projekt gewidmet. Keine Zeitung und kein Magazin waren mehr vor ihm sicher. Sobald er ein spannendes Fa­shion­modelgesicht erblickte, griff er auch schon zum Pinsel und übermalte es.

So entstehen seit 2015 immer wieder neue Porträts, die Geschlecht und Identität auf plakative Art und Weise hinterfragen und bewusst Verwirrung stiften. «Aber auch in Kinderbüchern gibt es noch viel zu wenig queere oder schwule Charaktere. Ich wünsche mir ein Morgen, in dem es keinen Widerspruch darstellt, auch kleinere Kinder mit der bunten Palette unseres Seins zu konfrontieren. Es braucht nur mutige Verleger*innen, die in solche Storys investieren.»

Nicht gefeit vor Ängsten und Selbstzweifeln Das romantisierte Klischee des Künstlers, der mit einem Glas Wein in seiner verkramten Wohnung sitzt, umgeben von Staffeleien, Leinwänden und Bergen von Papier, ist ein hartnäckiges. Doch scheint 2018 wesentlich mehr dazuzugehören, um langfristig erfolgreich zu sein. Aspekte wie die Präsenz auf Social-Media-Kanälen oder das Finden von Ausstellungsräumen sind wichtiger denn je. Unsere Umgebung ist laut und überreizt. Sich Gehör zu verschaffen, fällt da oft schwer. Und wie jeder Mensch kennt auch Marc Majewski Ängste und Sorgen. «Zweifel gehören einfach dazu. Bin ich gut genug? Wie kann ich mir selbst treu bleiben, ohne andere zu kopieren? Was braucht es, um meine Botschaften zu transportieren und sie den Menschen zugänglich zu machen?»

Sobald er dann aber wieder ehrenamtlich mit Flüchtlingskindern arbeitet, mit ihnen bastelt und ihre Begeisterung für Kunst am eigenen Leib spürt, sobald er den Testdruck eines Buches mit seinen Illustrationen in der Hand hält oder vor einem weissen Blatt Papier sitzt, das nur darauf wartet, von Wasserfarbe durchdrungen zu werden, sobald Marc diese Dinge tut, weiss er wieder, wie dankbar er für seinen bisherigen Weg ist.

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