«Ich kenne das Gefühl, nirgends hinzupassen»
Mahershala Ali spricht mit der MANNSCHAFT über Rassismus und Mode
Spätestens seit dem Oscar für «Moonlight» ist Mahershala Ali in Hollywood angekommen. Sein neuer Film «Green Book» beruht auf dem Leben des ungeouteten Jazzmusikers Don Shirley. Mit ihm teilt Ali die Suche nach einem Platz im Leben.
von Jonathan Fink
Mr. Ali, Sie sind natürlich zu jung, um die institutionalisierte Rassentrennung in den USA noch selbst erlebt zu haben. Haben Sie einen Bezug zur Zeit, in der Ihr Film «Green Book» spielt? Mein inzwischen verstorbener Grossvater war 42 Jahre älter als ich und besuchte die «Crockett Colored High School» in Texas. Ich selbst bin 43 Jahre älter als meine Tochter. Sprich: Jemand, der vom Alter her mein Vater sein könnte, ging noch auf eine Schule für Schwarze. Das ist doch eigentlich unvorstellbar! Von diesem Kapitel US-amerikanischer Geschichte bin ich also nicht so weit entfernt. Das Attentat auf Dr. Martin Luther King geschah nur sechs Jahre vor meiner Geburt.
Seither hat sich in den USA viel getan … Ja und nein. Dr. King und die Bürgerrechtsbewegung haben vieles erreicht, wovon ich und viele andere profitiert haben. Vermutlich hätte ich ohne sie und ihr Vermächtnis niemals am College studieren können. Gleichzeitig sind auch heute noch unglaublich viele Städte und Gemeinden letzten Endes segregiert. Und es gibt immer noch erschreckend viele Gesetze und Gepflogenheiten, die dafür sorgen, dass Afroamerikaner strukturell benachteiligt werden, was Fortschritt und Wirtschaftswachstum angeht.
In «Green Book» spielen Sie den Musiker Don Shirley. Was wussten Sie über diesen sehr ungewöhnlichen, faszinierenden Mann? Praktisch nichts. Und es war auch nicht so, dass ich zur Vorbereitung stapelweise Bücher über ihn lesen konnte. Bislang wurde nämlich noch keines über ihn geschrieben.
Dass Shirley schwul war, spielt im Film eine eher untergeordnete Rolle. Hat Sie das bei Ihrer Vorbereitung für die Dreharbeiten beschäftigt? Natürlich war seine sexuelle Orientierung nur eine Seite dieses Mannes – aber sicherlich nicht eine unwichtige! Seine Homosexualität zu einer Zeit, als das noch grösstenteils illegal war, hat mit Sicherheit zu seiner Einsamkeit und Isolation beigetragen. Zudem konnte er seine Vorlieben auch als Musiker nicht so richtig ausleben. Viel mehr als den Jazz, den er spielte, liebte er eigentlich die Klassik. Doch das war Musik, die weissen Künstlern und auch einem weissen Publikum vorbehalten war. Darüber hinaus trugen seine Bildung und Intelligenz – die wirklich aussergewöhnlich waren – dazu bei, dass er wenig Menschen in seinem Umfeld hatte, denen er auf Augenhöhe begegnen konnte. Ich vermute, dass er sich immer fehl am Platz gefühlt hat, in jeder Hinsicht.
Es ist nie leicht, die Ruhe zu bewahren, wenn man als Nigger beschimpft wird.
Oft war er es ja auch tatsächlich! Das stimmt. Als Junge – als schwarzer jamaikanisch-amerikanischer Junge wohlgemerkt – ging er nach Russland, um am Konservatorium zu studieren. Später lebte er lange in London, bevor er nach New York zog. Fast alles an seinem Lebenslauf war ungewöhnlich, und irgendwie hat er nie wirklich eine Community gefunden, zu der er gehörte.
Wussten Sie selbst immer, wo Sie hingehören? Nicht auf Anhieb. Ich kenne das Gefühl, nirgends hinzupassen und nach seinem Platz im Leben suchen zu müssen.
Wann haben Sie ihn gefunden? Als ich mit dem Suchen aufhörte. Das heisst aber auch nicht, dass ich an diesem Platz wirklich verankert bin. Daran arbeite ich jeden Tags aufs Neue. Denn ehrlich gesagt bin ich selbst ein durchaus einzelgängerischer, zurückgezogener Typ, der auch ganz gut funktioniert, ohne eine Community um sich zu haben. Gleichzeitig bin ich dankbar dafür, dass meine Frau und meine Familie mir da ein wenig entgegenhalten.
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In «Green Book» geht es auch um den Umgang mit Ungerechtigkeit und Konflikten. Viggo Mortensens Figur ist konfrontativ und aufbrausend, Don Shirley duldsam und zurückhaltend. Was halten Sie für den besseren Ansatz? Auf lange Sicht ist es vermutlich immer die bessere Lösung, besonnen und würdevoll zu reagieren. Natürlich gibt es auch Momente für andere Taktiken, etwa wenn ein Land von einem anderen angegriffen wird. Hätten alle immer nur die andere Wange hingehalten, wären viele von uns heute vielleicht nicht mehr hier. Man kann und sollte also nicht immer so handeln wie Dr. Martin Luther King oder Don Shirley es getan haben. Aber es sollte idealerweise immer die erste Reaktion sein.
Und wie gehen Sie persönlich damit um, wenn Sie etwa Rassismus erleben? Puh … Es ist nie leicht, die Ruhe zu bewahren, wenn man als Nigger beschimpft oder etwa grundlos von der Polizei angehalten und befragt wird. Seit ich eine gewisse Bekanntheit erreicht habe, passiert mir das natürlich seltener, aber ich habe oft genug sehr viel Unschönes im Zusammenhang mit meiner Hautfarbe erlebt – das vergisst man nicht. Als Afroamerikaner lernt man zwangsläufig früh, dass man sich zurücknehmen muss, wenn man mit dem Leben davonkommen will. Das ist ein Wissen, das von Generation zu Generation weitergegeben wird, seit wir in dieses Land gebracht wurden. Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Selbst wenn zurückschlagen oft sicherlich die nachvollziehbare Antwort wäre.
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Wie sehr hat der Gewinn des Oscars für «Moonlight» Ihr Leben verändert? Der Preis hat ohne Frage ein paar Türen für mich geöffnet. Und ich höre inzwischen deutlich seltener «nein» als früher. Ich bekomme ganz andere Angebote, auch für Hauptrollen, und viel mehr, als ich überhaupt annehmen kann. Aber mein Leben an sich ist natürlich das gleiche geblieben. Beziehungsweise auch nicht, denn ungefähr zur gleichen Zeit bin ich Vater geworden, was ohne Frage ein grösserer Einschnitt war als der Oscar.
Finden Sie es leicht, das Papasein und die Arbeit unter einen Hut zu bringen? Nein, das ist nicht ohne. Und es wird immer schwieriger, je älter meine Tochter wird. Ich liebe sie von Tag zu Tag mehr und sie versteht immer mehr, was es für uns beide schwerer macht, voneinander getrennt zu sein. Zwischen den Dreharbeiten zu «Green Book» und der dritten Staffel von «True Detective» hatte ich gerade mal eine Woche frei, ansonsten habe ich in einem Zeitraum von fast zehn Monaten 70 bis 80 Stunden pro Woche gearbeitet. Da verpasst man als Vater schon einige entscheidende Entwicklungsschritte bei einem so kleinen Kind. Und das ist alles andere als leicht!
Stichwort «True Detective»: Haben Sie lange überlegt, ob Sie mitmachen wollen? Serien sind schliesslich sehr zeitintensiv. Zudem kam die zweite Staffel ja gar nicht gut an. Letzteres war für mich eigentlich fast ein Pluspunkt. Die erste Staffel war wirklich fantastisch, weswegen ich an sich überzeugt davon war, dass dies genau die Art von Serie war, an der ich mitwirken wollte. Und die schlechten Kritiken für die zweite hatten dann zur Folge, dass der Druck nicht so gross war, weil die meisten die Serie schon abgeschrieben hatten. So konnten wir nun etwas umsetzen, was das Publikum aufs Neue überraschen wird.
Mahershala Ali Lange Jahre verlief die Karriere von Mahershala Ali eher unauffällig mit kleinen Rollen in Filmen wie «Der seltsame Fall des Benjamin Button», «The Place Beyond the Pines» und Serien wie «Crossing Jordan» oder «The 4400». Doch ab dem Moment, als er der Serie «House of Cards» eine Extraportion Style und Sexappeal verlieh, gab es an dem Kalifornier kein Vorbeikommen mehr. Es folgten Rollen in den «Tribute von Panem»-Filmen, der Marvel-Serie «Luke Cage» und in «Hidden Figures». Als erster muslimischer Mann gewann er mit Barry Jenkins’ Meisterwek «Moonlight» den Oscar für besten Nebendarsteller. Das Drama war sowohl der erste Film mit einer ausschliesslich schwarzen Besetzung als auch der erste LGBTIQ-Film, der mit dem Oscar als bester Film ausgezeichnet wurde. Ab 31. Januar ist der 44-Jährige in «Green Book» auf der Kinoleinwand zu sehen – der Geschichte einer ungewöhnlichen, aber wahren Freundschaft zwischen dem intellektuellen Jazzmusiker Don Shirley und seinem prolligen Fahrer (Viggo Mortensen) in den Sechzigerjahren.
Sieht man sich Ihr Instagram-Profil oder auch Magazine der letzten paar Jahre an, muss man sagen, dass es in Hollywood kaum einen Mann mit so viel Sinn für Mode und Stil gibt wie Sie. Oder haben Sie einfach nur einen tollen Stylisten? Nein, ich wurde schon in der Highschool zum bestangezogenen Schüler gewählt. Mode hat mir schon immer viel Spass gemacht.
Dabei gilt doch eigentlich eher die Schulzeit als Epoche der Modesünden … Auf unserer Schule legten viele Kids Wert darauf, gut auszusehen und sich ein bisschen Mühe zu geben. Ich vielleicht noch ein bisschen mehr als andere. Wahrscheinlich auch, weil ich mich so schwer tat mit den Mädchen. Ich war nicht so gut darin, sie anzusprechen, also wollte ich mich zumindest optisch attraktiver machen. Schon damals habe ich begriffen, dass Kleidung auch eine Art der Kommunikation ist. Ich habe mich immer schon über meinen Style ausgedrückt, das ist bis heute so. Und zwar eher instinktiv, ohne dass ich mir darüber den Kopf zerbrochen hätte.
Wer sich früher als junger Mann für Mode interessierte, wurde nicht selten als Schwuchtel oder Mädchen beschimpft. Ist diese Zeit vorbei? Das hat sich ganz schön verändert, würde ich denken. Bei Millenials und Hipstern ist Mode ein riesiges Thema. Zu sehr geht es darum, wer was trägt. Klar gab es auch früher schon bei vielen Kids ein Bewusstsein dafür, wer die coolsten oder teuersten Teile trägt. Aber ich habe das Gefühl, dass der Druck diesbezüglich in den letzten Jahren noch viel mehr gewachsen ist.
«Green Book» ist ab 31. Januar im Kino zu sehen.
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