«I Am What I Am»: Shirley Bassey wird 85
Mit triumphaler Stimme und theatralischem Auftreten hat die Diva aus Wales besonders LGBTIQ-Fans begeistert
Mit dem James-Bond-Song «Goldfinger» sang Shirley Bassey einen Ohrwurm für die Ewigkeit. Als einzige Sängerin hatte sie in sieben aufeinanderfolgenden Jahrzehnten ein Top-40-Album. Sie ist eine Musiklegende. Vor kurzem hat sich Dame Shirley zur Ruhe gesetzt. Philip Dethlefs zeichnet ihre Karriere nach.
In den vergangenen 70 Jahren war sie eine absolute Konstante. Shirley Bassey stand in jedem Jahrzehnt mit mindestens einem Album in den Top 40. Die Britin ist die erste Künstlerin, der das gelungen ist – dank ihres letzten Albums «I Owe It All To You», das es in ihrer Heimat bis auf Platz fünf schaffte. Gleichzeitig markierte das «grosse Finale», wie sie es nannte, ihren Abschied von der Musikwelt. Zuletzt war die «Goldfinger»-Sängerin, die am 8. Januar 85 Jahre alt wird, kaum noch in der Öffentlichkeit zu sehen. Auch auf ihren Social-Media-Kanälen passiert nichts mehr.
Wie kaum eine andere Sängerin steht Dame Shirley für Pomp, Glanz und Glamour, für Theatralik und etwas Triumphales in der Stimme. Das machte die im rauen Arbeiter- und Hafenbezirk Tiger Bay in Cardiff geborene Sängerin zur idealen Kandidatin, 1964 den Titelsong für den dritten James-Bond-Film zu singen. Das von John Barry komponierte «Goldfinger» war ein Hit und wurde zu einem unsterblichen Klassiker. (MANNSCHAFT berichtete über die Diskussion, ob James Bond demnächst ein nicht-binärer Charakter werden könnte.)
«Ich war auf Tournee mit John Barry und seinem Orchester. John erzählte mir, dass er gerade den Titelsong für den neuen Bond-Film fertig geschrieben hätte, aber noch keinen Text habe», erinnerte sich Bassey in der Süddeutschen Zeitung. «Aber als er mir das Stück dann vorspielte, war ich sofort wie gefesselt. Ich meinte: Mir egal, was da für ein Text dazukommt, das mache ich!»
«Diamonds Are Forever» Später folgten zwei weitere 007-Songs, «Diamonds Are Forever» (1971) und «Moonraker» (1979). Das bedeute ihr viel, betonte Bassey. «Ich bin der einzige Mensch, der drei Bond-Songs gesungen hat! Wie fantastisch ist das denn?»
Tatsächlich hat Bassey, die seit dem Ritterschlag 2000 Dame Shirley oder einfach DSB genannt wird, sogar noch mehr gesungen. Ende der 80er-Jahre nahm sie ein Album mit Bond-Songs auch anderer Künstler auf, darunter Duran Durans «A View To A Kill» und Paul McCartney’s «Live And Let Die». Weil ihr das Resultat nicht gefiel, wollte sie es nicht veröffentlichen. Als die Plattenfirma die CD doch auf den Markt brachte, erwirkte Bassey vor Gericht, dass der Verkauf eingestellt wurde. Unter Bond-Fans gilt die CD heute als begehrtes Sammlerstück.
Ihren ersten Nummer-Eins-Hit in Grossbritannien hatte Bassey – als erste Waliserin überhaupt – schon fünf Jahre vor «Goldfinger» mit «As I Love You». Damals war sie 22 und hatte eine harte Jugend hinter sich.
In ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen Als jüngstes von sieben Kindern einer Engländerin und eines Nigerianers war sie in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. Der Vater verliess die Familie, als die kleine Shirley Veronica zwei Jahre alt war. Von ihrem Gesang waren Geschwister, Mitschüler und Lehrer genervt. Sogar ihr Chorleiter in der Schule soll ihr gesagt haben, «die Klappe zu halten», erinnerte sich Bassey in einem Interview.
Sie verliess die Schule mit 14 Jahren und trat schon als Teenager in Clubs und Bars als Sängerin auf. Tagsüber schuftete sie in einer Fabrik. Aber nicht lange. Denn mit ihrer mächtigen Stimme, viel Verve und dem ausdrucksvollen, triumphalen Gestus machte sich das «Mädchen aus Tiger Bay» – so nannte sie später eins ihrer Alben – schnell einen Namen. Sie begeisterte das Publikum und beeindruckte die Konzertagenten. Bald trat sie nicht mehr in lokalen Bars auf, sondern im berühmten London Palladium oder auf den Bühnen der Glücksspiel- und Show-Metropole Las Vegas.
Zu einem pinkfarbenen Abendkleid trug sie schwarze Gummistiefel mit Strass, die rund 3000 Pfund gekostet haben sollen
Basseys beachtliche Diskografie umfasst viele Lieder, die ursprünglich von anderen Künstlern gesungen wurden, die sich Bassey aber zu eigen machte – «Something» von den Beatles, «Big Spender» aus dem Musical «Sweet Charity» oder die ewige Schwulenhymne «I Am What I Am», mit der sie 2007 das Publikum beim Glastonbury-Festival begeisterte.
Zu einem pinkfarbenen Abendkleid trug sie schwarze Gummistiefel mit Strass, die rund 3000 Pfund gekostet haben sollen. (MANNSCHAFT berichtete über den schwulen «I Am What I Am»-Komponisten Jerry Herman, der am zweiten Weihnachtstag 2019 starb.)
Kompliziertes Privatleben So vielseitig wie ihre Karriere verlief, so turbulent und kompliziert war ihr Privatleben. 1954, mit 17, wurde sie erstmals Mutter, 1963 zum zweiten Mal. Wer der Vater ihrer Töchter Sharon und Samantha ist, wurde nie öffentlich bekannt.
Bassey war zweimal verheiratet – von 1961 bis 1965 mit dem Filmproduzenten und Regisseur Kenneth Hume, der ihr öffentlich eine Affäre unterstellte, und von 1968 bis 1979 mit dem Hoteldirektor Sergio Novak, dessen Namen die Mädchen annahmen. 1985 wurde Samantha im Alter von 21 Jahren tot in einem Fluss gefunden. Die Polizei kam zu dem Schluss, dass kein Fremdverschulden vorlag. Zeitweise verlor Shirley Bassey nach dem Schock ihre Stimme.
Doch jedes Mal, wenn die Öffentlichkeit sie fast abgeschrieben hatte, meldete sich die Sängerin erfolgreich zurück
Doch jedes Mal, wenn die Öffentlichkeit sie fast abgeschrieben hatte, meldete sich die Sängerin erfolgreich zurück – auch weil sie musikalisch immer wieder offen für neue und moderne Ideen war.
Für das Schweizer Duo Yello sang sie 1987 die epische Elektroballade «The Rhythm Divine». Mit den Propellerheads nahm sie «History Repeating» auf, eine ultracoole Mischung aus Big Beat und Jazz, mit der sie 1997 plötzlich wieder auf den Tanzflächen der Clubs zu hören war.
«I Owe It All To You» Ihre Fans hatten gehofft, dass Dame Shirley Bassey, die seit langem in Monaco lebt, vor dem Ruhestand noch einmal auf Tournee gehen oder zumindest vereinzelte Konzerte geben würde. Aber in Interviews zu ihrem Abschiedsalbum äusserte sie sich wenig zuversichtlich, dass sie nach der Corona-Pandemie noch einmal auf der Bühne stehen werde.
Zum letzten Mal präsentierte sich die legendäre Sängerin nun also auf «I Owe It All To You» ganz glamourös und stimmgewaltig. Die Platte sei ein Dankeschön an ihre Fans. «Mein neues Album feiert 70 Jahre im Showbusiness. 70 Jahre Unterstützung durch meine Fans und 70 Jahre voller Musik», sagte sie. Einer der Songs wirkt mit Blick auf ihr Leben voller Höhen und Tiefen besonders pointiert: Barry Manilows erhebende Durchhalte-Ballade «I Made It Through The Rain».
Als überlebensgrosse Ikone vieler LGBTIQ, die sich durch nichts und niemanden unterkriegen lässt und am Ende mit der Kraft ihrer eigenen Stimme triumphiert, wurde Shirley Bassey 2019 auch prominent in der Ausstellung «kiss my genders» in London gefeiert in der Installation «Something for the Boys», wo sie einer alternden Dragqueen aus Blackpool die Stimme lieh, für deren Auftritt vor einem Goldvorhang in einem heruntergekommenen Lokal, was gegengeschnitten wurde mit Bildern aus dem «men only»-Sexclub Growlr, wo sich die queere Jugend tummelt.
Es war eine Gegenüberstellung von verschiedenen Formen der Gay Culture – vereint durch die Stimme von Dame Shirley, die man im Rahmen der Ausstellung immer wieder durch die gesamte Hayward Gallery tönen hörte.
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