«Du sollst nicht bei einem Mann liegen wie bei einer Frau»?
Unsere Antwort auf einen nachdenklich stimmenden Leserbrief
«Du sollst nicht bei einem Mann liegen wie bei einer Frau; es ist ein Gräuel» – so steht es bei Mose 3, 18.22. Diese Mahnung ist Teil einer Mail, die uns an diesem Morgen ins Haus flatterte. Das kann man nicht so stehen lassen, finden wir. Also haben wir dem besorgten Herrn geantwortet.
Sascha G. hat uns geschrieben. Er hat auch einen Nachnamen, aber wir haben das Gefühl, man muss diesen Mann schützen (und sei es auch nur vor sich selbst). In seiner Mail erinnert er uns daran, dass man bei keinem Mann liegen soll. Und dass wir uns als «Unzüchtige», «Götzendiener», «Ehebrecher», «Weichlinge» und «Knabenschänder» (was auch immer davon auf uns zutreffen soll – und wer redet eigentlich von den Ehebrecher*innen?) bloss keine Chancen auf das Reich Gottes ausrechnen müssten. Solch eine Mail verdient eine Antwort. Hier ist sie.
Lieber Herr G-Punkt, erstmal vielen Dank für Ihre Nachricht. Es rührt uns, dass Sie um unser Seelenheil besorgt sind. Ihre ebenso gruss- wie betrefflose Mail lässt uns allerdings etwas ratlos zurück. Aus Respekt – und weil ich so erzogen wurde, dass man auf Briefe respektive Fragen auch antwortet – nehme ich mir die Zeit, Ihnen zu antworten. Und das, obwohl wir gerade im Stress der Endproduktion unserer Mai-Ausgabe stecken (morgen gehen wir in Druck: Es ist unsere 100. Ausgabe – yeah! Hier geht es zum Abo Deutschland und hier zum Abo Schweiz.).
Die Bibel zu lesen, fehlt uns schlicht die Zeit (auch wenn die vermutlich weniger Rechtschreibfehler hat als Ihre Mail). Und wer soll eigentlich der «alte konservative» sein, den Sie beschwören? Friedrich Merz vielleicht? Der nach dem Coming-out von Klaus Wowereit der Bunten in den Kugelschreiber diktiert hat: «Solange er sich mir nicht nähert, ist mir das egal!» (MANNSCHAFT berichtete) Und Helmut Kohl ist ja schon tot …
Jedenfalls möchte ich Ihnen herzlich raten, mal in den Kalender zu schauen oder wahlweise auch die Batterie Ihrer Uhr zu überprüfen: Es ist 2020. Und selbst das ist, gefühlt, schon gelaufen.
Trumps Bibelbuddy: Coronavirus ist Gottes Strafe für LGBTIQ
Unser Leben mag dieser Tage in Gefahr sein, aber doch wohl eher durch Covid, den Schrecklichen. Da Sie ja von «gesunder Lehre» sprechen: Derzeit bietet es sich wirklich nicht an, bei einem Manne zu liegen, aber – soviel Ehrlichkeit muss sein – auch nicht bei einer Frau. Selbst wenn – und das wird Ihnen sicher bekannt sein – selbst wenn das Immunsystem von Frauen nach Expert*innenmeinung schneller und effektiver auf Virus-Infektionen reagiert, als dies bei Männern der Fall ist.
Anyway, wie wir in Berlin sagen. Wissen Sie, ich liege wirklich gerne bei Männern. Und das meine ich wortwörtlich. Fast jedenfalls. Vergessen wir den Plural, ein Mann reicht mir vollkommen. So gross ist mein Bett auch gar nicht. Und Sex ist mir echt nicht wichtig. Ich mag es, so einen haarigen, warmen Körper neben mir liegen zu haben. Ich geniesse die Nähe, die Zärtlichkeit, den Geruch oder einfach nur das Gespräch. Oder gemeinsam einen Film bei Netflix zu streamen und womöglich dabei einzuschlafen. Ja, Sex ist okay. Ich persönlich kann darauf verzichten, aber wenn ich es nicht tue – und egal, mit wem ich es nicht tue (verzichten, meine ich) -, geht es niemanden etwas an. Auch, mit Verlaub, Sie nicht.
Vandalismus gegen Schwules Museum – Scheibe zerstört
In einem Punkt muss ich Ihnen Recht geben. Wann immer ich bei einem Mann liege, fängt der meist irgendwann an zu schnarchen, und ich liege die ganze Nacht wach. Das ist mir wirklich ein Gräuel! Unter uns gesagt: Da kriege ich regelrecht Mordphantasien! Aber ich dummes Ding gehe immer wieder mit Männern ins Bett. Und wissen Sie warum? Weil sie so süss und sexy sind. Und gut riechen.
Abgesehen davon muss ich Ihnen eins gestehen: Es langweilt mich wirklich wahnsinnig, wenn man mir mit einem Buch kommt, das vor Hunderten von Jahren geschrieben wurde, und damit meine Gefühle und meine Identität anno 2020 bewerten will. Zumal das von Ihnen bemühte Moses-Zitat nicht mal homosexuelle Partnerschaften betrifft, sondern einen bestimmten Sexualakt, der für Männer als entwürdigend gelten soll.
Ein nicht ganz durchgebratenes Steak gilt in der Bibel ebenfalls als Gräuel.
Kurz: Es geht hier um die Vergewaltigung von Männern! Das ist nicht von mir (ich kann es auch nicht beurteilen – ich war nicht dabei). Sondern von Jürgen Ebach. Der war bis 2010 Professor für Exegese und Theologie des Alten Testaments und biblische Hermeneutik an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Bochumer Ruhr-Universität. Ebach sagt auch: «Ein nicht ganz durchgebratenes Steak gilt in der Bibel ebenfalls als Gräuel.» Ein wirklich aufschlussreicher Text, hier nachzulesen.
«Nie wollte ich an Ausgrenzung Homosexueller beteiligt sein»
Von mir aus können Sie gerne die Bibel rauf- und runterlesen, aber wissen Sie was? Sie werden nicht einen Hauch verstehen von dem, was Menschen ausmacht, was sie antreibt und auch nicht davon, was sie von anderen Artgenossen unterscheidet. Darum möchte ich Sie von Herzen bitten, sich nie wieder anzumassen, uns oder andere Mitglieder der LGBTIQ-Community zu bewerten.
Schauen Sie lieber – und jetzt meine ich es wirklich gut mit Ihnen –, dass Sie sich die Erbschaft des «Reich Gottes» aus dem Kopf schlagen. Denn – und vielleicht möchten Sie Ihre Bibel mal bei Lukas aufschlagen (18:9-14) – in dem alten dicken Buch steht auch: «Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden.»
Gute Besserung! Ihr Kriss Rudolph
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