Monogamie: Genügen zwei zum Glücklichsein?

Monogame Beziehungen – eine Illusion? Wir haben bei Paaren nachgefragt

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Treue Schwule gibt es angeblich nicht. Wir haben trotzdem welche gefunden. Welche Vorteile birgt das Beziehungsmodell Monogamie und wo tun sich Stolperfallen auf?

Dass schwulen Männern Klischees gern anhaften wie lästiges Klebeband, ist nicht neu. Besonders hartnäckig hält sich das Stereotyp des promiskuitiven, stets testosterongeladenen Kerls, der auch in einer Partnerschaft kaum treu sein kann. Offene Beziehungen scheinen eine zeitgemässe Lösung, um unseren naturbedingten Trieben gerecht werden und gleichzeitig unser Bedürfnis nach Intimität befriedigen zu können. Doch ist Monogamie tatsächlich ein reines Luftschlosskonzept, das in einer aufgeklärten Gesellschaft keinen Platz hat?

Nur ein schlechter Witz? Lachende Emoticons, ungläubige Fragezeichen und Kommentare à la «Viel Glück beim Suchen!» waren die ersten und häufigsten Reaktionen auf meine virtuelle Suche nach Interviewpartnern zum Thema «Monogamie in homosexuellen Beziehungen». Und dies allem voran von Männern, die selbst schwul sind. Als hätte unsere Community sich bereits mit der Tatsache arrangiert, dass bedingungslose Zweisamkeit nur das Relikt einer von Disneyfilmen verklärten Kindheit sein kann. Spannender als diese Beobachtung empfand ich jedoch die Tatsache, dass viele der monogamen Paare, die ich in meinem Freundes- und Bekanntenkreis kontaktierte, sich regelrecht weigerten, Stellung zu beziehen. Hatte ich als Journalist etwa ein Tabuthema angeschnitten? Wohl kaum. Stellt die Verbindung zweier Menschen zu einer Einheit doch gesellschaftlich oft ein Idealbild dar. Über Umwege fand ich nach intensivierter Recherche dann doch noch ein paar Freiwillige, die sich bereit erklärten, zu ihrer Beziehung Auskunft zu geben. Dem Rätsel Monogamie konnte also weiter nachgegangen werden.

«Eine Beziehung wird unter anderem dadurch definiert, dass zwei Personen etwas miteinander teilen, das in dieser Form nicht auch anderen geschenkt wird», erklärt der Berliner Diplomtheologe Ferdinand Krieg, der als Paartherapeut auch Regenbogenpaare berät. «Partner*innen, die eine offene Beziehung eingehen, ziehen Grenzen anders. Meine berufliche Erfahrung ist, dass viele homosexuelle Paare ein wenig aufgeschlossener gegenüber dem Ausprobieren und Umsetzen neuer Formen des Zusammenlebens sind. Gleichzeitig fühlen sich aber auch viele einem tiefen Monogamiewunsch verpflichtet, beispielsweise in der Ehe für alle oder eingetragenen Partnerschaft.»

Homosexuelle scheinen generell ein bisschen mutiger im Ausprobieren und Umsetzen neuer Formen des Zusammenlebens.

Aus Überzeugung monogam «Ich glaube, jeder Mensch definiert eine gute Beziehung anders. Monogam zu sein, macht nur Sinn, wenn das für dich selbst optimal erscheint. Darum gibt es keine monogamietypischen Stärken, die andere Beziehungsformen nicht haben», sagt Stephan Phin Spielhoff. Der Journalist und Autor, dessen Debütroman «Der Himmel ist für Verräter» (Albino Verlag) im Februar erschien, ist seit dreizehn Jahren mit seinem Partner zusammen. Für die beiden Mittdreissiger stand es nie zur Debatte, ob sie daran etwas ändern sollten. «Die Herausforderung ist, dass du nicht mit anderen Menschen schläfst. Das lässt sich gut meistern, wenn du vom Typ her jemand bist, der es in Ordnung findet, jeden Tag neben demselben Kerl aufzuwachen», sagt er. Die meisten seiner Freunde oder Arbeitskollegen seien ebenfalls in monogamen Verbindungen. «Vermutlich sind Menschen wie wir aber weniger sichtbar. Du gehst halt nicht mehr auf Partys, um jemanden mit nach Hause zu nehmen, und Grindr benutzt du auch nicht. Also entsteht bei denen, die noch auf der Suche sind, vielleicht der Eindruck, dass es uns nicht gibt.»

«Der höhere Grad an Commitment, der aber selbstverständlich auch keine absolute Sicherheit bedeutet, spricht meines Erachtens nach für ein monogames Modell. Es fühlt sich richtig an. Ich habe aber keinen Vergleich», sagt Christian, der über 15 Jahre in einer monogamen Beziehung lebt. Antoine und Daniel, die seit neun Jahren liiert sind, gehen sogar noch einen Schritt weiter und sehen in der Monogamie die Grundlage ihrer gemeinsamen Vergangenheit und Zukunft. «Wir haben Polygamie niemals in Betracht gezogen. Aus unserer Sicht bietet eine monogame Beziehung die besten Chancen, um dauerhaft zusammenzuleben.»

Was aber, wenn die Beziehung irgendwann an den eigenen Massstäben zu scheitern droht?

Was lauert ausserhalb der Komfortzone? «Wir waren circa drei Jahre zusammen, als Finn im Alkoholrausch auf einer Party mit einem anderen Mann rummachte. Mir zerbrach es das Herz, denn ich erwischte die beiden. Zwei Jahre zuvor war schon einmal etwas Ähnliches passiert. Damals gab es einen riesigen Streit, der viel Misstrauen nach sich zog. Gerade als die Wunden wieder verheilt schienen, geschah es also erneut. Aber genau da schob ich die Eifersucht für einen Moment zur Seite, schnappte mir Finn und wir packten unsere Herzen auf den Tisch. Die halbe Nacht lang sprachen wir über Sex, was er uns bedeutet, und waren uns irgendwann einig. Nachdem wir dann Monate später einen Dreier ausprobierten und anschliessend Händchen haltend nach Hause gingen, merkte ich, dass es sich wie immer anfühlt. Sogar etwas leichter.»

Wer das Animalische in sich verleugnet, verleugnet sich als Mensch.

Felix ist seit über fünf Jahren an Finns Seite. Im August 2018 heiratete das Paar. Bedacht reflektiert der 37-Jährige, der in seiner Freizeit neben Hund und Sport vor allem das humorvolle Vertonen verstaubter Schulliteratur im Kopf hat, die Öffnung seiner Beziehung.

«Ich hatte zuvor rein monogame Beziehungen. Etwas anderes hätte ich mir nicht vorstellen können. Doch insgeheim merkte ich, dass ich mich nach anderen Männern umsah und auch an sie dachte. Ich habe mal aufgefangen, dass derjenige, der das Animalische in sich verleugnet, sich als Mensch verleugnet. Genau darin sehe ich die Schwierigkeiten einer monogamen Beziehung. Über aufkommende Gefühle mit dem Partner zu sprechen, findet oft nicht statt, weil man Angst hat, auf empörte Ablehnung zu stossen.»

Hin- und hergerissen zwischen Intellekt und Genetik Ähnliche Gefühle und Bedenken begegnen auch Ferdinand Krieg in seinen Beratungen. «Es taucht häufig die Frage auf, wie viel Exklusivität in einer Paarbeziehung überhaupt sinnvoll ist und ab wann sie individuelle Freiheitsbedürfnisse zu sehr einschränkt. Auf der anderen Seite gibt es aber eben auch die Sorge, den oder die Partner*in im Dschungel sexueller Angebote und Begegnungen zu verlieren», sagt er. Diese Verunsicherung könne zu einer Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls in der Paarbeziehung führen. «Für beide genannten Problembereiche kann gelten, dass es eine gewisse Konflikttoleranz bei der Ausgestaltung einer Paarbeziehung braucht. Dabei etwas von der Leichtigkeit des Anfangs lebendig zu halten, wiederzubeleben oder etwas Vergleichbares neu zu schaffen, ist wichtig.» Ausserdem solle man Bedürfnisse und Befürchtungen bei der Beziehungsgestaltung verbalisieren, anstatt sie zu exkommunizieren. «Man bleibt ein ‹Ich›, trotz des ‹Wir›.»

Die Frage, ob wir Knecht unserer Biologie oder über diese erhaben sind, dominiert unser Erleben an vielen Stellen. Zumal nicht abschliessend geklärt werden kann, ob der Mensch eine von Grund auf eher mono- oder polygame Spezies ist. Streunender Tiger oder der Zweisamkeit frönender Otter? Über alle Arten hinweg, vom intelligenten Primaten bis hin zum niederen Säugetier, lassen sich vielfältigste Beziehungs- und Fortpflanzungskonzepte ausmachen. Das Bild des Genmaterial streuenden Alphamännchens greift als Erklärung nicht weit genug, können doch auch Fürsorge und Zusammenschluss das Fortbestehen der Nachkommen sichern.

Ein Blick ins Labor Was sagen aktuelle Forschungen? Der Wunsch, ein Gegenüber zu finden, das monogam ist, scheint besonders bei jüngeren Homosexuellen stark ausgeprägt. In einer Befragung, die das amerikanische Forscherpaar Lanz Lowen und Blake Spears an einer repräsentativen Stichprobe durchführte, äusserten 90 % der 18- bis 39-Jährigen, dass sie monogame Beziehungen gegenüber offenen bevorzugen würden. Weitere Untersuchungen deuten an, dass die Fremdgehquote bei monogamen homosexuellen Verbindungen mit 26 % trotzdem ein Viertel all dieser Vereinigungen betrifft. Der Diplompsychologe Roland Kirchhof fasst in seiner Studie «Beziehungsverhalten schwuler Männer bezüglich Monogamie» die Aussagen von rund 300 Teilnehmern wie folgt zusammen. Es seien vorrangig Partnerschaftsdauer und die erwarteten Konsequenzen eines Seitensprungs, die dessen Wahrscheinlichkeit beeinflussen. Zwar unterscheide sich die erwähnte Fremdgehquote von 26% kaum von der bei heterosexuellen Geschlechtsgenossen, nur gebe es eben unter schwulen Paaren insgesamt eine deutlich höhere Akzeptanz, was alternative Beziehungskonzepte betrifft.

«Das könnte auch daran liegen, dass sich homosexuelle Beziehungen historisch gesehen gegen die herrschende heteronormative Mehrheitsgesellschaft mit ihren klassischen Vorgaben behaupten und durchsetzen mussten. Homosexuelle Beziehungen galten als Normverstoss, Regelübertretung, sündhaft, verwerflich, waren geächtet, verpönt und einer Strafverfolgung ausgesetzt», merkt Ferdinand Krieg in diesem Zusammenhang an. «Deshalb mussten sie zumeist im Verborgenen gelebt werden. Der offene Zugang zu klassischen Beziehungsmodellen war gesellschaftlich verwehrt. Hieraus hat sich möglicherweise, zum Teil der Not gehorchend, teilweise aus Experimentierfreudigkeit oder aus einer Protesthaltung, eine grössere Variationsbreite an Beziehungsformen herausgebildet.»

Aber egal, um welches Beziehungsmodell es sich auch handelt, die Wahrung vorher ausgeloteter Grenzen und Regeln scheint essenziell. Oder etwa nicht?

Offene Beziehung – mehr Abwechslung, mehr Spannung, mehr Risiko

Ende gut, alles gut? «In meiner vorherigen Beziehung hat mein Freund auf eine offene Beziehung bestanden. Wir hatten uns auf die «‹Don’t ask, don’t tell›-Variante verständigt. Wer Sex hat, erzählt es dem anderen nur, wenn explizit danach gefragt wird. Letztendlich glaube ich, dass dieser Ansatz unserer Beziehung geschadet hat. Deswegen wollte ich mit meinem neuen Partner eine monogame Beziehung», gibt Sebastian an. Auf die Frage, ob es in seiner aktuellen, seit zehn Jahren währenden Partnerschaft trotzdem auch andere Phasen gab, antwortet der 43-Jährige: «Es gibt Umstände, da kann aus Knutschen auch mehr werden. Mir ist es einmal passiert. Mein Freund weiss nichts davon. Jeder Mensch hat sexuelle Präferenzen und Vorlieben. In einer Beziehung muss sich das nicht notwendigerweise ergänzen. Beide Seiten trotzdem zufriedenzustellen, ist schwierig. Reden wäre ein Anfang. Es sollte ein Kompromiss gefunden werden, mit dem beide wirklich glücklich sind, sonst hat auch Monogamie auf längere Sicht keine wirkliche Chance.»

Felix pflichtet dem bei: «Auch bei uns gibt es, trotz offener Beziehung, grundsätzlich mehr monogame Phasen. Alles andere wird meist zusammen gemacht oder vorher transparent kommuniziert. Nur so funktioniert es.»

Ob offen, geschlossen oder phasenweise monogam – wie so oft scheint Kommunikation der Schlüssel zum Erfolg zu sein. Am Ende wäre es wünschenswert, Herr über das persönliche Gefühls- und Triebchaos zu werden. Wer dabei der eigenen und der psychischen Gesundheit seines Partners einen Gefallen tun will, sollte versuchen, ehrlich zu sein. Es ist viel weniger in Stein gemeisselt, als uns all die Klischees, Normen und Werte weismachen wollen.

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