Es braucht mehr queere Sichtbarkeit – in Text und Bild!
Queere Medienschaffende tun sich zusammen und stellen Forderungen - ein Kommentar
Das neue Netzwerk Queer Media Society (QMS) bestehend aus «nicht-hetero*sexuellen» Medienschaffenden will für LGBTIQ-Sichtbarkeit und -Präsenz in allen Medien-Bereichen sorgen! Deutschland-Chefredakteur Kriss Rudolph erklärt, warum er das unterstützt.
Der Berliner Autor und Regisseur Kai S. Pieck hat die Queer Media Society ins Leben gerufen. Am kommenden Montag findet im Rahmen der Berlinale eine Kick-off-Veranstaltung statt, zu der u. a. UFA-Chef Nico Hofmann, Nollendorfblogger Johannes Kram, die Regisseurin Kerstin Polte und die Grünen-Sprecherin für Queerpolitik, Ulle Schauws, erwartet werden. Derzeit bezeichnet man sich noch als «nicht-hetero*sexuelle» Medienschaffende, steht aber selbstverständlich auch trans und inter Menschen offen.
Wie offen sind Zeitungsredaktionen oder Fernsehverantwortliche dafür, queere Menschen sichtbar zu machen?
Ich unterstütze die Ziele der QMS als Vertreter für Print- und Online-Journalismus. Denn es geht nicht nur um Personen, nicht nur um Medienschaffende wie Anne Will oder Jochen Schropp und deren offenen Umgang mit ihrer Sexualität. Es geht auch, vielleicht noch viel mehr darum, wie offen Zeitungsredaktionen oder Fernsehverantwortliche dafür sind, queere Menschen sichtbar zu machen. Viele grosse Medien wie Tagesspiegel oder Bild haben mittlerweile eigene Angebote und berichten in einem Ausmass über LGBTIQ-Themen wie nie zuvor. Aber auch darum geht es nicht – oder nicht nur.
Einfach mal über den heteronormativen Tellerrand schauen Ich will fünf Beispiele nennen dafür, wie unsichtbar queere Menschen in vielen Medien sind. Damit will ich nicht behaupten, dass eine böse Absicht dahinter steckt. Aber viele Reporter*innen und Redakteur*innen kommen anscheinend oft nicht auf die Idee, über ihren heteronormativen Tellerrand zu schauen. Oder sie benutzen unreflektiert Redewendungen, anstatt die Gesellschaft – bunt und divers, wie sie ist – zu reflektieren.
Nehmen wir das Hamburger Abendblatt und seinen Artikel vom 1. Februar 2019 über den Sänger Stefan Gwildis. Der sei «per se kein Stimmungssänger, aber einer, der dank Reibeisenstimme als grau melierter Lausbub die Frauenherzen erobert.» Wieso ist sich die Zeitung so sicher, dass nicht auch der eine oder andere männliche Konzertbesucher von Gwildis verzaubert wurde – oder dass es zumindest möglich wäre? Würde es weh tun, dem Text einen simplen Halbsatz hinzuzufügen wie » … und vielleicht auch ein paar Männerherzen». In der Form suggeriert der Artikel eine Ausschliesslichkeit, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat.
Schöne Gefühle – nur zwischen Mann und Frau? Ähnlich verhält es sich bei diesem Artikel, der 2018 in der Deutschen Apotheker-Zeitung erschienen ist. Wieder geht es um die Attraktion zwischen zwei Menschen. Respektive Tieren. «Kisspeptin klingt nicht nur schön, das Peptidhormon steuert auch schöne Gefühle – die Anziehung zum anderen Geschlecht und das sexuelle Verlangen.» Gut, bewiesen hat man es bisher zumindest bei Mäusen. Aber als «schöne Gefühle» gelten hier offenbar nur die, die auf das andere Geschlecht zielen. Ist Homo- oder Bisexualität weniger schön?
Manche sogenannte Ratgeber-Texte, die man online findet, sind voll von solchen Beispielen: «Pubertierende Jungs denken viel an Sex», heisst es in diesem Focus-Artikel. «Einzig fehlt ihnen häufig dazu die Partnerin. So verschwenden sie viel Mühe und Gedanken auf die Suche nach ihr: Soll es eine feste Freundin, ein One-Night-Stand oder lieber eine Prostituierte sein?» Pubertierende Jungs, die vom ersten Sex mit einem Mann träumen: Fehlanzeige.
Im Job ist nur jeder dritte queere Arbeitnehmer geoutet
Besonders auffällig ist die Neigung, das Vorhandensein nicht-heterosexueller Lebensweisen auszublenden – absichtlich oder unbewusst – bei der Bebilderung von Artikeln. Sehr beliebt: Ratgeber-Artikel für Beziehungen. Wie in diesem Video-Artikel, der bei Brigitte.de erschienen ist, geht es darum, wie man eine perfekte, zukunftsfähige Partnerschaft erkennt. Acht kuschelnde, turtelnde Paare werden in dem gut einminütigen Artikel gezeigt – und alle sind hetero! Dabei wird in dem Artikel nichts besprochen, was auf schwule oder lesbische Paare nicht auch zuträfe (es geht nicht um Fortpflanzung, sondern um Zwischenmenschliches). Sieht man sowas in der Redaktion nicht – oder spart man Homosexuelle bewusst aus, weil man niemanden vergraulen will?
Familie = Vater-Mutter-Kind Und dann natürlich: Familie. Geht es in einem Artikel um Eltern oder Familiengründung, werden auf einem Symbolbild Vater, Mutter und Kind gezeigt. Ich ahne, was sich der verantwortliche Redakteur denkt (falls es ein bewusster Vorgang ist und er überhaupt eine andere Bebilderung in Betracht zieht): Wenn ich jetzt zwei Mütter mit Kind zeige, fühlen sich alle anderen nicht angesprochen.
Und genau das ist das Problem. Man soll sich als schwuler Mann oder lesbische Frau immer auch gemeint und mit angesprochen fühlen. Das ist aber das Gegenteil von Sichtbarkeit. Schwule Väter, lesbische Ehepaare, Regenbogenfamilien – all das ist in Deutschland eine Realität. Warum also zeigt man sie in diesem Artikel über eine Broschüre für junge Eltern bei EKXAKT Media nicht?
So engagiere ich mich für LGBTIQ-Rechte und Sichtbarkeit
Queere Leser*innen, die online auf die Artikel klicken und für Reichweite sorgen, nimmt man gerne mit, möchte sie aber nicht zeigen?
Ausser in Berichterstattungsghettos – auf gesonderten Seiten, wo queere Themen für queere Leser verhandelt werden – kommen wir nicht vor. Diese Ignoranz können sich Redaktionen, die es mit dem Thema Diversity ernst nehmen und die ihre LGBTIQ-Leser als gleichberechtigte Menschen betrachten und auch so behandeln wollen, auf Dauer nicht leisten.
Autoversicherer wirbt mit diesem süssen schwulen Paar!
In der Werbung klappt das übrigens schon ganz prima. Da kann z. B. ein schwules Paar für einen Autoversicherer werben, und Heteros können, dürfen, sollen sich auch angesprochen fühlen. Es ist auch gar nicht so schwer, dieses Sich-auch-gemeint-Fühlen. Als queerer Mensch hat man darin sehr viel Übung.
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