«Diversität war für mich eine Selbstverständlichkeit»
Regisseur Thomas Hardiman über seine queere Krimikomödie «Medusa Deluxe»
Mit «Medusa Deluxe» ist dem britischen Regisseur Thomas Hardiman ein ungewöhnliches Kino-Erlebnis gelungen. Bei MANNSCHAFT erzählt er über Haarstyling, Diversität und seine Leidenschaft zum Film.
Der Film – ab 8. Juni im Kino und später ab dem 4. August beim Streamingdienst MUBI – ist eine skurrile und sehr queere Krimikomödie, angesiedelt in der Welt kompetitiver Haarstyling-Wettbewerbe. Wir trafen ihn im August 2022 kurz nach der Weltpremiere beim Filmfestival in Locarno zum Interview.
Mr. Hardiman, wo andere Regiedebütanten sonst gerne mal im Privaten nach Inspiration suchen und Autobiografisches erzählen, haben Sie Ihren ersten langen Spielfilm «Medusa Deluxe» nun in der Welt kompetitiver Haarstyling-Wettbewerbe angesiedelt. Wie kamen Sie darauf? Tja, wenn ich das so wirklich beantworten könnte. Es schwirren immer so viele Ideen in meinem Kopf herum, von denen ich selten weiss, wie genau sie entstanden sind. Und manchmal verfängt sich dann eben eine und es wird mehr daraus. Den Anfang macht nicht selten ein Satz oder eine knackige Beschreibung, die meine Neugier weckt. Mein erster Kurzfilm zum Beispiel handelte von Teppichen, weil mir die Zeile «eine Lovestory über die britische Teppich-Geschichte» in den Sinn kam und ich dachte, dass das ein Film ist, den ich mir selbst ansehen würde. Das war nun mit einem Murder Mystery in der Welt kompetitiver Haarstyling-Wettbewerbe ganz genauso. Ich hatte ganz viele Ideen, die ich in diesem Konzept unterbringen wollte, was Struktur und Stil und Figuren angeht. Aber vor allem wollte ich wirklich einen Film drehen, der Frisuren und Hairstyling feiert.
Warum? Weil ich finde, dass das letztlich eine unterrepräsentierte Subkultur ist. Richtig gute Haarstylist*innen leisten wirklich Aussergewöhnliches. Der Kreativität sind da keine Grenzen gesetzt, ich finde das wirklich irre. Eugene Souleiman zum Beispiel, der für die Frisuren in «Medusa Deluxe» zuständig war, ist einer der grossartigsten Haarstylisten der Welt. Für mich ist das, was er aus Haaren macht, genauso ausgefallen, einfallsreich und beeindruckend wie etwa die Werke der von mir wahnsinnig geschätzten Isa Genzken. Nur dass man eben bei ihr von Kunst spricht und bei ihm von Haarstyling.
Wie haben Sie ihn kennen gelernt? Ehrlich gesagt habe ich mich einfach mit dem Drehbuch zu «Medusa Deluxe» bei ihm gemeldet und von meinen Ideen erzählt. Mit seiner Arbeit war ich vertraut, weil ich schon länger verfolge, welche Trends es in Sachen Frisuren gibt, und ich zum Beispiel gesehen hatte, was er für tolle Sachen gemacht für Alexander McQueen oder Maison Margiela. Ich hatte den Eindruck, dass wir vielleicht eine Wellenlänge haben könnten, denn mich interessiert an der Kunst und damit auch an Filmen gerade ihre Kunstfertigkeit, die Mechanismen ihrer Entstehung, die Künstlichkeit. Das geht ihm in seiner Arbeit ähnlich.
Auch auf die Gefahr hin, dass wir hier viel zu lange über Haare sprechen, müssen Sie trotzdem noch kurz erzählen, wo denn aber nun Ihre Faszination dafür überhaupt herkommt! Meine Mutter hat auf jeden Fall viel damit zu tun. Als ich klein war, fuhr sie einmal die Woche zum Friseur. Ich kam eigentlich jedes Mal mit und sass dann den ganzen Nachmittag in diesem Salon namens Oswaldo herum. Und wissen Sie, was das Kurioseste ist? Als ich den Laden letztens mal bei Google Maps gesucht habe, stellte ich fest: heute heisst er La Medusa. Ist das nicht ein krasser Zufall? Jedenfalls haben mich diese Stunden im Friseursalon damals wirklich sehr geprägt. Dieses Spannungsfeld zwischen der Kunst des Frisierens und der Eleganz auf der einen Seite und des Klatsch und Tratsch auf der anderen ist genau das, was ich nun in «Medusa Deluxe» einfangen wollte. Das ist ein sehr fruchtbares Setting für absurde Comedy und die Gratwanderung zwischen Realismus und Überhöhung. Ich habe jedenfalls sehr bewusst einige Details in meinen Film integriert, die eine Hommage an Oswaldo und seinen Salon sind.
Zum Beispiel? Bei ihm lief damals ständig Musik von den Pet Shop Boys. Deswegen ist jetzt der Klingelton einer Figur in «Medusa Deluxe» ein Song der Pet Shop Boys. Was gar nicht unproblematisch war, denn die Band hat die Anfrage erst einmal abgelehnt. Sie wollten nicht, dass ihre Musik zum Klingelton degradiert wird, was man ja auch irgendwie verstehen kann. Erst als ich einen langen Brief schrieb und genau erklärte, warum es für mich eine so persönliche Sache wäre, einen Song von ihnen in meinem Film zu haben, gaben sie doch die Erlaubnis.
Ihr Ensemble ist fantastisch und kommt ganz ohne grosse Namen aus. Nach welchen Kriterien haben Sie es zusammengestellt? Gerade als Regiedebütant ist es natürlich Gold wert, wenn man einen guten Casting Director hat, und da hatte ich mit Gary Davy wirklich immenses Glück. «Medusa Deluxe» war in der Umsetzung kein einfacher Film. Wir hatten zwei Wochen Probezeit und dann gerade einmal neun Tage zum Drehen, das war schon irre. Deswegen war es wichtig, dass wir Schauspieler*innen mit Theatererfahrung finden, die mit dieser Art des Arbeitens vertraut waren und auch dieses Ensemble-Feeling kannten. Schon beim Casting haben wir versucht darauf zu achten, dass wir uns für Leute entscheiden, die mit der Menge an Text und auch seinem Rhythmus klarkommen und gleichzeitig eine Leichtigkeit ins Spiel bringen. Ich glaube, ich habe meinem Cast wirklich ganz schön was zugemutet, auch wenn ich daran denke, dass wir die ganze Zeit fast nur in kleinen Räumen und engen Gängen gedreht haben.
Hatten Sie bei den Figuren und ihrer Besetzung gezielt Diversität im Blick? Die musste ich mir nicht bewusst vornehmen, sondern war eine Selbstverständlichkeit. Was natürlich auch mit der Welt des Haarstylings zusammenhängt. Die wird nun einmal von Frauen und schwulen Männern dominiert, deswegen spielen Hetero-Kerle in meinem Film einfach keine Rolle. Dass die meisten Protagonistinnen in «Medusa Deluxe» People of Color sind, verstand sich für mich auch von selbst. Mir ist es wichtig, dass meine Arbeit unseren realen, modernen Alltag widerspiegelt. Meine Mutter ist eine Einwanderin aus Irland, ich habe zwei Schwarze Onkel und jede Menge mixed-race Cousins und Cousinen. Ein Ensemble, das nicht divers ist, würde nicht nur meiner Familienerfahrung nicht entsprechen, sondern auch nicht der britischen und westeuropäischen Gesellschaft, die mir täglich auf der Strasse begegnet.
War eigentlich von Anfang an klar, dass «Medusa Deluxe» aussehen soll, als sei der Film in einer einzigen Einstellung gedreht? Ja, das war von Beginn an der Plan. Dazu angeregt wurde ich, glaube ich, durch meine Nichten, die ich oft gebabysittet habe. Denen habe ich immer über die Schulter geguckt, wenn sie sich auf ihrem Telefon stundenlang Makeup-Tutorials angesehen haben, was mich irgendwie inspirierte. Ich wollte dranbleiben an meinen Figuren, gerade auch in dem Murder Mystery-Kontext. Wo man in einer solchen Geschichte normalerweise nach jeder Befragung wegschneiden und dem Ermittler folgen würde, bleibe ich nun bei den Befragten und wir setzen uns das Geschehen aus ihrer Perspektive zusammen. Das stellt die konventionellen Erzählstrukturen ein wenig auf den Kopf – und genau darum geht es mir.
Gefilmt hat all das Robbie Ryan. Wie kommt man als Erstlingsregisseur mit kleinem Budget und neun Tagen Drehzeit an einen Oscar-nominierten Kameramann, der sonst mit Yorgos Lanthimos, Sally Potter oder Andrea Arnold arbeitet? Das habe ich nur dem Zufall und dem Glück zu verdanken. Ich war vor Jahren Produktionsassistent bei einem Film namens „Catch Me Daddy“, bei dem er Kameramann war. Da kamen wir ins Gespräch, und anfangs dachte ich, das sei bloss höfliche Plauderei bei der Arbeit, weil man eben gerade nebeneinander beim Lunch sitzt. Aber tatsächlich begeistern wir uns in der gleichen Art und Weise fürs Filmemachen, haben die gleiche Leidenschaft fürs Medium Film und schwärmen für die gleichen Geschichten. Darüber freundeten wir uns an. Und weil ich weiss, dass er am liebsten mit Leuten dreht, die er gerne mag, und immer dann seine beste Arbeit abliefert, wenn er Spass am Set hat, habe ich mich schliesslich getraut ihn zu fragen, ob er sich eine Zusammenarbeit vorstellen kann.
Wann entbrannte bei Ihnen eigentlich besagte Leidenschaft für den Film? Im Grunde schon als Kind. Disneys «Aladdin» war mein erster grosser Lieblingsfilm. Überhaupt bin ich heute noch ein echter Fan von gut gemachten Animationsfilmen, die sich nicht zuletzt an Kinder richten. «The LEGO Movie» oder «Wolkig mit Aussicht auf Fleischbällchen» sind für mich grosses Kino! Als Regisseur beeinflusst haben mich aber später natürlich andere Werke. Die Filme von Ken Russell zum Beispiel haben mich sehr geprägt, ebenso die von Leos Carax, gerade die früheren. Ich bin niemand, der mit Weltkino und Untertiteln aufgewachsen ist. In meiner Jugend waren deswegen zunächst eher Filme wie «Chinatown» für mein cineastisches Erwachen zuständig, auch wenn das nichts ist, was mich heute noch stark beeinflusst. Inzwischen orientiere ich mich eher an Claire Denis oder Jūzō Itami.
Studiert haben Sie trotz der Liebe zum Kino erst einmal Kunst, nicht wahr? Ja, denn die bildende Kunst schien mir anfangs mehr Freiheit zu versprechen. Ich hatte das Gefühl, dass dort alles möglich ist und es keine Regeln gibt, während Film, so wie ich ihn in Grossbritannien wahrnahm, als Kunstform irgendwie restriktiv erschien. Ich hatte den Eindruck, dass es da enorm viele Konventionen gab, und konnte mir nicht vorstellen, dass ich mich da so ausdrücken kann, wie ich das gerne wollte.
Was brachte Sie dann dazu, doch noch umzuschwenken? Mein Erweckungserlebnis, das mich umdenken liess, war ein Wochenende während meines Kunststudiums, an dem ich drei britische Filme sah, die mich umhauten: „Hunger“ von Steve McQueen, Clio Barnards „The Arbor“ und „Archipelago“ von Joanna Hogg. Die waren so anders als alles, was ich bis dahin mit britischem Kino assoziierte. Die künstlerische Freiheit und die Experimentierfreude, die ich in diesen Filmen entdeckte, öffneten mir die Augen. Von da an stürzte ich mich auf alles, was ich in Sachen Independent-Kino und internationaler Filme in die Finger bekam. Ich entdeckte „35 Rum“ von Claire Denis und die alten Leos Carax-Filme, aber zum Beispiel auch Andrew Haighs „Weekend“, der für mich bis heute ein unglaublich wichtiger Film ist. Mit seiner Kamerafrau Ula Pontikos habe ich zwei meiner Kurzfilme drehen können und wahnsinnig viel von ihr gelernt.
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