Cora Frost und Tim Fischer: Zwei queere Herzen im Dreivierteltakt
Die beiden Ausnahmekünstler*innen haben ihr Duettprogramm von 1995 wiederbelebt
Cora Frost und Tim Fischer sind sicher nicht die ersten Namen, die einem einfallen, wenn’s um eine Reise ins «Traumland Operette» geht. Während traditionelle Fans des Genres bei der Ankündigung von «Niemand liebt dich so wie ich» vermutlich eher Herzrhythmusstörungen kriegen, werden queere Operettenliebhaber jedoch entzückt sein.
Die Idee eines Duettprogramms setzten die beiden Künstler*innen 1995 in der Berliner Bar jeder Vernunft um. Damals war es eine Art Marketing Gag, um den aufstrebenden Jungstar Tim Fischer mit möglichst vielen Kolleg*innen zu kombinieren. Eine war Cora Frost.
Mit ihr gestaltete Fischer mehr als nur die ein oder andere Einzelnummer, sondern ein abendfüllendes Event, das sich – ungewöhnlicherweise – dem Genre Operette widmete. Also ausgerechnet jener Kunstform, die in Deutschland und Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg als «schmerzstillendes Mittel» verabreicht wurde für alle, denen das Leben zu viel geworden war und die in ein problemfreies Paralleluniversum wegdriften wollten. Vorzugsweise im Dreivierteltakt. (MANNSCHAFT berichtete über die neue «Operette für zwei schwule Tenöre» von Johannes Kram und Florian Ludewig.)
Schliesslich galt die heile Welt der Operette vielen als absolut «sexfreie» Zone
Für Zuschauer*innen in den 1990er-Jahren war die Erinnerung an die TV-Sendungen von Anneliese Rothenberger, Ingeborg Hallstein und Peter Alexander noch vergleichsweise frisch. Und dass sich damals diese queeren Kleinkunstkünstler*innen bei diesen Unterhaltungsheiligtümern bedienten und sie nicht nur gegen den Strich bürsteten, sondern auch die unterschwellige Erotik dieser Lieder mit Vollkaracho auskosteten, konnte man als so etwas wie eine Kampfansage ansehen. Schliesslich galt die heile Welt der Operette vielen als absolut «sexfreie» Zone: klinisch sauber bzw. gesäubert. Ein fatales Erbe der Nazis.
Aus damaligen Zeiten gibt’s eine «Duette»-CD, auf dem Cover ist Fischer unfassbar jung und mit langen Haaren zu sehen.
«Mein Gott, wie sind wir beide vornehm» Man kann darauf die Highlights hören, mit denen die beiden jetzt neuerlich antreten: «Wenn die beste Freundin (mit der besten Freundin)» von Mischa Spoliansky aus «Zwei Krawatten» (womit Marlene Dietrich einst der Durchbruch gelang), «Mein Gott, wie sind wir beide vornehm» von Eduard Künneke aus der Operette «Liselott» (in der einst Gustav Gründgens neben Hilde Hildebrand brilliert) oder den Comedy-Kracher «Joseph, ach Joseph (was bist du so keusch)» von Leon Fall aus «Madame Pompadour».
Davon gibt’s eine umwerfende Aufnahme von Fritzi Massary und Max Pallenberg. Wer das einmal gehört hat weiss, dass es fast unmöglich ist, das zu toppen.
Und doch schaff(t)en es Frost und Fischer damals wie heute, diesem Duett über sexuelle Nötigung (eines Mannes durch eine lüsterne Frau) eine derart eigene Note zu geben, was sie quasi ausser Konkurrenz laufen lässt.
Und als wenn das alles nicht genug gewesen wäre, so gab’s schon damals die volle Lehár-Breitseite mit «Niemand liebt dich so wie ich» aus «Paganini». Zur Erinnerung: Lehár war der offizielle Lieblingskomponist des «Führers». (MANNSCHAFT berichtete über Komponist Thomas Zaufke, der den ersten Paul Abraham Preis der GEMA-Stiftung für seine LGBTIQ-Musicals erhielt.)
Koskys queere Operettenrevolution Nach dem Duettprogramm von 1995 haben weder Forst noch Fischer sich nochmals intensiver mit Operette beschäftigt; was man bedauern kann. Sie waren auch beide nicht an der queeren Operettenrevolution von Barrie Kosky an der Komischen Oper ab 2012/13 beteiligt, wo stattdessen Dagmar Manzel, Katharine Mehrling, Adam Benzwi und die Geschwister Pfister antraten.
Dass Frost und Fischer sich dennoch jetzt neu zusammengetan haben, um das alte Programm wiederzubeleben, ist der Bar jeder Vernunft geschuldet, die 30-jähriges Jubiläum feiert. Indem legendäre Programme der Vergangenheit neu aufgelegt werden. Zuletzt traten die Geschwister Pfister in ihrer Schweizer Ur-Konstellation von 1992 nochmal auf und sorgten für ein ausverkauftes Haus bzw. Spiegelzelt (MANNSCHAFT berichtete).
Diesmal sieht man Tim Fischer mit grell geschminktem Gesicht, so als sei er der Zwillingsbruder von Joel Grey aus «Cabaret». Während Frost im Smoking ganz den unnahbaren Vamp mimt, der zwischen süsslichem Gurren zu aggressiver Groteske changiert, so schnell, dass einem vom hin und her schwindlich werden kann.
Cora Frost mimt den unnahbaren Vamp, der zwischen süsslichem Gurren und aggressiver Groteske changiert
Zwischen die Operettentitel haben sie berühmte «romantische» Duette wie «True Love» von Cole Porter eingebaut, ein bisschen Baccara und Cindy & Bert sowie als Zugabe das eigentlich unschuldige «Schwalbenduett» aus Emmerich Kálmáns «Csardasfürstin» («Machen wir’s den Schwalben nach, bau’n wir uns ein Nest»). Nur dass das hier natürlich alles andere als unschuldig ist.
Dunkle Seite der Geschichte Und das ist auch im Jahr 2022 gut so. Denn jenseits von Berlin und Kosky wird vielerorts Operette immer noch als schmerzstillendes Mittel verabreicht, in Aufführungen, die aus der Zeit gefallen sind – und wie eine Parodie aufs durchaus aufmüpfigen Original aus den 1910er- und 20er-Jahren wirken. Oft geschrieben von Komponisten und Textdichtern, die als Juden ins Exil mussten oder im KZ umkamen.
Diese dunkle Seite der Operettengeschichte sprechen Frost und Fischer nicht an, es gibt eh kaum Conférencen. Aber sie zeigen, dass die Ur-Operette eben doch etwas anderes ist, als was sogenannte Traditionalist*innen einen glauben machen wollen, sei’s aktuell beim «Operetten Boulevard» des Bayerischen Rundfunks, sei’s an vielen anderen Spielstätten der Welt.
Dass Kosky die beiden Künstler*innen nie für eines seiner Operettenprojekte dazugeholt hat, ist eine Sünde. Die sich vielleicht noch korrigieren lässt. Die «Duette»-CD von kann man Second Hand noch finden bzw. die Titel streamen. Das Album lohnt, aber das Live-Erlebnis lohnt noch mehr. Vor allem weil Frost auch die lesbische Ballade von der kleinen liebeshungrigen Paula Maus singt. Dafür bekommt sie Standing Ovations mitten im Programm. Das war schon grandios!
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