USA ohne Trump – und der bisexuelle «First Son of the US»

Wäre es wirklich so unerhört, wenn der Sohn des US-Präsidenten im Wahljahr eine Liebesbeziehung mit einem britischen Prinzen bekanntgeben würde? Amazon Studios haben sich schon die Rechte gesichert

Das Weisse Haus, in das der bisexuelle Alex Claremont-Diaz einzieht im Roman von Casey McQuiston (Foto: Matt H. Wade / Wikipedia)
Das Weisse Haus, in das der bisexuelle Alex Claremont-Diaz einzieht im Roman von Casey McQuiston (Foto: Matt H. Wade / Wikipedia)

Was kann man tun, wenn man angesichts der Politik Donald Trumps meint wahnsinnig werden zu müssen? Auf diese Frage findet Casey McQuiston eine verblüffend einfache Antwort. In ihrem erfolgreichen Debütroman «Royal Blue» (Original: «Red, White & Royal Blue») entwirft die junge US-Amerikanerin eine «alternative, aber realistische Realität», in der 2016 nicht Trump, sondern eine Frau erstmals die Präsidentschaftswahl gewinnt – und mit ihrem bisexuellen Sohn Alex ins Weisse Haus einzieht.

McQuiston selbst sagt, sie wollte «keine perfekte Welt» entwerfen, sondern eine, die «immer noch so fucked-up ist, dass sie glaubhaft erscheint», aber trotzdem «ein bisschen besser und ein bisschen optimistischer». Dafür steht die Demokratin Ellen Claremont als erste Frau im Weissen Haus, geschieden, Feministin, beliebt, erfolgreich. Und Mutter von zwei Kindern: June und Alex Claremont-Diaz. Deren Vater stammt aus Mexiko, was sie im Kontext der aktuellen Ausländerpolitik zu Menschen mit Migrationshintergrund macht und gleichzeitig zu extrem attraktiven jungen Erwachsenen mit Latino Looks. Zusammen mit ihrer lesbischen Freundin Nora (Enkeltochter eines früheren Vizepräsidenten) werden sie als «White House Trio» von der Boulevardpresse zu neuen Stilikonen der Nation erhoben und leben ein ausgelassenes scheinbar heteronormatives Partyleben, das den neuen «Spirit» der liberalen weltoffenen Claremont-Administration symbolisiert. Bis Alex Claremont-Diaz eines Tages auf einer Party dem Prinzen von Wales über den Weg läuft – Prinz Henry ist so etwas wie das schillernde britische Gegenstück zum amerikanischen Posterboy.

Casey McQuiston
Casey McQuiston

Eine Bromance wider Willen Anfangs meint Alex Henry zu hassen, weil er ihn für ein arrogantes verwöhntes unzeitgemässes Kind der Aristokratie hält, dem seine Privilegien angeboren wurden und der sie nicht verdient. Aber nachdem der Streit zwischen beiden eskaliert und zu unschönen Szenen führt, beschliessen die PR-Teams beider Seiten, eine «Bromance» zu inszenieren, die der Welt suggeriert, dass Grossbritannien und die Vereinigten Staaten von Amerika sich bestens verstehen. Dabei kommen sich Alex und Henry zwangsweise näher. Und aus der Bromance-wider-Willen wird überraschenderweise eine LGBTIQ-Romanze. Die die Frage aufwirft: Wie offen ist die Gesellschaft für eine solche gleichgeschlechtliche Beziehung, wenn’s ums Weisse Haus bzw. den Buckingham Palace geht, speziell dann, wenn in den USA die Kampagne zur Wiederwahl von Ellen Claremont gestartet ist? Wie reagieren Wähler mit «konservativen Vorstellungen» von Familie auf einen bisexuellen «First Son of the US» (FSOTUS)? Wie reagieren die Briten auf einen explizit schwulen potenziellen Thronfolger? Und was sagt die alte Queen dazu, deren Weltbild auch sehr aus der Zeit gefallen scheint und die dauernd etwas von «Pflicht» und «Dynastie» faselt?

Aus dieser Situation heraus entwickelt McQuiston einen 400-Seiten-Roman, mit dem sich in den lukrativen «Romance»-Buchmarkt gestürmt ist, der immerhin 23 Prozent des Gesamtbuchmarkts ausmacht und eine Milliardenindustrie darstellt. Sie schaffte es, mit «Red, White & Royal Blue» in die Bestseller-Liste der New York Times zu kommen, einen Twitter-Sturm auszulösen und einen Deal für eine Filmversion zu ergattern. Mehrere Prominente haben das Buch lobend erwähnt, u. a. Reese Witherspoon und Jenna Bush Hager.

Porno-Muttis Hat der heterosexuelle Mainstream plötzlich das Thema queere Romantik entdeckt? Es gibt ja schon seit längerem das Phänomen der schwulen «Male Romance Novels», wo vor allem heterosexuelle Frauen stark pornografische Männerliebesgeschichten entwerfen. Damit haben sie auch auf dem schwulen Pornomarkt das Segment der «Porno-Muttis» etabliert, für die spezielle «Romantic Porn Films» gedreht werden, u.a. von Studios wie CockyBoys. Mit opulenten Settings, aufwühlender Musik und viel Bettgeflüster und Augenkontakt. Also all das, was im schwulen «Reality Porn» so ganz und gar nicht wichtig ist.

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Casey McQuiston ist allerdings einen anderen Weg gegangen. Die Sexszenen in ihrem Buch sind eher begrenzt und wirkten (auf mich) teils fast grotesk schematisch. Es geht ihr mehr um den Entwurf einer Utopie: sie will eine Welt zeigen, in der auch konservative Wähler zu Fortschritt fähig sind, wo jahrhundertealte Institutionen sich reformieren können, wo Frauen Macht souverän ausüben können und wo das B aus der LGBTIQ-Community nicht weiter die grosse unsichtbare Gruppe bleibt.

Bisexual Visibility Natürlich hätte McQuiston ihren Protagonisten Alex einfach schwul machen können. Aber so schafft sie Sichtbarkeit für Bisexualität, ohne diese zu problematisieren, eine Sichtbarkeit, nach der man anderswo lange suchen muss.

Wer am Anfang des Buchs glaubt zu wissen, wie sich die Geschichte entwickelt, wird angenehm überrascht davon, dass die Royal Romance nicht ganz so vorhersehbar verläuft, wie man das vermuten würde. Das gilt auch für die Wiederwahl von Präsident Claremont, nachdem die anfangs strikt geheim gehaltene Liebesbeziehung zwischen Alex und Henry plötzlich vom politischen Gegner an die Presse verraten wird – und zu einem «Sexskandal» führt, bei dem alle Liebesbriefe plötzlich auf Wikileaks veröffentlicht werden.

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Wie alle Beteiligten mit dieser Situation umgehen, ist die grosse positive Kraft dieses Buchs. Während die Beschreibung von «realen» Menschen hinter der Glitzerfassade eine andere grosse Kraft der Erzählung ist. Bei der man nie vergisst, dass es pure Fiktion ist, in die man aber trotzdem wie in ein warmes Bad-der-Gefühle abtauchen kann.

Filmversion á la «Crazy Rich Asians» Interessanterweise haben LGBTIQ-Medien kaum über den Roman berichtet, dafür so gut wie jede Frauenzeitschrift. Und so erwähnte u.a. das Magazin Glamour im Dezember, dass Amazon Studios die Rechte am Buch erworben haben und vorhaben, die Geschichte «als grosse, glitzernde Produktion» herauszubringen, vergleichbar mit dem Filmerfolg «Crazy Rich Asians».

Ob in diesem Film auch die vielen «ernsten» Aspekte vorkommen werden, die im Roman behandelt werden, muss man abwarten: Was heisst es eine Person of Color zu sein; wie ist es, von Menschen als Immigrant behandelt zu werden; warum traut man Frauen immer noch nicht vollständig zu, ohne Hilfe von Männern Nationen regieren zu können; wieso können Evangelikale mit ihrem Weltbild immer noch Wahlen massiv beeinflussen usw. usf.

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McQuiston selbst sagt über den Erfolg ihres Buchs: «Ich hoffe, dass Verleger endlich erkennen, dass es ein Publikum für solche Geschichten gibt. Und ich würde gern mehr Einsatz sehen für queere Autoren, die nicht weiss sind, so wie ich, und ich finde, es gehören auch mehr trans-queere Autoren in die Buchregale. Diese Leute sind da draussen! Deshalb bin ich sehr optimistisch, dass dies nur der Anfang von etwas ist.»

History, huh? Um einen prägnanten Satz aus dem Roman zu zitieren: «History, huh?» Er bezieht sich darauf, dass man auch mit einer von der heterosexuellen Norm abweichenden Beziehung einen Moment in den Geschichtsbüchern markieren kann.

Und obwohl McQuiston die Ideen für eine Fortsetzung ihrer Alex-und-Henry-Geschichte nicht ausgegangen sind, wird sie erst mal einen lesbischen Liebesroman schreiben, über eine College-Studentin und eine Zeitzeugin der Stonewall Riots. McQuistons Ziel ist es, nach der «Bisexual Visibility» und «Male Romance» zwischen Prinz und «First Son» eine «wlw rom-com» in die Bestsellerlisten der New York Times zu bekommen: «wlw» steht für «women who love women».

Man könnte das als sehr andere Strategie der «lesbischen Sichtbarkeit» bezeichnen, als sie beispielsweise Aktivistinnen wie Stephanie Kuhnen («Lesben raus») in Deutschland verfolgen.

Das Beste am Buch ist übrigens, dass der derzeitige 45. Präsident der USA mit keinem Wort erwähnt wird. Es gibt ihn einfach nicht, genausowenig gibt es seine Familienangehörigen mit all ihren problematischen Verwicklungen in die Politik. Je länger man im Roman liest, umso mehr merkt man, was für ein radikales politisches Statement das ist. Und auch: was für eine Erholung!

Casey McQuiston: Royal Blue (Knaur, 464 Seiten) kann man u.a. bei Queerbooks.ch bestellen.

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