Bondage, Schmerz, Unterwerfung – mein Leben als Lederkerl

BDSM ist offiziell keine Krankheit mehr, doch die Vorurteile bleiben

Im Sommer 2018 strich die Weltgesundheitsorganisation BDSM offiziell von der Liste der Krankheiten. (Bild: zvg)
Im Sommer 2018 strich die Weltgesundheitsorganisation BDSM offiziell von der Liste der Krankheiten. (Bild: zvg)

Erst in diesem Sommer hat die Weltgesundheitsorganisation BDSM offiziell von der Liste der Krankheiten gestrichen. Seither kann man Menschen, deren Sexualität um Bondage, Schmerz und Unterwerfung kreist, nicht mehr pathologisieren – oder kündigen. Trotzdem passiert es noch. Vorurteile sterben bekanntlich langsam. Oder gar nicht.

Leather Big Wolf, so nennt sich der 29-Jährige als BDSM-Persönlichkeit, lebt in Rom, wo er das Studio Haus «Mein Gott» betreibt. Vorher arbeitete Wolf, wie ihn seine Freunde nennen, als Consultant für digitales Marketing und visuelle Kommunikation in einer Firma, wo ihn seine Kollegen wegen seiner nicht versteckten Homosexualität jahrelang lächerlich gemacht hatten.

Als vor zwei Jahren auch noch seine BDSM-Persönlichkeit publik wurde, setzten seine Chefs ihn vor die Tür – aus Angst, er könnte Peitsche schwingend im Büro auftauchen und die Kollegen drangsalieren. Wolf klagte wegen Homophobie und gewann den Prozess. Seinen Job war der Italiener trotzdem los. Zeitgleich machte er verstörende Erfahrung mit einem Sklaven, der Wolfs mühsam aufgebaute Lederfamilie zerstörte und Wolf in eine tiefe Depression stürzte.

In Restaurants muss der Sub nicht die ganze Zeit vor mir knien

Er fing an über seine Erlebnisse zu bloggen. Denn er möchte informieren und erklären, worum es in der BDSM-Welt geht. Damit sich andere mit ihrem Begehren nicht allein gelassen fühlen, so wie Wolf als Teenager. Ihm ist allerdings klar, dass «viele Schwule nicht gern lesen», wie er selbst sagt. Aber: «Jeder holt sich gern einen runter.»

Also kam Wolf auf die Idee, sich mit dem Pornografen Felix Kamp von Saukerl Berlin Production zusammen zu tun und einen Film zu drehen. Heraus kam «Black Collar», der unlängst im Schwulen Museum Berlin ein erstes semi-öffentliches Screening vor geladenem Lederpublikum erlebte und nächstes Jahr fertig werden soll. Der Film ist weniger ein Porno als eine Mediation über das Wesen von BDSM, in hypnotischen Statements von Wolf vorgetragen, während er den tatsächlichen Pornodarsteller Axl in die Geheimnisse von Schmerz und Unterwerfung einweist.

Wolf ist sich bewusst, dass er mit blendendem Aussehen gesegnet ist, obwohl er zwischen den vielen XXL-Lederkerlen im Schwulen Museum fast schüchtern wirkte; aber gerade das macht seinen besonderen Charme aus. Als ich ihm eine Woche später via Skype in seinem Arbeitszimmer in Rom gegenüber sitze und ihn in einem hautengem rotem Pullover am aufgeräumten Schreibtisch sitzen sehe, verstehe ich, wieso Wolf schon viele Angebote bekam in Pornos mitzuwirken. Aber das interessierte ihn nie.

Anfangs hielt er sich für krank Die dunkle Seite der Lust entdeckte er mit 12, als er anfing im Internet Pornos zu schauen. «Anfangs dachte ich, mit mir stimmt was nicht, dass ich ein Perverser oder Kranker sei», erzählt er rückblickend. «In Italien, besonders vor 20 Jahren, herrschte ein starkes Tabu zu allen Fragen rund um Sex. Besonders wenn es um elastischere Formen von Sexualität geht.» Was Wolf anzog war dies: «In einem normalen Pornofilm hat man zwei stereotype Personen, die sich irgendwo treffen und ficken. Wenn der Sex vorbei ist, ist der Film vorbei. Es gibt keine Romantik.

In BDSM-Pornografie fingen Geschichten meistens so an, dass ein Meister einen Sklaven aussucht. Er tut dies in einem geschützten Raum, der mir suggeriert, die beiden leben zusammen. Es sind keinen Fremden, die sich treffen, sondern Menschen, die eine Geschichte miteinander haben. Und in dieser Geschichte ist Sexualität eine Form von Sprache, mit der sich beide unterhalten. Es geht um mehr als Sex, es geht um die Verbindung mit jemand anderem.» Solch eine Verbindung wollte Wolf auch, besonders nachdem sein Coming-out mit 15 «eine absolute Katastrophe» war.

Der Dom ist kein Fleischer. Es geht um mehr.

Vier Jahre später lernte er einen Mann kennen, den er heiratete und mit dem er immer noch zusammen ist. Sein erster Mentor zeigte ihm die BDSM-Welt. Es war schnell klar, dass Wolf kein typischer Sklave sein würde, weil er schon immer ziemlich dominant war. «Aber mein Mann erklärte mir, wie das traditionelle Protokoll funktioniert: um selbst Meister zu werden muss man sich diesen Titel verdienen. Man fängt als Boy an und arbeitet sich hoch.»

Das sogenannte «Protokoll» spielt auch in «Black Collar» eine zentrale Rolle. Es regelt den Umgang miteinander in der BDSM-Welt. «Es ist nicht einfach, als Gruppe von Männern zusammenzuleben. Die meisten Regeln drehen sich darum, wie man sich umeinander kümmert, darum, dass man sich als ‚Sub‘ oder ‚Dom‘ nicht zu vielen emotionalen Gefahren aussetzt. Es geht aber auch darum, eine Hierarchie zu festigen. Wenn es in einer Gruppe von Männern keine Hierarchie gibt, dann herrscht Chaos.»

Ausnahmesituation: Abendessen mit der Mutter Dieses Protokoll wurde in den 1940er und 50er Jahren in den USA entwickelt von Männern, die aus dem Militär kamen und bestimmte dort entwickelte Regeln in die Lederszene brachten. Regeln, die auch das Zusammenleben in einer Öffentlichkeit einfacher machen sollten, in der sichtbare Homosexualität unter Strafe stand. Das High Protokoll regelt also nicht nur, wie sich ein Sub zu benehmen hat bei einer BDSM-Session, sondern das Low Protokoll definiert jene Momente, wo man zum Beispiel gemeinsam im Restaurant sitzt. «Da muss der Sub natürlich nicht die ganze Zeit vor mir knien,» sagt Wolf. «Es gibt auch noch ein ‚Social Protokol‘, falls man zum Abendessen mit seiner Mutter unterwegs ist oder den Sklaven an seinem Arbeitsplatz trifft. Da wird der Boy mich nicht mit ‹Sir› ansprechen.»

Wolf selbst hat da schon etliche Erfahrungen gemacht, wo das «Protokoll» hilfreich war: etwa beim Abendessen mit der Ehefrau seines Sklaven. «Ich hatte diesen bisexuellen Sklaven für zwei Jahre, er war verheiratet, und ich habe immer darauf bestanden, dass er seine Frau informiert über alles, was passiert. Wir versuchten unsere Beziehung offen und ohne Lügen zu gestalten.» Aber wenn man dann vor der Ehefrau sitzt, ist das doch was anderes. Protokoll hin oder her. Sie wollte Wolf mit ihren Blicken am liebsten töten. Da verlief das Abendessen mit der Mutter seines Ehemanns besser, obwohl diese als traditionelle italienische Mamma Wolf nur als «Untermieter» ihres Sohns kennenlernen durfte. Auch das ist eine Form von sozialem Protokoll in der italienischen Gesellschaft.

Lederweste nur noch als Accessoire Überhaupt: In seiner Heimat gebe es im Gegensatz zu Deutschland und den USA keine echte BDSM-Szene, meint Wolf. «Ich gehe in Italien nie aus, um in irgendeiner Disco Männer mit Boots und Harness zu sehen, für die das nichts bedeutet, ausser dass es ein Mode-Accessoire ist. Berlin ist da anders. Da gibt’s Menschen, die ernsthaft in der BDSM-Szene unterwegs sind, für die BDSM ein eigenes Leben ist. Global betrachtet wird diese Gruppe aber immer kleiner.» Denn: «Die jüngere Generation lebt ihre Sexualität ganz anders aus: via Apps auf dem Telefon. Sie verbinden sich auf Grindr mit jemandem, und das war’s. Ihnen erzählt niemand, dass das nichts mit Beziehung zu tun hat. Oder mit Romantik. Es ist Leere. Nichts.» Für Wolf ist BDSM nichts, das er per Knopfdruck an und wieder ausschalten kann. Er will eine Lederfamilie anführen. Doch das ist nicht immer einfach.

«Ein Sklave hat viele Dinge zu tun, aber er hat auch Rechte, die nie missachtet werden sollten. Ein Sklave kann zu jeder Zeit seine Position kündigen. Er darf anschliessend nicht physisch oder psychisch drangsaliert werden.» Es passiere oft, dass der Meister der Sklaven emotional verletzt. Noch häufiger komme es vor, dass der Sklave den Meister verletzt mit passiv-aggressivem Verhalten, was das Selbstwertgefühl des Meisters erschüttert.

BDSM
BDSM

Inzwischen hat Wolf selbst einen «Besitzer», der in Berlin lebt. Anfangs war sein Ehemann Daniel eifersüchtig. Aber inzwischen hat sich die Situation entspannt. «Es ist schon eine grosse Ausnahme, dass ich jemanden gefunden habe, den ich über mich stelle, den ich so respektiere, dass ich mich hinlege und sage: Nimm Besitz von mir!» Dass Wolf gelernt hat sich unterzuordnen, hat ihn nach eigener Aussage zu einem besseren Top gemacht. «Dadurch, dass ich die andere Seite selbst erlebt habe, weiss ich, wie es sich anfühlt, ausgepeitscht zu werden. Ich weiss, wie weh das tut. Mir ist bewusst, dass ein bisschen zu viel Kraft ausreicht, um die Haut zu verletzen. Wenn man das nie selbst durchgemacht hat, möchte man einfach die Peitsche laut schwingen und eine grosse Szene machen. Das kann den Sub verletzten oder zumindest dafür sorgen, dass die Erfahrung für ihn nicht gut ist. Er ist aber kein Fleischstück, und der Dom ist kein Fleischer. Es geht um mehr.»

Alter und Aussehen sind zweitrangig Dieses «mehr» ist für Wolf eine Form von Utopie: «In einer reinen BDSM-Welt gibt es keinen Rassismus, soweit ich das sehen kann. Da ist es egal, wie man aussieht, wie alt man ist. Was zählt ist die Seele. Bei Events wie Folsom oder Gay Pride ist das anders. Da kommen Sextouristen, und die wollen Männer, die heiss sind, jung sind, muskulös sind, grosse Schwänze haben. Es ist wie ein Menü, das sie abhaken möchten.» Wolf sagt, er bekomme keine Erektion vom Bestaunen eines Körpers, weil ihn interessiert, was innen ist.» Erregend findet er Ehrlichkeit, Angst, Liebe, Unterwerfung. Und: «Mit jemandem zu arbeiten, der stark genug ist mir zu vertrauen, dass er sich öffnet für sich selbst, sich nackt macht, nicht physisch – sondern emotional, als Mensch».

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