«Nicht Homosexualität ist gefährlich – sondern Homophobie»

Mal singt er gegen Rassismus, mal gegen Homophobie oder Umweltzerstörung: Bodo Wartke

Bodo Wartke (Foto: Sebastian Niehoff)
Bodo Wartke (Foto: Sebastian Niehoff)

«Im Land, in dem ich leben will, gehört jeder Mensch dazu, egal, ob L oder G oder B oder T oder I oder Q», singt Bodo Wartke. Warum er Homophobie nicht versteht und als Typ eher ein Otter ist, erzählt er im MANNSCHAFT-Interview.

Mal singt er gegen Rassismus, mal gegen Homophobie, gegen Gaffer oder Umweltzerstörung – und ist dabei stets virtuos und gescheit. Bodo Wartke (42) tourt immer mit mehreren Programmen gleichzeitig. Auf der Bühne spielt er seine Theaterstücke «König Ödipus» und «Antigone» sowie die Klavierkabarettprogramme «Was, wenn doch?» oder «Klaviersdelikte». Jetzt kommt noch ein weiteres dazu: Am 4. Februar hat Programm Nr. 6 Premiere: «Wandelmut»

Herr Wartke, mit welcher Motivation schreiben Sie Ihre Lieder? Ich habe durchaus eine Art Sendungsbewusstsein. Was ich schaffen möchte mit meiner Kunst, ist ein differenziertes Bild zu zeigen. Und für Erleichterung sorgen – bei mir selbst und bei meinem Publikum. Indem es gelingt, mit einem komödiantischen Blick die Dinge zu betrachten. Mir hilft es, einen komischen Umgang zu finden, wenn mich etwas aufregt. Es geht mir dann einfach besser. Das hat was Selbsttherapeutisches.

Nehmen wir das Thema Religion. Wie sehr regt Sie das auf? In meinen Augen sind Religionen nicht das Problem. Es geht darum, was man daraus macht. Das ist auch die Quintessenz eines Götterdialoges, den ich für mein neues Programm geschrieben habe. Das Problem sind die Idioten, die die Religionen missbrauchen, um damit Homophobie zu rechtfertigen, Völkermord, Kindermissbrauch – was auch immer. Dazu braucht man übrigens nicht mal eine Religion – das geht auch völlig ohne. Man muss nicht religiös sein, um ein Idiot zu sein: Die Nazis haben es völlig ohne Religion geschafft. Was letztendlich hinter allen Songs steckt, die ich zum Thema schreibe oder die das Thema streifen, ist im Grunde Faschismus: Eine Gruppe von Menschen erhebt sich über alle anderen und glaubt sie, wäre überlegen aufgrund von Religion, Hautfarbe, Herkunft etc. und das ist gefährlich. Zu sagen: Wir sind im Recht, und alle anderen, die anders sind als wir, sind im Unrecht, und deshalb haben wir das Recht, sie zu töten. Das taucht immer wieder im neuen Gewande auf, als religiöser Fanatismus oder Nationalismus, als White Supremacy und auch im Gangsta-Raps – das ist genau das gleiche. Ich finde es ganz wichtig, seine Stimme dagegen zu erheben. Und diese Denkweise als das zu entlarven, was sie ist: nämlich menschenfeindlich und lächerlich.

Wenn Sie also etwas wütend macht, suchen Sie nach einem komischen Zugang. Was mich vor allem aufregt, ist die Haltung. Das Zurschaustellen von selbstherrlicher Dummheit und Ignoranz. Und wie weit man damit kommen kann. Man wird damit Präsident der Vereinigten Staaten und Führer der freien Welt!

Sarah Connor singt auf ihrer aktuellen Platte von «AfD-Idioten», dafür bekam sie Ärger von Anhängern der Partei. Kennen Sie sowas auch? Tatsächlich . . . (lacht) tatsächlich wurde ich von der AfD schon missverstanden. Es gibt Mitglieder der Partei, die ein Lied von mir geteilt haben, wo sich herausstellte: Die hatten aber nicht gut genug zugehört. Es ging um das Lied «Nicht in meinem Namen», in dem ich religiösen Fanatismus kritisiere. Und man kann das Lied auslegen als Kritik am Islam – was es aber nicht ausschliesslich ist. Ich nenne Verbrechen, die mit Religion in Verbindung gebracht werden. Ich spreche auch von Kindesmissbrauch, was man eher mit dem Christentum assoziiert, und von illegaler Landnahme, was man eher mit Israel in Verbringen bringen kann. Keins dieser Verbrechen wurde von der jeweiligen Religion erfunden, sondern fand und findet im Namen aller Religionen statt. Ich kritisiere eben nicht die Religion, sondern die Missinterpretation, den Missbrauch der Religion und das Verbrechen als solche. Das muss man differenzieren. Es ist interessant, wie gerade dieses Lied missverstanden wurde.

Ich gehe aber nicht hin und sage, alle Leute, die die Afd wählen, sind doof – das wäre ja wieder undifferenziert. Ich kritisierte die Haltung und die Tat als solche. In einem meiner Songs wird das Thema gestreift. Da bringe ich die AfD mit Gangsta-Rap in Verbindung, der gewaltverherrlichend, menschenverachtend, frauenfeindlich, homophob und antisemitisch ist. Deren Vertreter reden sich aber immer raus, es sei ja nicht so gemeint, es seien ja nur Kunstfiguren, die da in ihren Songs sprechen . . . (grinst) Im Gangstarap geht es viel um Street Credibility und die erreicht man dadurch, dass man Sachen sagt, die man gar nicht so meint? Verstehe! Ich fragte mich, wer ist denn sonst noch so drauf, also gewaltverherrlichend, frauenfeindlich, homophob und so weiter . . . Die AfD ist folglich nach Gangsta-Rap-Masstäben besonders real und credible.

Ich war neulich bei einem Ihrer Ausprobierkonzerte, und das Thema Homophobie wurde mehrfach besungen. Warum liegt Ihnen das am Herzen? Gute Frage. Ich komme aus der norddeutschen Kleinstadt Bad Schwartau. Und es gab, solange ich da bei meiner Mutter aufgewachsen bin, keine schwulen Menschen im Freundes- oder Bekanntenkreis – zumindest nicht wissend. Einer meiner Mitschüler hat sich Jahre später geoutet, und alle dachten: klar, logisch! Keinen hat es überrascht, aber es wurde auch damals in der Schule nicht thematisiert. Was ich im Nachhinein besonders traurig finde, ist, dass er offenbar dachte, er könne es nicht sagen – sonst hätte er es ja getan.

Als ich dann Ende der 90er Jahre nach Berlin kam, lernte ich die ersten Menschen kennen, die offen mit ihrer Sexualität umgingen. In dem ganzen Entertainmentbereich tun das ja ganz viele, das fand ich wahnsinnig befreiend kennenzulernen, und auch beneidenswert. Durch einen meiner Mitarbeiter, der auch schwul ist, habe ich viel gelernt. Er hat mir den Hanky-Code erklärt. Und dass ich vom Typ eher ein Otter sei, wusste ich auch nicht. (grinst)

Sie gehören auch zur Sorte «entspannter Hetero». Es ist ja nicht die Homosexualität, von der eine Gefahr ausgeht, sondern von Homophobie. Ich hatte ganz tolle Begegnungen u.a. in New York, wo ich vor ein paar Jahren das erste Mal war, eine stressige Stadt, die mir auch schnell auf die Nerven ging. Der einzige, der mir da offen und direkt ins Gesicht blickte, war schwul. Er grinste mich auf der Strasse an, und ich habe mich total gefreut. Ich war mir erst nicht sicher und dachte: Kennen wir uns? Und er signalisierte mit einem fragenden Blick: Nein, wir kennen uns nicht, aber hast Du Lust, mitzukommen? Ich signalisierte ihm wiederum: Äh nee danke, sehr nett! Ich bin nicht schwul, aber ich freue mich über die Begegnung. Das war eine nonverbale, aufrichtige, nicht übergriffige Kommunikation. Und ich habe mich tatsächlich sehr geschmeichelt gefühlt.

Kollegah bereut Auschwitz-Zeilen – seine homophoben Texte offenbar nicht

Passiert Ihnen das in Berlin nie? Doch, im KitKat-Club, wo ich diverse Male aus Neugier war, war ich an einem Abend mal auf einer vor allem schwul ausgerichteten Party, was ich nicht wusste. Da war sehr viel Lack und Leder am Start. Mich sprach einer auf der Tanzfläche an und sagte auf Englisch: Ich möchte Dir ein Kompliment machen – du hast wunderschöne Augen. Und ich sagte zu ihm: Das hat noch nie jemand zu mir gesagt, nicht mal eine Frau. Und dann hat er gefragt, ob ich mit rauskomme, eine rauchen. Ich rauche zwar nicht, aber wir sind dann raus und haben uns unterhalten. Das war sehr sympathisch. Er war Schwulen-Aktivist im Iran, und wir haben uns sehr lange unterhalten.

Andere Männer hätten vermutlich Reissaus genommen. Homophobie ist ja ein Ausdruck dafür, dass sich der gemeine Hetero bedroht fühlt, wenn ihm ein Geschlechtsgenosse schöne Augen macht. Ich nicht. Ich finde es einfach furchtbar, wenn Menschen ausgegrenzt werden: Als heterosexueller weisser Westeuropäer bin ich nun weniger davon betroffen als andere. Aber auch ich wurde zu Beginn der Grundschule gemobbt – ich war irgendwie anders, gut in der Schule, das, was man einen «Lauch» nennt. Das war im höchsten Masse grausam. Und wenn jemand scheisse zu einem ist, ist man dann gerne auch scheisse zu anderen. Das trifft leider auch auf mich zu, was mir heute fürchterlich leid tut. Ich habe mich später bei den betroffenen Leuten entschuldigt. Es ist wichtig, das zu durchschauen und zu verhindern, dass es passiert. Wir leben im 21. Jahrhundert: Was ist denn da los? Bestimmte Verhaltensweisen sind so mittelalterlich.

«Manche Menschen glauben, ich wäre schwul»

Sie sprachen eingangs von Sendungsbewusstsein – ist das gewachsen oder war das immer schon da? Ich schreibe immer über das, was mich bewegt. Das kann Liebeskummer sein, aber auch etwas aus dem Bereich Gesellschaft und Politik sein. Letztes gerät bei mir immer mehr in den Fokus, auch Umweltschutz und Klimawandel ist für mich immer mehr ein Thema. Ich habe mir früher lange nicht zugetraut, politisch relevante Lieder zu schreiben. Marc-Uwe Kling habe ich immer bewundert um seine Haltung und seine Brillanz und seine Sachkenntnis. Es ist nicht so dass ich es mir vorgenommen habe, irgendwann passierte es. Lieder passieren mir, ich bin oft selbst erstaunt. Und ja, natürlich habe ich mich gefragt: Kann ich als Künstler was bewegen? Und es ist ja so: Kunst holt die Leute anders ab und berührt sie anders, für Musik gilt das insbesondere.

Sie schreiben «benutzerdefinierte Liebeslieder», die Sie in Ihren Programmen singen. Waren Sie jemals in Versuchung, ein solches für einen Mann zu schreiben? (überlegt länger) Ja, allerdings aus anderen Gründen. Reinhard Mey hat mal ein Lied geschrieben über seinen verstorbenen Tourmanager Peter, eine Hommage, in der er den bärbeissigen kauzigen Typen beschreibt. Da gibt es durchaus Männer in meinem Umfeld, die so ein Lied auch verdient hätten. Aber wenn ich ein Liebeslied über einen Mann schreiben würde, dann wäre es nicht, um ihn zu gefallen, und es wäre auch nicht erotisch konnotiert. Bisher ist mir jedenfalls nicht der Mann begegnet, den ich erotisch interessant fand. Ich schliesse aber nicht aus, dass mir das passieren könnte. (denkt nach)

«Seit dem Coming-out ist mein Leben stressfreier»

Es ist tatsächlich interessant, dass manche Menschen glauben, ich wäre schwul. Weil ich aber auch kein Problem damit habe, dass man es denken könnte. Ich gehe mit bestimmten Freunden etwa aus der Schulzeit sehr touchy um. Wir haben uns oft im Arm, und ich empfinde den Umgang als sehr gelöst. Ich mag es, so sein zu können – egal, was andere denken. Davor keine Angst zu haben, empfinde ich als Freiheit.

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