«Schaut her, da hat sich ein Europäer einen Stricher geleistet»
Beziehungen sind schon nicht einfach. Stammt ein Partner aus einer anderen Kultur, kommen zusätzliche Herausforderungen hinzu, darunter Hass und Neid
Ein Blick in die Statistik zeigt: Schwule Männer lassen sich eher auf binationale Beziehungen ein. Doch was Thorsten aus Deutschland und «Mond» aus Thailand erlebten, macht einen sprachlos.
Es ist ein unaufgeregtes Bild: Zwei Männer – ein Europäer und ein Asiate – sitzen nebeneinander in der S-Zug in Bangkok. Ihre Blicke schweifen in die Ferne, nur ein genauer Betrachter erkennt, dass sie Händchen halten. Das Foto, geschossen von einem anonymen Passagier, fand seinen Weg ins Internet und ging in kürzester Zeit viral. Neben vielen positiven Reaktionen hatten viele nur Hass für das Paar übrig. «Schaut her, da hat sich ein Europäer einen Stricher geleistet», lautete ein Kommentar. Oder: «Der Weisse sieht viel zu gut aus für den Asiaten.» Andere wiesen darauf hin, dass der Asiate viel zu zierlich und feminin wirkend sei im Gegensatz zum grossen, männlichen Europäer. Das Paar auf dem Foto ist Thorsten Middelhof, 31, aus Deutschland und Naparuj «Mond» Kaendi, 32, aus Thailand. Der Vorfall ist bereits drei Jahre her, doch die beiden geniessen immer noch viel Aufmerksamkeit in den sozialen Medien. Thorsten zählt über 20’000 Follower auf Instagram, bei Mond sind es fast 50’000.
Das Wichtigste ist aber, dass wir glücklich miteinander sind, uns gegenseitig unterstützen und trösten
Virales Foto versaute die Verlobung Das Foto entstand an einem schicksalhaften Abend. Die beiden waren auf dem Weg in ein Restaurant, in dem Thorsten seinem Partner schliesslich einen Heiratsantrag machte. «Da im Restaurant striktes Handyverbot herrschte, haben wir die Verbreitung des Fotos erst ein paar Stunden später mitbekommen und konnten es nicht mehr aufhalten, wie es uns noch bei einem ähnlichen Vorfall etwa ein Jahr zuvor gelungen war», sagt Thorsten gegenüber der Mannschaft. «Anstatt also unsere Verlobung zu feiern, wurde Mond von sämtlichen Freunden zu dem Vorfall kontaktiert und wir wurden schon in der nächsten Bar mehrfach gefragt, ob wir das Paar auf dem Foto seien.»
Obwohl die beiden über skurrile Kommentare gut lachen konnten, gingen die Hassnachrichten besonders Mond sehr nahe, so dass Thorsten ihn vom Lesen abhalten musste. «Wir haben viel darüber geredet, warum einige Leute so gehässige, abwertende, ignorante oder auch komplett schwachsinnige Dinge von sich geben», sagt Thorsten. Es habe geholfen, die Kommentare auf soziale, kulturelle oder religiöse Ursachen zurückzuführen, um den Hass irgendwie nachvollziehen zu können. «Das Wichtigste ist aber, dass wir glücklich miteinander sind, uns gegenseitig unterstützen und trösten. Liebe ist stärker als Hass.»
Viele Partnerschaften mit einem fremdländischen Partner Ein Blick in die Statistik zeigt: In der Schweiz werden mehr als die Hälfte (!) aller eingetragenen Partnerschaften zwischen einem Schweizer und einem ausländischen Staatsbürger geschlossen. 2017 wurden dem Bundesamt für Statistik zufolge 483 Partnerschaften eingetragen, davon 51% zwischen einem Schweizer und einem ausländischen Staatsbürger und rund 30 % zwischen zwei Schweizern. Die übrigen 19% der Partnerschaften wurden von zwei ausländischen Staatsbürgern eingetragen.
Weil er schwul ist, durfte er im Kinderfernsehen nicht moderieren
Zum Vergleich: Bei lesbischen Paaren betragen die eingetragenen Partnerschaften zwischen einer Schweizerin und einer Nicht-Schweizerin 32 %. Bei den heterosexuellen Paaren beträgt die Anzahl geschlossener Ehen mit einem Ausländer oder einer Ausländerin 36%, wobei eher Männer als Frauen eine Person aus dem Ausland heiraten. Vergleichbare Zahlen aus Deutschland gibt es nicht. «Daten zu Begründungen der Lebenspartnerschaften in Deutschland liegen uns nur für die Merkmale Geschlecht, Monate, und Bundesländer vor», sagte das Statistische Bundesamt auf Anfrage von Mannschaft Magazin.
Die oben erwähnten Zahlen sind mit Vorsicht zu geniessen, da davon auszugehen ist, dass ein binationales Paar aufgrund des Aufenthaltsrechts des ausländischen Partners eher den Weg der eingetragenen Partnerschaft wählt als ein Paar, das sich darüber keine Sorgen machen muss. Trotzdem scheinen schwule Männer eher einen ausländischen Partner zu haben als lesbische Frauen.
Kulturelle Unterschiede sind nicht zu unterschätzen Ein fremdländischer Partner stellt für schwule Männer in unseren Breitengraden «durchaus einen speziellen Reiz» dar, sagt Prof. Dr. Udo Rauchfleisch, Fachpsychologe und Psychoanalytiker mit Praxis in Basel, gegenüber Mannschaft. Eine grosse Rolle spiele zudem das Internet, das seit den Neunzigerjahren für schwule Männer unentbehrlich geworden ist, wenn es um die Partnersuche geht. «Dabei treffen sich natürlich nicht nur Männer aus dem gleichen Land, sondern aus der ganzen Welt», sagt er. Multikulturelle Beziehungen stellen eine Herausforderung dar – egal, ob schwul, lesbisch oder hetero. Dabei seien es nicht nur sprachliche Barrieren, sondern auch die kulturellen Differenzen, die eine Beziehung auf die Probe stellen.
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«Oft wird beispielsweise übersehen, dass es selbst zwischen den deutschsprachigen Ländern Deutschland, Schweiz und Österreich erhebliche kulturelle Unterschiede gibt, die in der Partnerschaft zu Missverständnissen und Fehlinterpretationen des Verhaltens der Partner führen können», sagt Rauchfleisch. «Bei Partnerschaften von zwei Männern mit verschiedener Muttersprache kommt hinzu, dass beide die Sprache des anderen selten perfekt beherrschen und deshalb gerade emotional bedeutsame Inhalte sprachlich schwer bis unter Umständen gar nicht ausdrücken können.» Darunter könne die Kommunikation erheblich leiden.
Ein ähnlicher Humor und gleiche Wertvorstellungen Thorsten und Mond lernten sich auf einem Partnerportal kennen, als Thorsten im Rahmen eines sechsmonatigen Praktikums in Bangkok lebte. Mittlerweile haben die beiden geheiratet und sich in Köln niedergelassen. «Seitdem wir zusammen leben haben wir immer wieder festgestellt, dass wir Dinge, von denen wir dachten, dass sie selbstverständlich sind, anders gelernt haben», sagt Thorsten. «Das sind wohl eher Kleinigkeiten, die aber immer wiederkehren, über die wir uns dann am häufigsten streiten.» Sprachliche Barrieren – die beiden unterhalten sich auf Englisch und Mond ist dabei, Deutsch zu lernen – gebe es ab und zu auch.
Die weltweite Aufmerksamkeit um das Paar hat sich gelegt. Die ganzen Kommentare und Nachrichten beschäftigte die beiden eine ganze Weile, hatten aber keinen allzu grossen Einfluss auf ihre Beziehung. «Glücklicherweise haben sich im Laufe der Zeit die positiven Kommentare und Nachrichten durchgesetzt», sagt Thorsten.
«Sei vorsichtig, vielleicht klaut er deinen Fernseher.»
Offenheit ist wichtig Das Paar beschreibt seine Chemie als Mischung aus Gegensätzen und Gemeinsamkeiten. Obwohl sie nicht die gleichen Interessen haben, sind Thorsten und Mond fast immer auf einer Wellenlänge, haben einen ähnlichen Humor und die gleichen Wertvorstellungen. «Ich bin eher rational geprägt, Mond sehr emotional», sagt Thorsten. «Das ergänzt sich meist sehr gut, kann aber auch mal knallen. So bleibt es immer interessant. Zudem hält er mich davon ab, zu früh ‹alt› zu werden.» Mond empfindet die unterschiedlichen Kulturen und verschiedenen familiären Hintergründe als Bereicherung. «Thorsten ist ein Familienmensch, warm und grossherzig. Ich bin etwas kühler, eher empfindlich und reizbar», sagt Mond. «Ich erwarte von meinem Partner nicht, dass er meine Lücken füllt. Es ist nur so, dass ich mich mit ihm verbunden und vollendet fühle.»
Auch die Familien von Thorsten und Mond freuen sich sehr über ihr gemeinsames Glück. Einen einzigen Vorbehalt gab es von Monds Mutter am Anfang ihrer Beziehung. «Sei vorsichtig, vielleicht klaut er deinen Fernseher», hatte sie ihrem Sohn gesagt, als Thorsten gegen Ende seines Semesters in Thailand für die letzten Wochen bei ihm eingezogen war. «Das ist bei uns zu einem Running Gag geworden», sagt Thorsten lachend.
Was braucht es, um eine kulturübergreifende Beziehung zu meistern? «Wir sind beide sehr weltoffen und an anderen Kulturen interessiert», sagt Thorsten. «Wir hatten beide vorher nur multikulturelle Beziehungen und waren daher sehr gut vorbereitet.»
Udo Rauchfleisch schliesst sich ihm an. Wer sich auf eine binationale Partnerschaft einlasse, sollte Freude daran haben, Neues kennen zu lernen, und bereit sein, Eigenes auch einmal zu hinterfragen. «Die Unterschiedlichkeit der Kulturen, aus denen die beiden stammen, sollte nicht als Belastung und zu ertragendes Übel, sondern als Bereicherung empfunden werden, an der beide Partner reifen können», sagt er.
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